Vom (bayerischen) Recht auf Gegend
Corona und die eingeschränkten Möglichkeiten treiben die Menschen nach draußen ab in die Landschaft, ab in die Gegend. Ihr Ziel neben den vollkommen überlaufenen Naherholungsgebietet in die Wälder… Es ist wieder dieses merkwürdige Verhalten frischluftbedürftiger Großstädter zur Corona Zeit, das die Parkplätze in unserem Dorf am Waldrand überquellen und die Spazierwege zu wahren Rennstrecken werden lässt.
So geht das seit Tagen. Tag für Tag melden Polizei, Medien und eine immense Zahl der Social-Media-Nutzer die Massenanstürme der Naherholungsgebiete im Sauerland, Schwarzwald, dem Harz, Taunus, Voralpenland…
Obwohl in den Skigebieten die Liftanlagen geschlossen haben, staut es sich kilometerweit vor den Skigebieten. Ein wenig rodeln, Skitouren gehen, was auch immer die Leute da wollen – vor allem aber wollen Sie eines: Raus an die frische Luft.
Wie bereits im April erwähnt: Ich kann das verstehen. Die Leute wollen raus. Sie sind frustriert, genervt, gelangweilt. Der klassische Budenkoller.
Die Akzeptanz in die Coronaschutzmaßnahmen scheint dabei bei vielen mehr und mehr nachzulassen.
Schon während der Weihnachtsferien rief der völlig entnervte Landrat von Miesbach Olaf von Löwis per SMS bei seinem Übervater, dem bayerischen Oberzuchtmeister Markus Söder, per SMS um Hilfe.
Warum?
Die Münchner und die Bewohner der Trabantenstädte rings um München haben die Region um den Spitzingsee überrannt. Sie haben es gewagt, einfach Ausflüge in seine Region zu machen, statt in ihren Wohnungen zu bleiben. Der Appell „bleibt zu Hause“ müsse durch Regeln bei der Ausgangsbeschränkung untermauert werden, forderte Löwis die Staatsregierung auf. Sprich: Eine Art Betretungsverbot für Menschen aus anderen, vor allem dicht besiedelteren Landkreisen und der bayerischen Landeshauptstadt.
Doch war das ein Schuss in den Ofen. Laut bayerischem Innenminister Herrmann gäbe es „das Recht auf freien Genuss der Natur nach unserer Verfassung.“ Und zack war der Landrat abgeblitzt – es gibt keine Ausgangsbeschränkungen, die den Städtern grundsätzlich eine Landpartie verbieten könnten. „Die Menschen dürfen wandern gehen, sie dürfen spazieren gehen“ so Herrmann. Aber wandern in der Stadt ist eben nur bedingt sexy. Also treibt es die Scharen raus ins Umland. Auch an den Spitzingsee, den Kristallisationspunkt der Löwis’schen Erregung. Da geht es zu wie Hölle. Einige haben wohl immer noch nicht begriffen, dass man nicht alles, was man derzeit machen kann und darf, auch machen sollte. Die Eskalation schreitet voran.
Erregte Einwohner in Garmisch-Partenkirchen sollen sogar schon vor Fahrzeuge mit Münchner Kennzeichen gespuckt haben, wohl in der Annahme, einen Ausflügler vor sich zu haben und keinen Neubürger.
Nicht so bei uns im hügeligen Land östlich von München, meiner neuen Heimat. Dort ist es deutlich leerer, entspannter und friedlicher als im Oberland. Kleiner Tipp also an die Städter: Zum Spazierengehen einfach ins ansonsten so oft belachte und verspottete Outback ausweichen. Wir Hinterwäldler haben es nämlich auch ganz nett. Schon, weil wir so viel Gegend haben. Es riecht halt nur manchmal etwas würziger als am Mittleren Ring, dafür weniger nach Abgasen und Feinstaub. Berge haben wir nicht und Schnee zum Schlittenfahren auch noch nicht – kann aber noch kommen.
Also, liebe Städter: Seid willkommen. Da bin ich ganz großzügig und (ich glaube es fast kaum) bin mit CSU-Hardliner Herrmann mal einer Meinung und ganz auf dem Boden der bayerischen Verfassung. Kommt zum Spazieren und Wandern – hier ist noch viel Luft, was bildlich und wörtlich gemeint ist. Aber bleibt gefälligst den vollkommen überlaufenen Gegenden fern.
