Man glaubt mir nicht

Hündin Lilu glaubt mir nichtMan glaubt mir nicht, zumindest die Hundedame schon mal nicht.
Wir sind in ein intensives Gespräch vertieft, ich versuche ihr klarzumachen, dass es vollkommen sinnlos, nachgerade Blödsinn ist, vom Rand des Weihers aus Enten anzustarren und hektisch hin und her zu rennen. Die Enten auf dem Wasser interessiert das einen feuchten Kehricht, sie quittieren das närrische Verhalten maximal mit kurzem Geschnatter.
Frau Hund kommt langsam zur Ruhe, ich suche das Gespräch und erläutere ihr, dass sie das einfach lassen soll. Aber die Hundedame interessiert das wenig. Zumindest schaut sie nicht so aus, als ob sie intensiv zuhört und das Gehörte in ihrem Herzen bewegt.
Im Gegenteil: Eher so, als würde sie denken: „Alter, quatsch mich nicht voll!“
Und irgendwann merke ich, dass sie gar nicht mehr bei der Sache ist. Irgendwer oder -etwas hat ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ein scheues Reh, das sich den Bahn durchs Gehölz bricht?
Wohl weniger. Zwei sportelnde Frauen treten auf, kommen strammen Schrittes und in eine Diskussion verstrickt den Forstweg heruntermarschiert. Es wird diskutiert, ob man sich denn wohl noch auf dem rechten Wege befinde. Das ist nicht moralisch oder gar religiös gemeint, man irrt offenkundig durch den finsteren Wald.

Man glaubt mir nicht
Als sie mich sehen, bleiben sie stehen und erkundigen sich, ob ich mich vielleicht hier auskenne.
Das will ich meinen; also bestätige ich, dass ich weiß, wo ich bin und wie die Wege hier verlaufen.
„Wir haben ein wenig die Orientierung verloren“, meint die Dunkelhaarige. Die andere pflichtet ihr bei, dass ja der Wald so groß sei und alles hier so gleich aussähe.  Beide stehen in ihren Lycra-Leibchen, ein wenig zu engen Tights, schwitzend mit roten Köpfen und ihre Walking-Stöcke schlapp herabhängenlassend vor mir.
Auf diese Bemerkung hin reagiere ich nicht. Was hätte ich auch sagen sollen? „Bullshit!“?
Denn zum einen ist der Wald so groß nun auch nicht, zumindest nicht mehr, seit ein Teil davon für den Bau der Autobahn plattgemacht und ein anderer durch diese abgeschnitten wurde. Und selbst in diesem Forst gibt es markante, wieder erkennbare Wegpunkte wie Lichtungen, Hochsitze, alte, mächtige Bäume, eine Birkenanpflanzung. Klar: Wenn man den Weg erst in die eine und dann vielleicht später in die andere Richtung läuft, ist die Birkenschonung mal links, mal rechts. Trotzdem sollte es reichen, zu bemerken: Hier war ich schon mal.
Sei’s drum.

Man glaubt mir nicht im Wald
Man wolle zum Tannenhof, erklärt die Dunkelhaarige, wie weit das sei und wie man denn jetzt weitergehen müsse.
„Das ist wirklich nicht weit, 500 Meter oder 600,“ antworte ich und ihr fallen vor Erleichterung förmlich Steine vom Herzen.
„Sie gehen hier einfach weiter.  Der Weg macht eine sanfte Rechtskurve, dann stößt er nicht ganz im rechten Winkel auf einen anderen Weg. Biegen Sie einfach rechts ab. Danach geht es nur noch geradeaus. Erst noch ein kleines Stück bergab, dann über die Brücke und die Straße und Sie sind am Ziel!“
Das ist ein wenig zu viel der Information, nur um den Weg zu finden, aber ich denke mir, dass zusätzliche Angaben (Rechtskurve, nicht ganz rechter Winkel, bergab, Brücke…) den Verirrten bei ihrer Rückkehr das wohlige Gefühl geben, dass sie richtig sind. Ich jedenfalls mag solche detailreichen Beschreibungen-
Die beiden bedanken sich.
„Wenn Sie es nicht finden sollten, könnte ja heute Nacht ein Suchtrupp aufbrechen,“ erlaube ich mir den schalen Scherz, der mit der Info quittiert wird, sie hätten nicht mal ein Handy dabei um Hilfe zu rufen. Demzufolge können sie sich auch nicht GPS orten lassen um selbst den Weg auf Google-Maps, Komoot oder Outdooractive zu finden. Und eben keinen Suchtrupp rufen.
Nun ja…
Sie stapfen los, ich folge samt Hund in gebührendem Abstand. Ich höre noch die Blondere von beiden sagen: „Siehst Du, ich hab Dir doch gesagt, dass wir hier richtig sind!“
Keine Antwort der anderen. Recht hat sie: Niemand mag solche Rechthaber.

Etwas mehr als zweihundert Meter weiter (nach der Rechtskurve) stößt der Weg auf den anderen. Die beiden stehen an der Gabelung und diskutieren, offenbar unschlüssig, ob man nun links oder rechts weitergehen solle.
Grund der Verwirrung ist offenbar, dass der Weg eigentlich mehr wie eine Art abknickender Vorfahrt mit Einmündung von links ausschaut als wie eine echte Gabelung, zumindest wenn man aus dieser Richtung kommt. Sie schauen zurück, ich deute nach rechts und rufe: „Das richtige Rechts! Da geht’s weiter.“ Ein „Wie ich gesagt hatte“ verkneife ich mir.
Das richtige Rechts spielt an auf stressbeladene Abbiegesituationen im Straßenverkehr, bei dem ich lotsender Beifahrer bin. Auf die Frage „Rechts oder links“ antworte ich bisweilen mit links, meine aber rechts, nur um nach vollzogenem Abbiegen zu erwähnen: „Ich meinte eigentlich das andere links!“ Offenbar vertrauen die zwei Frauen meiner Wegbeschreibung doch nicht so ganz.

Weitere 250 Meter weiter bleiben die beiden wieder stehen. Rechts führt ein Weg zu einer Lichtung. Unschlüssig, ob sie nicht doch abbiegen sollen, wird erneut diskutiert. Schließlich hatte ich ja gesagt: „Rechts abbiegen!“ Und man sei doch noch nicht irgendwo wirklich rechts abgebogen.
Aber ich hatte auch gesagt: „…ein kleines Stück bergab, dann über die Brücke und die Straße und Sie sind am Ziel!“ Die Frauen stehen exakt an dem Stück, an dem es ein kleine Stück bergab geht. Die Straße, die sie queren müssen, kann man schon sehen, sogar das parkende Auto auf der anderen Seite. Wenn man nur richtig hinschaut. Keine 80 Meter sind das.

Man glaubt mir nicht im Forst
Aber vielleicht haben sie auch einfach nur ihre Brillen vergessen.
Wie das Handy.
Also wird um den rechten Weg, den ich ihnen doch gewiesen hatte, weiter gerungen.

Ich sag’s doch: Niemand glaubt mir – obwohl ich recht habe.
Nicht mal der Hund.
Damit muss ich mich wohl abfinden.
Gut, dass ich mich trotzdem auskenne und den Weg zurück nach Hause finde.


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