Wetterleuchten – Irgendwas zwischen Twister und Hopper

Ein wenig ist es wie bei Twister, wenn auch nur in der sparsamen Variante.
Und ein wenig ist es vielleicht auch wie bei Edward Hopper, dem Meister des amerikanischen Realismus und perfekten Interpreten der Einsamkeit des modernen Menschen und der Leere des Lebens.
Ich weiß, die Vergleiche hinken – und sind doch zugleich kühn.
Worum geht es?

Gewitter ist im Anzug, der Mond verdunkelt sich zunehmend, Wolken schieben sich davor.Wetterleuchten - Mond

Im Westen türmen sich Wolkenberge. Ein fernes Wetterleuchten, dazu das ununterbrochene Grollen und Grummeln der Donner. Die Gewitterzelle ist noch ziemlich weit entfernt, irgendwo westlich von uns. Das ist der Twister Moment. In aller Ruhe und Gemütlichkeit hole ich das Linhof-Stativ, falte es auseinander und schraube die Kamera oben auf. In der Nachbarschaft beschäftigt man sich mit Kontrollgängen durch die Gärten. Was die einen eher beunruhigt, nämlich das herannahende Unwetter, macht mich neugierig:
Wetterleuchten - Gewitterwolken
Katwarn kündigt ein heftiges Gewitter mit Starkregen an, rät, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, und dazu gehört es eben auch, alles, was der Sturm durch die Gegend blasen könnte, zu sichern.
Ich bin entspannt, furchtbar lässig, wenig beeindruckt und gleichzeitig gespannt. Zuckende Blitze habe ich noch nie fotografiert. Heute will ich es das erste Mal wagen. Unser Garten – überhaupt das ganze Grundstück – geben aber nicht das richtige Ambiente ab. Eigentlich müsste ich zum Feld vor. Der Blick auf den Kirchturm, dahinter das Gewitter und zahlreiche Blitze. Regen, Schnee, Sonne, Saharasand, Vollmond – die olle Zwiebel von St. Martin ist immer wieder ein Foto wert. Ein Gewitter fehlt noch. Das hatte ich noch nicht.

Dagegen spricht plötzlich einsetzender Regen, der mich pudelnass machen würde und der Kamera wohl auch nicht so gut bekommt. Ich bin halt kein Enthusiast, der für ein gutes Foto viel opfert bzw. Unanehmlichkeiten akzeptiert. Eher so die Couch-Variante.

Also beschließe ich, Nachbars Tankstelle als Motiv zu wählen. Und damit kommen Edward Hopper und sein lakonisch-melancholischer Stil ins Spiel.  Denn als Bildmotiv entscheide ich mich für die Tankstelle des Nachbarn, die für heute schon geschlossen hat.er Stil ins Spiel. Wenn Sie wollen, dürfen Sie alternativ auch spekulieren, ob hier die Bildsprache von David Lynch oder Wim Wenders abgekupfert wurde…

Das Wetterleuchten färbt den Himmel tief violett. Es ist vollkommen unwirklich. Die absolute Ruhe vor dem Sturm. Wäre da nicht Wetterleuchten und Donnergrollen.
Kein Lufthauch, kein Mensch weit und breit – minutenlang kein Auto auf der Straße. Manch Blitz hinter den Wolken lässt für eine Sekunde alles taghell erscheinen.

Wetterleuchten

Ich stelle mein Stativ an den Straßenrand auf der gegenüberliegenden Straßenseite, richte es immer wieder aus aus und warte. Vielleicht ist die Kombi Einsame Tanke mit Blitz ganz reizvoll. Immer wieder fokussiere ich Tankstelle und Wolkenhimmel. Die vorbeifahrenden Autos bremsen nervös ab. Blitzt da einer? Ja, aber nicht am Straßenrand. Das kommt von ganz oben. Und das ist auch verdammt weit weg.

Wetterleuchten

„Warum soll ich nicht  auch mal so tun als ob?“, denke ich. Natürlich würde natürlich ich nicht die den Berg hochkommenden Fahrzeuge frontal anblitzen, das könnte ja ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr sein. Aber mein etwas nervöser Finger tippt – rein zufällig natürlich – immer sachte wieder auf den Auslöser, wenn sich ein Auto nähert. Nur ganz leicht, um den Fokus zu aktivieren und da gibt es eben ganz kurz das rote AF-Hilfslicht.

Wetterleuchten

Das reicht ganz offensichtlich aus, dass die Fahrzeugführer in mir eine Radarfalle vermuten. Ausnahmslos jedes Fahrzeug bremst ab, meine besondere Freude, denn an dieser Stelle wird gern schon mächtig Vollgas gegeben, denn es folgt eine längere Gerade. Zwar wohnen wir noch innerhalb der geschlossenen Ortschaft, aber viele Trottel heizen vor allem abends gern mit überhöhter Geschwindigkeit die Hauptstraße entlang. Zack Foto:

Wetterleuchten
Der Nachbar sieht mein Treiben, kommt auf einen kurzen Plausch vorbei, derweil in der Ferne das Wetterleuchten und Donnern zunimmt. So richtig will sich das Gewitter aber nicht in unsere Richtung begeben. Kaum Blitze, nur Wetterleuchten. Auch die zweite Zelle, die sich nordöstlich von uns aufbaut, wird unser Dorf nicht erreichen sondern nur streifen. Wir sind nicht undankbar darüber.

Wetterleuchten
Während über Aying und in Richtung Wolfratshausen Hagelzellen entstehen und tischtennisballgroße Hagelkörner auf Autos, Häuser, Felder und Gärten niederprasseln, bleibt es bei uns ruhig.
Vieles geht dort in der Nacht zu Bruch: Autoscheiben, Fenster. Die bereits hoch stehende Gerste fetzt es ebenfalls ordentlich zusammen. Davon bleiben wir verschont. Wie fast immer zieht auch dieses Gewitter westlich vorbei über den Ebersrberger Forst nach Süden.

Wetterleuchten

Auch die Gewitterzelle, die sich östlich von uns gegildet hat, streift uns an diesem Abend nur sanft. Nach eineinhalb Stunden am Straßenrand ohne Regen, aber eben auch ohne Blitze, dafür mit fulminantem Wetterleuchten und irgendwann abklingendem Donnergebrüll, packe ich mein Zeug ein. Das war wohl nichts mit Thunderstorm-Spotting.
Ich habe allerdings auch keine Lust, ins Auto zu springen und twister-mäßig den Gewitterjägern nachzueifern.

Schließlich fahre ich auch keinen uralten Truck, bei dem es vollkommen egal ist, damit durch einen Hagelschauer zu düsen um einen bestmöglichen Standort für gute Fotos zu finden. Dann halte ich mich lieber an Edward Hopper und die Leere des modernen Lebens – auf dem Land ist das ja nicht so das Problem…Wetterleuchten

Sicher würden vor unserer Tür m 20 Uhr spätestens die Bürgersteige hochgeklappt. Gäbe es welche…

PS: Eineinhalb Stunden später schüttet es für etwa 30 Minuten wie aus Eimern. Mehr war nicht.


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1 Antwort

  1. Brigitte sagt:

    Klasse Beitrag, liest sich spannend und schmunzeln musste ich über die abbremsenden Autos.
    Viele Grüße, Brigitte