Die Sache mit dem Weihnachtsbaum

Nein! Einen Weihnachtsbaum wollten wir nicht. Schon letztes Jahr nicht. Als die Kinder kleiner waren – ok. Da war ein reichlich geschmückter und im Licht von echten und später auch künstlichen Kerzen bestrahlter Baum Pflicht. Dann wurden die Kinder groß, zogen aus, zurück blieben meine Frau und ich und die Frage, ob es Weihnachten jetzt nicht auch ohne Baum ginge. „Und überhaupt: Ganz ohne den ganzen Dekowahn!“

Ein wenig weihnachtliche Deko – ja, ok. Aber spärlich, dezent und nicht alles überall überfrachtet. Denn mit weihnachtlicher Deko kann man so seine ganz eigenen Erfahrungen machen. Ob nun Weihnachtssau oder zurückgelassene Engel.
Auf keinen Fall aber ein Baum. Da waren wir uns einig. Das war schon letztes Jahr so, und das war gut so.
Vorbei die Zeit, sich rechtzeitig eine Normanntanne zu sichern, vorbei die Zeit der Suche nach dem Baumständer, nach den richtigen Kugeln in den Farben der Saison. Das war einmal und kehrt nicht wieder. Die Schößlinge können gerne im Wald bleiben.

Fichtenschößling - ein weiter Weg zum Weihnachtsbaum

Das beste Argument aber, auf den Baum zu verzichten ist Lilu, der Berner Sennenhund meiner Tochter, ein gern gesehener Gast hier im Haus (also beide: Kind und Hund!). Einmal mit dem Schwanz gewedelt und die Kugeln fliegen quer durchs Zimmer. Muss ja nicht sein. So ein Hund ist ja eine prima Ausrede für alles und jedes.
Hundehalter wissen, was ich meine. Auch, wenn ihr Liebling nie dem Weihnachtsbaum gefährlich, nie irgendwem etwas antun würde und immer nur spielen will… Das ist bei Lilu auch so, aber sie vorzuschieben, ist eben bisweilen praktisch.

Fazit: Kein Baum. Die Kugeln könnte ich doch, wie andernorts gesehen, einfach an irgendwelche Bäume in den Wald hängen. Reicht doch.

Dekorierter Weihnachtbaum im Wald

Gegen 11 Uhr am Heiligabend frage ich ein letztes Mal meine Frau. Nur zur Sicherheit. „Soll ich vielleicht doch noch einen Baum holen?“
Die letzte Chance, bevor die Verkäufer ihre Stände schließen.
Nein, soll ich nicht. Wir beide bleiben konsequent.
Kein Baum.
Gut.

Als gegen Mittag die Tochter samt Hund ihre weihnachtliche Aufwartung macht, ist das Wetter klar, trocken, zwar etwas windig, aber relativ warm. Zeit für einen ausgiebigen Spaziergang. Der Hund muss schließlich noch mal raus, braucht Auslauf… Sie kennen das. Der Hund ist ein optimaler Vorwand!

Der Weg führt uns in den Wald, etwas abseits der üblichen Runde. Wir marschieren dorthin, wo uns mutmaßlich niemand entgegenkommt, schon gar keine Familien, denn davon sind viele unterwegs. Auch die Kinder brauchen Auslauf. Sonst werden sie vor lauter Warten auf das Christkind am Ende noch närrisch. So war das zumindest bei uns früher, da wurden wir am Nachmittag noch einmal durch die Siedlung geführt, damit die Zeit bis zur Bescherung nicht ewig andauerte.
Es gibt Eltern, die machen das heute noch so, andere vertrauen derweil mehr auf die Zerstreuung der öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Sender und parken ihren zunehmend hibbeliger werdenden Nachwuchs vor der Glotze.
Mit Hunden geht das nicht – also ab in den Wald, runter von den Hauptwegen. Wir folgen einem Trampelpfad, der sommers gern von Mountainbikern genutzt wird durch eine Fichtenplantage. Hier kann der Hund sausen. Niemand ist da, niemand stört das, nicht mal das heimische Wild, das längst einen schlanken Fuß gemacht hat, seit in der Vorwoche die Waldarbeiter einer jungen Fichte nach der anderen den Garaus gemacht haben. Weit saust das Hundetier ohnehin nicht davon, sie könnte ja was verpassen.
Die Hinterlassenschaften der Waldarbeiter sind überall zu sehen. Berge abgeschnittener Äste liegen überall herum. Die kahlen, entasteten Stämme allerdings sind abtransportiert.
Am Wegesrand entdecke ich eine Fichtenspitze. Etwa einen Meter sechzig hoch.

