Die Stalag Gedenkstätten in Moosburg (Teil #02)

Teil 1 hier.

Im September war es ein erster Besuch, eine „Spurensuche“, eher eine der Kontaktaufnahme, als ich den ehemaligen Friedhof in Oberreit und in Moosburg in der Neustadt die Erinnerungsorte an das einstige Kriegsgefangenenlager Stalag VII a besuchte:
Spontan, neugierig und ausgestattet mit den vom örtlichen Stalag Moosburg e.V. auf deren Webseite bereitgestellten Informationen.

Dem ersten folgte nun ein paar Monate später ein weiterer Besuch, dieses Mal unter dem Vorzeichen, Wissen zu vertiefen, Fragen stellen zu können und auch die beiden Museen besuchen zu dürfen. Dazu hatte ich beim Verein eine Führung angefragt, die für Interessierte angeboten wird.

Ein Sonntag in Moosburg

Und so stehen wir zu dritt im Heimatmuseum, schauen auf das Modell des Stalag, auf zahlreiche Exponate in den Vitrinen, blättern durch Bücher und machen uns mit Hilfe von historischen Fotos ein Bild. Michael Kerscher, Leiter des Heimatmuseums der Stadt Moosburg, Günther Strehle vom Stalag Verein und die Moosburger Kunsthistorikerin und Journalistin Christine Fößmeier sind hinzugekommen, um uns all unsere Fragen zu beantworten, daher wird es viel weniger eine klassische Führung als ein intensives Gespräch, ein Wissens- und Gedankenaustausch. Das Ganze läuft zeitlich vollkommen aus dem Ruder, ohne dass ich den Eindruck habe, dass irgendwer zur Eile drängt. Im Gegenteil. Es besteht viel Befarf des Austausches.
Freund Michael ist mit von der Partie. Er ist ein profunder Kenner der Historie und langjähriger Mitarbeiter der KZ Gedenkstätte Dachau, die ich auch im vergangenen Jahr mehrfach besucht und mich dort mit ihm getroffen habe. Da für ihn das Thema der Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener in Hebertshausen durch die SS besonders relevant ist und diese auch aus dem Stalag VII A per LKW von Moosburg nach Hebertshausen gebracht wurden, ist für ihn der Besuch in Moosburg höchst interessant – womit für mich quasi die Rolle des interessierten, neugierigen und fragenden Laien übrig bleibt. Oft lausche ich den Dialogen der Fachleute, die sich die Bälle regelrecht zuspielen, und werfe nur meine Fragen in Gespräch.
Fotos entstehen an diesem Tag nur wenige. Sich zum Fotografieren abzusondern hieße, nicht mehr zuzuhören oder zumindest den Anschein zu erwecken. Vorher oder hinterher Bilder zu machen, würde noch mehr Zeit in Anspruch nehmen. Meist bleibt die Kamera ungenutzt. Macht nichts.

Das intensive Gespräch bringt diesen zweiten Besuch, wie ich es mir gewünscht habe, auf eine ganz andere Ebene: Es geht um die Beantwortung vieler Fragen, also um Wissen und Einordnung. Es sind die Details, die mich überraschen, so zum Beispiel, dass die Kriegsgefangenen für ihre Arbeit Geld bekamen, wenn auch sehr wenig und damit in Moosburg etwas kaufen konnten.

Dass sie sich gestalterisch betätigen durften, wusste ich, dass sie ihre geschnitzten Arbeiten geduldet an die Bevölkerung verkaufen konnten, überrascht mich schon eher. Daher finden sich heute im Museum eben Alltagsgegenständen der Stalag-Gefangenen zum Beispiel Gemälde, Zeichnungen, Schnitzerarbeiten.Bei diesem Besuch geht es außerdem um die Fortsetzung der Geschichte des Stammlagers bis in die 50er Jahre. Nach Ende des Krieges wurde das Geländes zunächst durch die Amerikaner als Internierungslager genutzt.

Ab 1948 fanden hier Menschen Wohnraum, die aus Schlesien oder Ostpreußen geflohen oder aus dem Sudetenland vertrieben worden waren.
Stacheldrahtzäune und Wachtürme gab es da nicht mehr, aus den Baracken wurden Wohnräume und Werkstätten. Sie wurden im Lauf der Zeit umgebaut, erweitert, viele später abgerissen, ein neuer Stadtteil entstand. Eine Postkarte aus dieser Zeit gibt einen Eindruck davon. Heute mutet es skurril an, dass sich damals niemand daran störte, auf die Vorderseite der Ansichtskarte unter der Zeile Gruß aus Moosburg-Neustadt/Obb. erklärend den Zusatz zu drucken: (ehem. Gefangenen- und Internierungslager). So, als sei das eine besondere Sehenswürdigkeit.

Das alles sehen wir im kleinen Stalag-Neustadt-Museum, das wir nach dem Heimatmuseum und dem Gedenkort am ehemaligen Lagereingang besichtigen. Martin Pschorr, Stadtrat und Stalag-Beauftragter der Stadt Moosburg a. d. Isar erwartet uns bereits. Auch hier ist es weniger eine Führung im klassischen Sinn als ein intensives Gespräch.

