Was wäre Melk ohne Adson – und ohne Renate?
64 Meter über dem alten Arm der Donau erhebt sich auf einem Felsen das Stift Melk. 2015 waren 570.000 Besucher dort und haben die Benediktinerabtei, ihr Museum, die Klosterbibliothek, die Kirche und das Grab des Heiligen Koloman besucht.
570.000 Personen – das sind enorm viele Menschen. Vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass dort zumindest im Winterhalbjahr nur zweimal täglich Führungen angeboten werden: Morgens um 11 Uhr und dann wieder um 14 Uhr. Da kann es schon mal eng werden in so einer Gruppe und deshalb hetzt Renate ihren Harald vom nahegelegenen Parkplatz zum Ticketoffice.
„Jetzt beeil Dich halt mal“, fährt sie ihn an, als er auf einem Treppenabsatz stehen bleibt und den herrlichen Ausblick über die Anlage genießt. Zwar haben die beiden noch über eine Dreiviertelstunde Zeit, aber wer sich nicht beeilt, der nicht gewinnt. „Nachher ist die Führung ausgebucht und wir kommen nicht mehr mit rein. Und das nur, weil Du so rumtrödelst. Schauen kannst Du später immer noch. Jetzt müssen wir erst mal sehen, dass wir an die Eintrittskarten kommen…“
Ist es nicht herrlich, Renate an den schönsten Ecken der Welt zu treffen?
Überall findet man sie. Sie verschönert Landschaften und Gebäude und gibt den Führungen durch Kunst- und Kulturstätte erst die richtige Note.
Eigentlich braucht Renate keine Führung. Sie kennt sich auch so aus. Die wichtigsten Dinge hat sie sich vorher im Netz durchgelesen und klugerweise hat sie einen Übersichtsplan über die Klosteranlage ausgedruckt. Den Zettel faltet sie auseinander, während sie der charmanten Führerin Monika folgt und dabei ihren Worten lauscht. Das macht sie aber nicht allein aus Bildungsbeflissenheit, denn natürlich wartet sie auf den Moment, in dem Frau Monika ihre Ausführungen unterbricht. Dann hakt sie mit sorgsam vorbereiteten und platzierten klugen Fragen ein. Angelesenes wird so weiterverkauft und zugleich verdichtet.
Und natürlich versucht sie, auch immer wieder Hinweise auf Umberto Ecos Bestseller Der Name der Rose zu platzieren. Immerhin geht es dort auch um Benediktiner. Eine der zentralen Figuren des Buches heißt zudem Adson von Melk.
„Gelesen hab ich das nicht, aber immerhin angefangen. Und dann kam ja der Film. Wissen Sie“, sagt sie zu Monika, während die geführte Gruppe von einem zu dem nächsten Raum trottet, „Das war ja der Connery. Kennen Sie sicher. Oder?“
Monika, die nicht sofort antwortet, weil sie damit beschäftigt ist, die Häupter der ihr anvertrauten Besucher durchzuzählen, wird weiter belehrt:
„Sean Connery. Der erste James Bond. Den müssen Sie doch kennen. Das Buch vom Eco das war dann doch etwas zäh…“ stöhnt sie. „Aber der Film war großartig. Stimmt’s Harald?“
Sie zupft ihren Mann am Ärmel, der mechanisch nickt aber vermutlich nicht die geringste Ahnung hat, wovon Renate gerade redet.
„Der hat uns beiden richtig gut gefallen. Wir haben den dann auch später noch mal im Fernsehen angeschaut. Beim ersten Mal bekommt man ja nicht alles mit. Aber wer damals den Adson gespielt hat, das weiß ich nicht mehr. War so’n junger Kerl. Von dem hat man aber auch wohl nie wieder was gehört…“
Nachdem sie ausgeführt hat, dass sie den Namen Melk das erste Mal in dem Film gehört haben, wendet sie sich wieder den eigentlichen Themen zu, weshalb sie gekommen sind. Wie denn das nun gewesen sei mit Maria Theresia im Stift, will sie präzisiert wissen und ob das nun für Zitate aus der Klosterregel der Benediktiner seien, die dort auf Latein über der Tür stehen, und was die überhaupt heißen?
