Schulwegprobleme – So war das eben…

Schulwegprobleme? Gab's nichtFrüher, also in den Jahren, als wir nichts hatten (Sie erinnern sich?) hatten wir auch keine Schulwegprobleme. Unsere Grundschule lag einen knappen Kilometer von unserem Elternhaus entfernt – kein Grund, dass meinen Bruder und mich jemand zur Schule gefahren hätte. Wie auch? Ein zweites Auto gab es in der Familie nicht (niemand hatte das in der Straße), Schulbusse gab es nur für weiter entfernt wohnende Kinder, der Linienbus wäre auch nicht in Frage gekommen, schon aus Kostengründen. Und unser Vater hätte dem nie eingewilligt, er war Zeit seines Lebens in der Vorstellung, beruflich permanent erreichbar und auf Abruf zu sein, sofort losfahren zu können, wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft ihn als Gutachter benötigten. Unvorstellbar, wenn er da hätte uns zur Schule fahren können.
„Nö, nö, ihr seid alt genug, geht mal schön alleine. Das hat noch niemandem geschadet. Wir früher…“ Und so weiter.
Also trabten mein Bruder und ich vier Jahre morgens hin zur Schule und mittags zurück. Zwei alternative Routen gab es, eine hätte uns an einer damals schon recht stark befahrenen Straße entlang geführt. Queren hätten wir sie nicht müssen, aber meinen Eltern war es lieb, dass wir den etwas weiteren Weg durch den alten Stadtteil nahmen – ein Siedlungsgebiet der Vorkriegszeit, in dem es auf einigen Straßenabschnitten nicht mal Gehwege gab. Das machte aber nichts, Autos fuhren dort ohnehin kaum. Die einkaufenden Hausfrauen klapperten die Läden zu Fuß ab, den Korb und die Tasche in der Hand, die Älteren mit Hackenporsche, heute etwas smarter Einkaufstrolley genannt. Da wäre gar keiner auf die Idee gekommen, mit dem Auto zum Metzger oder Bäcker zu fahren.
Zur Schulwegsicherheit bekamen wir in der ersten Klasse ein oranges Käppi der Deutschen Verkehrswacht, damit uns die Autofahrer besser sehen konnten. Die Mädchen bekamen – Achtung!! – statt der Kappe ein orangefarbenes Kopftuch. So war das eben damals. Die Lösung für alle Schulwegprobleme, überreicht vom freundlichen Verkehrspolizisten.
Getragen hat nie einer die Kappe und das Kopftuch erst recht keine Mitschülerin. Hätte es das Wort uncool damals schon gegeben, es hätte perfekt ausgedrückt, was wir empfanden. Aber solche schönen Wörter hatten wir ebenso wenig wie Schulweghelfer, die an Übergängen und Ampeln standen und mit Kellen die vorbeirauschenden Autos zum Halt zwingen.

Laut Google Maps beträgt die Wegstrecke ca. 14 Gehminuten, wir haben sicher länger gebraucht – es gab eben immer was unterwegs, was uns aufhielt. Den Weg durch die Siedlung bevorzugten wir schon alleine deshalb, weil die meisten Mitschüler diesen auch nutzten, so konnte man im Pulk gehen (wenn man wollte), und gleich die notwendigen Termine für den Nachmittag ausmachen. Handies gab es nicht, wir konnten (und mussten) uns von Angesicht zu Angesicht verabreden. Und wer das versäumte, der war eben genötigt, nach der Erledigung der Hausaufgaben loszutraben, bei den Kumpels zu klingeln und sein Verslein aufzusagen: „Ähm, guten Tag Frau Pf., ich wollt fragen ob der Ecki zum Spielen rauskommt“.
Mal freundlich, mal gereizt, mal unwirsch antworteten die Mütter entweder mit „Nein, weil…“ oder plärrten den Namen ihres Sohnes durchs ganze Haus, er solle mal an die Tür kommen.
Wie wir Kinder es damals geschafft haben, trotzdem im Rudel von sechs bis acht Jungs in den kleinen Wald zum Spielen zu ziehen – heute ohne WhatsApp-Gruppe oder Doodle-Termin unvorstellbar.Verwaiste Straßen
Ebenso unvorstellbar, wie wir es geschafft haben, im Straßenverkehr zu überleben. Überhaupt zu überleben.

Schaut man sich heute die Grundschulkinder an, fragt man sich in meiner Generation, warum diese nicht die regelkonformen, logischen und überlebenssichernden Verhaltensmuster beigebracht bekommen, die Schulwegprobleme im Straßenverkehr alleine zu lösen. Stattdessen überbrücken Muttis diese todbringenden Wege, indem sie ihre Zwerge mit ihren SUV-Panzern bis direkt vor die Schule fahren. Nicht, dass die Kleinen da aussteigen und losmarschieren… nein: Muttis halten vollkommen regelwidrig und begleiten die Kleinen direkt vor die Eingangstür. Wenn mittlerweile nicht mehr und mehr Schulen es untersagt hätten,  würden sie wohl noch bis ins Klassenzimmer mitkommen… und später zur Einschreibung an die Uni (Ja, das passiert tatsächlich!).
Wer zu unserer Schulzeit mal mit dem Auto gebracht wurde, war übrigens auch uncool , ein Baby, ein Mamasöhnchen, ein Shcisser, eine Memme.