Wir haben selbst mehrere Jahre in Etagenwohnungen gewohnt, ich weiß, was ein Budenkoller bedeutet. Das aber ist kein Grund, unbedingt dorthin zu fahren, wo alle hinfahren. Ganz abgesehen von dem Schwachsinn, sich stundenlang in den Stau zu stellen, um die letzten Parkplätze zu kämpfen, anderen die Einfahrt zuzuparken und ein Bußgeld oder ein abgeschlepptes Auto zu riskieren. Schon das allein zeigt, wie wenig ein-, weit- und umsichtig so viele Menschen sind.
Dabei könnte es so einfach und entspannt sein, wenn etwas mehr Vernunft walten würde.
Denn niemand muss auf das (bayerisch verfassungsgemäße) Recht auf Gegend verzichten. Gegend gibt es nämlich überall und was zu kucken auch.
Die Formel lautet: Dahin fahren, wohin nicht alle fahren. Es muss nicht immer die schönste Landschaft sein. Nur mal zwischen den Feldern spazieren zu gehen, ist doch auch schön.
Wir wohnen in keiner besonderen Urlauber- oder Ausflüglerregion, die aber wären in relativ kurzer Zeit, sofern staufrei, erreichbar. Muss ich deshalb unbedingt zum Rodeln ins Voralpenland zum Spitzingsee oder an die Promenaden im Fünf-Seen-Land zum Spazierengehen?
Mitnichten.
Auch uns zieht es trotz kleinem eigenen Garten und dem Wald hinterm Haus hinaus ins Umland. Immer die gleiche Runde an immer den gleichen Bäumen entlang wird nämlich auch irgendwann öde. Ein dankbarer Ratgeber ist dabei Outdooractive.com, eine Seite, in der viele nette Touren verzeichnet sind, auch die unspektakulären, die einen zwischen den Feldern der umliegenden Dörfer hindurchführen – fernab der stark frequentierten Rennstrecken und Wanderrouten.
Zu sehen gibt es überall etwas, manchmal sogar die Sonne, zu fotografieren auch: Amseln, Hühner, Katzen, Pferde, Schafe, Bäume, Wege, Felder.
Noch einmal: Der Vorteil dieser ausgewählten Touren, die weit genug entfernt sind von Naherholungszielen oder den Abfahren der Autobahnen, die in unser „Outback“ führen: Man ist ziemlich allein auf weiter Flur. Keine Menschenmassen, keine Völkerwanderungen, kein Parkplatzchaos.
Und mit etwas Glück findet man auch eine leere Bank, um sich einen Moment die Wintersonne ins Gesicht scheinen zu lassen. Im zweiten Lockdown ist das ja noch erlaubt. Man dürfte dort sogar ein Buch lesen.
Rummel und Menschenmassen lassen sich vermeiden ohne deshalb in den eigenen vier Wänden hocken bleiben zu müssen. Man muss es eben nur wollen und sich ein paar Gedanken machen, wie das am besten geht. Ob man sich nun ins Auto setzt und 50 Kilometer oder mehr im Stop-and-Go in die Mittelgebirge juckelt oder sich ins Auto setzt und in 20 Minuten irgendwo in einem „Kaff im Outback“ ist, und dann dort gut geführt mit Outdooractive eine Rundwanderung macht, ist schon ein erheblicher Unterschied. Und ein Zeichen von Intelligenz.
Die Bilder entstanden bei Spaziergängen am 26.12.2020 bei Bernau, am 29.12.2020 bei Ebersberg, am 30.12.2020 bei Kirchasch, am 31.12.2020 bei Gars am Inn und am 01.01.2021 in unserem Dorf.
Für solche Eindrücke muss niemand in die überlaufenen Naherholungsgebiete fahren. Gegend reicht.
Vielen Dank fürs Lesen.
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Oberzuchtmeister Söder klingt gut:-)
In den Städten geht es übrigens mindestens so zu wie in den Skigebieten, wenn nicht sogar schlimmer. Sie gehen nachmittags spazieren, mit Familie oder 1-2 Begleitern zum quatschen. Schweigen ist ja auch öde. Natürlich ohne Maske und übersieht dabei das 30 andere Menschen das auch machen und Abstandhaltung schon nicht mehr möglich ist. Vor allem da wo nicht gerade eine Hauptverkehrsstrasse ist, wenn dann noch ein Fluß oder Bachverlauf existiert und ein paar Bäumchen, dann ist es da voll. Aus dem Recht auf Gegend wird ein Recht auf Menschenansammlung