„Schaut irgendwie auch aus wie ein verloren gegangener Weihnachtbaum!“ merke ich an und weiß in dem Moment, dass das ein fataler Fehler war. Töchterchens Blick sagt alles. Ich soll ihn mitnehmen. Also werde ich ihn mitnehmen.

Ich schleppe die einst in den Himmel ragende Fichtenspitze vom Waldpfad mit nach Hause. Da also haben wir ihn den Weihnachtsbaum, der eigentlich nie einer war an einem Ort, an dem gar keiner mehr hinkommen sollte. Den ganzen Weg überlege ich, was ein unbeteiligter Spaziergänger jetzt davon denkt, wenn einer quer durch den Wald eine Fichtenspitze schleppt. Dass wir die gefunden und nicht etwa irgendwo umgelegt und geklaut haben, sieht man ihr schließlich nicht an.

Weihnachtsbaum vor der Tür

Aber hätten wir sie uns – trotz Fundstück – überhaupt aneignen dürfen? Geht eine Fundsache nicht erst ein halbes Jahr später, wenn sich kein Eigentümer meldet, in das Eigentum des Finders über.
Man darf nicht containern in Deutschland. Man darf nicht ohne Genehmigung Klaubholz aus dem Wald mitnehmen. Aber eine abgeschlagene Spitze eines Baumes, die offensichtlich nicht mehr ist als Biomüll?
Was, wenn die sich bereits ein Anderer beiseite gelegt hatte und gleich kommt, die zu holen?
So ein properer Baum – und dazu noch kostenlos. Da kann man doch nicht Nein! sagen. Und dem auffordernden Blick der Tochter sowieso nicht widerstehen.

Hätte, hätte, Christbaumdiebstahl. Nix Fahrradkette. Also schleppen.
Als fadenscheinige Ausrede lege ich mir zurecht, sollte ich angesprochen werden, zu antworten, dass wir dem Hund Hol Stöckchen! beibringen, auch wenn der Stock wohl deutlich überdimensioniert ist.

Daheim wird der Baum unten gerade abgesägt, der Ständer für den Weihnachtsbaum ist schnell gefunden und der Baum in der guten Stube aufgestellt. Er wird dekoriert, darf zumindest den Abend über im Haus stehen – trotz tobendem Hund. Und am nächsten Tag, also den ersten Feiertag schmeißen wir ihn gerade wieder hinaus. Weil das so Usus ist hierzulande? Das machen ja viele.
Aber in die Tonne kommt er nicht, Mit Lichtkette, Sternspitze und Strohsternen steht er nun vor der Haustür. Zumindest noch ein paar Tage.

Und als es auch noch anfängt zu schneien, strahlt der Baum ganz besonders.

Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen

Weihnachten ohne Weihnachtsbaum?

Konsequent bleiben. Läuft bei uns.


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Aber… weiß man’s?

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2 Antworten

  1. Das ist ja ein sehr nette Geschichte vom Weihnachtsbaum 2020.
    Ich wünsche Euch einen guten Rutsch ins Neue Jahr.
    Viele Grüße Traudl

  2. Ulrike sagt:

    Super. Ich habe herrlich gelacht. Und an den zurückgelassenen Engel erinnere ich mich sehr gut, denn auch bei uns steht so einer auf dem Ofensims. Und er bleibt da, weil ich es, seit eben diesem Betrag, sehr lustig finde!
    Komm gut ins Neue Jahr!
    Ulrike

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