Mit ihrer Fragerei nimmt sie nicht nur die Führerin der Besuchergruppe in Beschlag sondern auch alle anderen Teilnehmer. Zumindest denkt sie das. Aber das ist ein Irrtum. Das Gros beschäftigt sich lieber damit, blitzlos im Stift herumzufotografieren, was in den meisten Fällen ergebnislos bleiben wird – genauso wie Renates gescheites Getue.
Auch Harald, der Oper ihrer Belehrungen ist, hat innerlich mal wieder auf Durchzug geschaltet. Während nämlich Monika die Legende des Heiligen Koloman gerade zu Ende erzählt hat, fügt Renate an Harald gewandt hinzu, was sie über den unglücklichen Iren gelesen hat, der zur falschen Zeit am falschen Ort und daher von den Österreichern erst gefoltert und dann ermordet worden war. All das, was die Führerin ausgelassen hat, kommt nun von Renate. Und sie vergisst auch nicht zu erwähnen, dass es im Salzkammergut einen Kolomannsberg und eine Kolomannskirche gibt.
„Erinnerst Du dich?“ zieht sie ihn in das Gespräch mit hinein. „Da waren wir doch mal.“ Sie lacht auf. „Meine Güte, was musstest Du bei dieser Wanderung schnaufen. Bist ja kaum voran gekommen. Wie so ein altes Dampfross.“
Harald schweigt und plant sicher mal wieder, wie er auf die Schnelle einen tödlichen Unglücksfall für seine Frau inszenieren könne.
Schon zuvor auf dem Altan, als die Führerin die Besucher noch einmal daran erinnerte, dass in der Bibliothek Fotografierverbot herrscht, hat er darüber nachgedacht.
Denn da beeilte Renate sich, Monika choram publico zuzustimmen, wie unmöglich sie das findet, dass die Leute permanent überall Bilder machen. „Noch dazu mit diesen albernen Stangen. Wie aufdringlich“, erregt sie sich. „Kein Respekt vor den Gebäuden und der Kultur. Fürchterlich. Stellen sich in Gruppen vor ein Gemälde und knipsen sich… stundenlang. Rücksichtslosigkeit!“
Dabei schaut sie verächtlich auf eine Familie, die sich der Führung angeschlossen hat und sich nun – die Wachau im Hintergrund – an der Mauer des Söllers aufgestellt hat und sich selbst fotografiert.
Harald hat derweil insgeheim geprüft, ob er Renate aus Versehen über die Brüstung stoßen könnte, aber die ist gemauert und zu breit. Also verwirft er die Idee.
Vielleicht könnte er der Inquisition einen Wink geben, dass sie eine Hexe sei und dringend verbrannt werden müsse. Auf die Idee hat sie ihn sogar selbst gebracht mit ihrem fortdauernden Geschwafel vom Namen der Rose.
Aber so richtig Vertrauen in die heutige Effizienz dieser kirchlichen Einrichtung bei der Lösung seines Problems hat er nicht. Man hat schon allzu lange nichts mehr gehört von laufenden Hexenprozessen. Und selbst Teufelsaustreibungen sind ja mittlerweile eher zum Hobby einiger weniger, emsiger Ortspfarrer verkommen, als dass die Kirche sich in großem Stil dahinter klemmt An wen soll er sich da bitte wenden?
Wie immer er es also dreht und wendet: Rente wird er nie mehr los. Nie.
Wir auch nicht, Harald. Aber tröste Dich, wir sind in diesen finsteren Stunden bei Dir. Auch in Melk.
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Vielen Dank fürs Lesen.
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ich hab Renate als EBook gekauft, vielleicht schaffe ich es, heute mit dem lesen anzufangen, falls an ich nicht wieder stört
…. falls man mich …..
(Korrektur) meine Tastatur spinnt
vielleicht auch meine Finger …..
Na dann beeil Dich mal mit Lesen :). Sieht ja fast so aus, als ob es Renate wirklich demnächst an den Kragen geht…