Schulbuskinder werden heute mit dem Auto zur Haltestelle gefahren und dort abgeholt. Die Verkehrslage rings um die Schulbus-Haltestellen gleicht dem Brenner zum Beginn der Pfingstferien in Bayern, wenn alle nach Italien düsen bzw. eher schleichen. Chaos pur, vor allem, wenn alle Muttis gleichzeitig losfahren und der Bus noch nicht mal abgefahren ist.

Mein persönliches neuestes Highlight sind Muttis, die den Weg aus der Siedlung zu Fuß nehmen, Kinderwagen vor sich herschieben und die Älteren vom Bus abholen.

Schulwegprobleme? Ich doch nicht

Solch einem Tross begegnete ich unlängst im Nachbardorf. Zwei Muttis vorneweg, emsig ins Gespräch vertieft. Ein halbes Dutzend Kinder, etwa acht Jahre alt, trottete hinterher und machte genau das, was alle Kinder auf dem Schulweg machen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen: Unfug. Da selbst Übermütter keine Augen im Hinterkopf hatten, bekamen die Frauen nicht mit, was sich hinter ihrem Rücken abspielte, was ihr ganzes Abholkonzept eigentlich per se ad absurdum führt. Vielleicht waren sie aber auch nur intensiv ins Gespräch vertieft oder redeten auf die Kleinen ein, die sie vor sich herschoben, nachdem sie diesen wieder die Schnuller zwischen die Zähne gedrückt hatten. „Hat die kleine Genoveva-Bridget ihren Binky wieder verloren? Ei so was… dusiediesi, heitataa…“ Maul auf, plopp.

Als ich mit meinen Wagen den Tross passierte, dabei aber weder die Geschwindigkeitsgrenze überschritt (ich liebe meinen Führerschein und will ihn behalten) noch sehr nah am Bordstein entlang fuhr (ich liebe meine Sommerreifen und will sie behalten), schreckte eine der Mütter plötzlich auf. Mit einem Satz drehte sie sich um, breitete die Arme wie ein Vogel die Flügel aus und presste die gesammelte, vollkommen von so viel Spontanität überraschte und in Schockstarre gefallene Kinderschar in die Hecke des angrenzenden Grundstücks. Beherzt hatte sie die ganze Bande aus der Todeszone, in der sie nie waren, gerettet. Klar, ich hätte theoretisch auf den Bürgersteig brettern  und allen die fauchende Katze auf meinem Kühlergrill in die Arschbacke brennen können. Hab ich aber nicht – nicht mal dran gedacht

Die andere Mutti, die es mit ihrer Selbstoptimierung noch nicht so weit gebracht hatte, dass sie so schnell hätte reagieren können, beschränkte sich derweil darauf, mir einen unflätigen Ausdruck nachzurufen und mir einen Vogel zu zeigen – beides sichtbar im Rückspiegel. Keine Ahnung, was sie gerufen hat, aber interessiert hätte es mich ja schon.

Das wäre der Moment gewesen, massiv in die Bremsen zu treten, was nicht mal einen Auffahrunfall provoziert hätte, da ich der einzige Autofahrer auf der Straße war. Ich hätte anhalten, aussteigen und die Kampfhenne fragen sollen, ob sie ein Rad ab hat. Oder zwei.

Nun weiß man aber, dass evolutionär solche Kampfhennen direkt von den Tyrannosauriern abstammen. Und sich mit denen anzulegen, endet meistens mehr als blutig. Das wissen sogar die lieben Kinderlein, die „Jurassic World“ bestimmt schon daheim auf dem Rechner angeschaut haben. Unbeaufsichtigt natürlich, FSK 12 hin oder her…


Vielen Dank fürs Lesen.
Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, dann freue ich mich, wenn Sie ihn Ihren Freunden weiterempfehlen – z.B. über Facebook, Twitter, in Internetforen, Facebookgruppen o.ä.
Gern dürfen Sie den Artikel auch verlinken.
Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag? Dann nutzen Sie bitte das Kommentarfeld.

Diesen Beitrag weiterempfehlen:

1 Antwort

  1. Petra Sch. sagt:

    Mittags in B./Nordhessen. Vater: „Ist K. schon zu Hause?“ Mutter: „Nein, er laurenzt noch.“
    Das Verb „laurenzen“ beschreibt bei uns in der Familie den Vorgang, nach der Schule noch mit dem besten Freund durchs Dorf zu stromern. Amüsant für mich ist, dass wir letzte Woche einen Brief von einer Sicherheitsfirma bekommen haben, in dem Tipps für einen sicheren Schulweg aufgeführt sind. Ganz wichtig: Üben sie mit ihrem Kind einen festen Schulweg, der ohne Umwege und in einer bestimmten Zeit zurückgelegt werden muss. (Das Kind könnte ja sonst verloren gehen und Mama bemerkt es nicht.) Leider gehöre ich zu den beratungsresistenten ewig gestrigen Müttern, die die Gefahren des Schulweges nicht wahr haben wollen. Sonst könnte ich dir den Brief zukommen lassen. So ruht er aber schon seit Tagen in den Tiefen der Altpapiertonne.

Entdecke mehr von Mal Zwetschgenmann - Mal Wassermann

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen