Wir sind mehr – die Demo gegen rechts in München

Da sind sie also wieder. Bzw. wir. Da sind wir wieder. Wir, die „linksradikalen Kampfverbände“ wie Kurt Wansner, CDU Abgeordneter in Berlin die Demonstrant:innen gegen rechts nennt. Oder von Linksterroristen unterwandert, wie es Bayerns Rechtsaußen-Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger sieht und deshalb der Demo gegen rechts in München fernbleibt. Das hält seinen Parteifreund, den Fraktionsvorsitzenden der Freien Wähler, Florian Streibl allerdings mitnichten ab, mitzugehen bei einer Demo, die unter anderem von Fridays for Future organisiert wurde. Das wiederum hat Münchens CSU Chef Georg Eisenreich zu der Pöbelei veranlasst, FFF habe keine Legitimation, eine solche Veranstaltung zu organisieren, so lange sich die Bewegung nicht entschieden genug von Greta Thunberg distanziere. Was bei mir die allerdings die Frage aufwirft, wie sich eine Partei, die sich nicht von Abseits-Hubsi Aiwanger distanziert sondern in die Regierung hievt, überhaupt beanspruchen kann, ein moralischer Kompass zu sein. Anderes Thema.

Am Münchner Siegestor und auf der Leopoldstraße sehe ich weder Linksterroristen noch linksradikale Kampfverbände. Ich sehe die bürgerliche Mitte, mobilisiert von über dreihundert (!) Vereinen, Verbänden, Organisationen und Institutionen jeglicher Coleur, außer der braunen: Junge, Alte, Familien. Und – oh Wunder – die Veranstaltung findet auch mit Beteiligung der bayerischen Staatskanzlei, also der CSU statt (zumindest steht es so in der Zeitung) und wird im Nachgang von Markus Söder via Twitter über den grünen Klee gelobt, dass es vor populistischer Anbiederei nur so trieft.
Als ich mit über 100.000 anderen Demonstrant:innen (die Veranstalter:innen reden von 200.000 bis 250.000, die Polizei von 100.000) auf der Ludwigstraße stehe und mir vergegenwärtige, dass an diesem Wochenende geschätzt über eine Millionen Menschen in zig deutschen Städten aufmarschiert sind gegen rechts, ist mir klar: Wir sind mehr.

Das spürte ich schon das erste Mal in der U-Bahn auf dem Weg in die Stadt. Station um Station füllt sie sich, ich habe noch nie so viele Menschen in der U-Bahn und den Bahnhöfen erlebt: Nicht mal zur Wiesnzeit.

Wir sind mehr - Gedränge an der U-Bahn

Wir sind mehr. Es tut unglaublich gut, das zu wissen. Wie auch, von vielen Menschen aus meinem Bekanntenkreis zu hören, dass sie auch auf Demos waren, vor allem von denen, bei denen ich das nie gedacht hätte. Denn den meisten wird langsam klar: Es reicht nicht mehr, ein paar Memes im Netz zu liken oder zu teilen. Wir müssen mehr tun. Aber es wird auch nicht reichen, an einer Demo teilzunehmen und sich dann wieder der Sofagemütlichkeit hinzugeben.
Das Minimum an mehr ist es, konsequent zu den Wahlen zu gehen und demokratische Parteien die Stimme zu geben. Und mehr geht immer.

Wir sind mehr - Die Menschen strömen zusammen

Auch wenn wir vermutlich keine AfD-Wähler:innen umstimmen können, hoffe ich doch, dass das politische Bewusstsein sich durch diese Demos in unserer Bevölkerung wieder schärft, dass sich die Menschen klar werden, dass Nicht-Wählen nie eine Alternative darstellt und nur den äußerst rechten Teil der Gesellschaft stärkt, denn hier weiß man seine Anhänger:innen zu den Urnen zu bewegen.
Und ich hoffe, dass Menschen, die von rechter Gesinnung bedroht sind und diskriminiert werden, das Signal empfangen: Ihr seid nicht allein, wir stehen zu und neben Euch – und wenn nötig auch zu Eurem Schutz vor Euch. Egal, ob mit Migrationshintergrund, ob Ausländer:in, LGBTQ, krank oder behindert.
Wir sind die Brandmauer.

Wir sind mehr - Schild mit der Aufschrift: We are one mit einer hellen und dunklen Hand

Wir sollten es zumindest sein. We are one!

Als die Band Kavka gerade die Massen bewegt, kommt die Durchsage, die einerseits unglaublich schade ist, andererseits erwartbar und auch Mut macht. Die Demonstration wird abgebrochen, weil die Menschenmassen, die noch immer zum Siegestor strömen, die 200.000 überschritten hat. Es könnte gefährlich eng werden. Sicherheit geht nun mal vor.
Es sind letztlich, viel mehr Teilnehmer:innen, als die Veranstalter erwartet haben. Vom Odeonsplatz bis zur Münchner Freiheit stehen die Ludwig- und die Leopoldstraße gesteckt voll mit Menschen. Auch in den seitlich einmündenden Straßen drängt es sich dicht. Das geschieht, noch bevor sich der Zug überhaupt in Bewegung gesetzt hat.

Wir sind mehr - auf der Straße vor der Uni. Menschenmassen demonstrieren

Schade finde ich nur, dass die Veranstalter die Massen immer wieder auffordern „Ganz München hasst die AfD“ zu skandieren. Eine Kampfansage gegen die AfD finde ich zwar richtig, den Begriff Hass halte ich allerdings für schlecht gewählt. Man kann nicht gegen eine Partei, ihre Hetze und ihren Hass demonstrieren und gleichzeitig genau das gleiche Vokabular lautstark durch die Straßen brüllen. Hier hätte ein anderer Slogan besser getan. Vielleicht wäre es auch sinnvoller gewesen, herauszubrüllen, für und nicht gegen was wir sind: Für Toleranz und Offenheit, Diversität, Inklusion… Es gäbe so vieles.

Wir sind mehr - die Ludwigstraße, gesteckt voll

Wir sind mehr - Schild mit der Aufschrift: Lieber BVB als AFD

Trotzdem hat natürlich Aiwanger, der sich lieber ins Allgäu verkrümelt hat und zeitgleich die Bauern zu weiteren Protesten gegen die Ampel anstachelt, nicht ganz unrecht. Die Demo wurde unterwandert.
Massiv.
Aber nicht so wie er meint. Nicht linksextremistisch sondern schwarzgelb.
Das ist besser – viel besser.
Für mich ist das das Schild des Tages.
Völlig außer Frage.

PS: Noch n‘ Schild, dass es verdient, zitiert zu werden:
Alle Kinder lieben die Demokratie – nur nicht Björn. Der will sie zerstör’n.

Das werden wir zu verhindern wissen.


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1 Antwort

  1. Ulli sagt:

    Endlich mal Einer, der schreibt, was mich auch bewegt: es wird nicht reichen jetzt auf eine Demo zu gehen und sich es dann wieder gemütlich zu machen. Es ist eine Aufgabe, die langen Atem braucht, die Rechten nicht weiter erstraken zu lassen, es fängt ja schon bei unserer Sprache an und geht weiter, wie entschlossen oder nicht sich jede und jeder verhält, wenn eine Kollegin/ein Kollege, Verwandte etc. rumwettern und rechten Müll von sich geben. Wählen gehen ist eben auch nur eins davon, aber immens wichtig!
    Herzlichst, Ulli

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