Kriegsgefangenenlager sind keine Konzentrationslager

Kriegsgefangenenlager sind keine Konzentrationslager, schon gar keine Vernichtungslager, das ist mir natürlich klar. Das eine kann durchaus ohne das andere erzählt werden. Im Blick auf die deutsche Geschichte der Nazi-Zeit aber fällt das schwer.
Sie beide sind Bestandteile der selben Terror-Diktatur des NS-Regimes, ohne dass es weder das eine noch das andere gegeben hätte. Das führe ich mir immer wieder vor Augen, auch wenn der Zweck dieser unterschiedlichen Lager und die Bedingungen, unter denen die Häftlinge dort lebten, kaum vergleichbar sind. Ich möchte mich allerdings immun halten gegen eine wie ich finde fast schon stilisierte „Lagerromantik“, wie sie im Film Gesprengte Ketten (The Great Escape, 1963) erzählt wird. Ich möchte mich auch frei davon halten, dass Gefangenenlager quasi etwas Zwangsläufiges und Naturgegebenes ist, was mit dem Krieg nun mal kommt und alle Beteiligten nun das Beste daraus machen, sich mit der Situation irgendwie zu arrangieren. Dann wird es schon irgendwie gehen. So schlimm ist das ja gar nicht… um es überspitzt zu formulieren. Lager sind part of the game ist, aber das Game an sich ist das Verbrechen!

Auch wenn nach Haager Landkriegsordnung und Genfer Konvention für Kriegsgefangenenlager Regeln und humanitäre Standards festgelegt wurden, an die sich auch das Dritte Reich hielt, relativiert das nicht die Schuld des Angriffskrieges auf Polen, die Niederlande, Belgien, Frankreich, Dänemark, Norwegen, Russland… in dessen Folge solche Gefangenenlager errichtet werden mussten. Und noch viel weniger relativiert es, dass die die Gestapo im Lager unter den russischen Kriegsgefangenen, diejenigen selektierten, die nach Hitlers Kommissarbefehl erschossen werden sollten. Auch die rund 300 jüdisch-polnischen Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft geraten und nach Moosburg gebracht worden waren, standen keineswegs unter dem Schutz der Haager Kriegsordnung sondern wurden herausgesondert und in die Vernichtungslager geschickt.

Historische Gebäude auf historischem Boden

Später diskutieren wir nach der Führung angeregt über historische Gebäude auf historischem Boden, ausgehend auch von der Frage, ob die zumindest die einigermaßen gut erhaltenen Baracken der Wachmannschaften „umgepflanzt“ werden könnten, da sie einer dringend notwendigen Erweiterung des Moosburger Schulkomplexes im Weg stehen. Denn es ist eine der vielen Fragen, die in der Gemeinde gestellt werden, wie mit den Gebäuden umgehen, vor allem seit sie als Ensemble unter Denkmalschutz stehen. Mittlerweile liegt dem Gemeinderat eine Machbarkeitsstudie für ein Informations- und Begegnungszentrum vor. Trotzdem ist offen: Was soll daraus werden – und vor allem: Wer bezahlt das?

Daraus abgeleitet stellen wir uns die Frage, ob Erinnerungskultur nur am historischen Ort des Geschehens funktioniert?
Es ist etwas grundsätzlich Anderes, ob ein historischer Bauernhof in ein Freilichtmuseum versetzet wird oder diese Baracken der Wachmannschaften eines Kriegsgefangenenlagers vielleicht andernorts wieder aufbaugebaut werden, um Platz zu schaffen für die Schulerweiterung. Oder braucht es unbedingt genau diesen Ort und seine Aura?
Nur: Relativiert sich das nicht schon allein aus der Tatsache, dass die Baracken der Wachmannschaften ja gar nicht auf dem eigentlichen Stalag-Gelände sondern davon separiert lagen?

Ich entschließe mich, später im Jahr noch einmal nach Moosburg zu fahren, zuvor mich aber noch lesend etwas weitergehend mit der Geschichte zu beschäftigen. Der Stalag Verein hat einige Bücher veröffentlicht, in denen ich noch weiterlesen möchte.
Wenn sich die Aura eines historischen Bodens entfalten kann, dann doch nur dem, der weiß, was dort geschehen ist; vorausgesetzt, dass eine solche Aura überhaupt gibt und zwar losgelöst von dem, was man vielleicht vom eigenen Kopf ausgehend „nur“ als eine solche auratische, sinnliche Erfahrung empfindet.

In einem dritten Besuch möchte ich die Wirkung des historischen Ortes auf mich ergründen. Das wird sicher wieder einige Zeit in Anspruch nehmen.
Damit kehre ich quasi zum Ausgangspunkt zurück und schließe den Kreis.

Nachtrag:
Ich stoße beim Nachlesen auf eine Auflistung der Stammlager. Das macht mich stutzig: Hemer, Stammlager VI a.
Erst seit meinem Besuch in Moosburg weiß ich, dass sich 20 Kilometer Luftlinie von meinem Elternhaus entfernt in Hemer das Stalag VI a befand. Nicht, dass das in irgendeiner Weise 30 Jahre nach Kriegsende im Schulunterricht Thema gewesen wäre, weder in Geschichte oder Heimat- oder Sozialkunde, oder uns sonstwie in den 70ern irgendetwas darüber vermittelt worden wäre. Dabei war es gleich ums Eck.
Warum wundert mich das nicht?


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2 Antworten

  1. Axel sagt:

    Meine Theorie zur Schlussfrage ist, dass sich viele in die Nachkriegszeit gerettet haben und es dann totgeschwiegen haben, obwohl sie es wussten aber eben nur Befehle ausgeführt haben. Und dann schweigt man besser vor Scham, dass man es wusste.

    Mitläufer sind auch Täter – das gilt auch für die stillen AfD Anhänger!

  2. manni sagt:

    Sehr interessanter Beitrag !

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