Gegrüßet seist Du, Landkreisschwimmer
„Entschuldigung, Sie sind doch der Landkreisschwimmer, oder?“ spricht mich die Frau an der Kasse meines Stammschwimmbads an, nachdem wir uns wechselseitig gegrüßt haben.
Ich nicke mechanisch wie verlegen zugleich.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass man sich an der Schwimmbadkasse grüßt, selbst wenn man mit einem 50erCoin wortlos an dem Glaskasten vorbei zum Drehkreuz marschieren könnte. Es ist ein Akt der Höflichkeit. Für Stammgäste („Sie kommen ja wirklich enorm oft zum Schwimmen“) gilt das sowieso – und nicht nur an der Kasse, auch in der Halle. Es dauert zwar bei dem einen oder anderen eine Weile, aber vom beharrlich freundlich Grüßenden Badegast wird man mit den Jahren nicht nur zum Begrüßten sondern auch zum Plauderpartner, je nachdem, wie die aufsichtsführenden Bäderfachangetellten und Schwimmmeister so drauf sind. Das Gastropersonal grüßt ohnehin, aber ich bin mittlerweile an dem Punkt angelangt, an dem ich auch bei einigen Leuten aus dem emsigen Putzteam vom Grüßenden zum Gegrüßten befördert wurde. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Reinigungskräfte von weitaus weniger Badegästen gegrüßt werden, offenbar fällt dem einen oder anderen eher ein Zacken aus der Krone, bevor er jemandem, der mit Schlauch und Flitsche die Gänge vor den Spinden sauber hält, zumindest freundlich zunickt. Und dann muss man sich auch nicht wundern, wenn die selbst auch eher durch einen hindurchschauen…
„Landkreisschwimmer“ hat mich noch niemand genannt, was nicht ganz stimmt, denn so stand es im Dezember letzten Jahres in der Zeitung. Nach Veröffentlichung meines Buches und einer Präsentation mit Musik überschrieb eine der hiesigen Zeitungen ein seitenfüllendes Interview mit „Bahn frei“ und nannte mich im Anlauftext Landkreisschwimmer.
Sicher, ich bin auf diesen Artikel öfter angesprochen worden, noch öfter aber wohl unsere Nachbarn. Die kennen alle und jeden in unserem Dorf, und die sind wohl häufig gefragt worden, ob sie den Menschen, der da in der Zeitung portraitiert wurde, kennen würden. Man selbst habe nämlich keine Ahnung, wer das sei.
Auch nach zwanzig Jahren ist man als Zugroaster in einem rund 1.500 Einwohner zählendem Dorf nicht jedem bekannt. Mag daran liegen, dass wir uns weder in Kirchen noch Vereinen hervortun, mag daran liegen, dass wir keinen Hund haben, mit dem wir permanent Gassi gehen müssen, mag daran liegen, dass die Kinder auch mittlerweile groß sind und wir über Kindergarten und Schule nur zu den Leuten in Kontakt gekommen sind, deren Kinder im gleichen Alter waren.
So bleibt man in der Heimat in gewisser Weise doch ein Fremder, was auch seine guten Seiten hat. Man bleibt auf Abstand und es ist auch nicht unbedingt von allgemeinem Interesse und Gegenstand fortwährenden Geredes, was man so tut bzw. nicht tut.
Der Titel Landkreisschwimmer ist natürlich gar keiner, er bezieht sich lediglich auf meine vielen, vielen Schwimmausflüge zu jedem erdenklichen See und Weiher, der einigermaßen beschwimmbar ist, in unserem Landkreis, den Nachbarlandkreisen, der Stadt München sowie seinem Umland. Längst kenne ich noch nicht alle, aber immerhin schon über 50. Welche das sind, kann man in einem sehr subjektiven Ranking nachlesen. Ich weiß nicht, ob mir dieser Titel so gefällt, ich fühle mich etwas unbehaglich damit, verspricht er doch, mehr zu sein, als man ist. Aber der Artikel stammt vom Dezember, seitdem ist einige Zeit vergangen, so richtig hängen bleiben wird der Landkreisschwimmer an mir nicht.
Sie habe davon in der Zeitung gelesen, auch mein Buch kenne sie, erzählt die Kassiererin und so kommen wir kurz ins Plaudern – über das Buch, übers Schwimmen und überhaupt. Sie kennt sogar meinen Namen.
Und noch einer kennt an diesem Tag im Schwimmbad meinen Namen – einer, den ich schon öfter beim Schwimmen auf der Sportbahn getroffen habe, Stammgast wie ich, allerdings etwas weniger häufig im Haus.
„Du bist doch der Lutz, oder?“
Auch das kann ich nicht verneinen. Mein fundamental schlechtes Gesichtergedächtnis bzw. Gesichter außerhalb der von mir verorteten Umgebung wiederzuerkennen, hilft mir nicht weiter, noch dazu, wenn der andere Schwimmbrille und -kappe trägt. Ich kenne den Menschen nur aus dem Schwimmbad, oder? Woher weiß der meinen Namen? Der prangt zwar seitlich auf einer meiner Schwimmkappen, aber die trage ich heute nicht. Mit der sieht man mich meistens draußen im Weiher oder im Freibad – eben als „Landkreisschwimmer“.
„Ich war“, antwortet er auf eine Frage, die ich gar nicht gestellt hatte, aber die er meinem Gesicht abliest, „mit Günther auf Deiner Lesung.“
Und jetzt weiß ich auch wieder, wer das ist und entschuldige mich, ihn nicht sofort wiedererkannt zu haben. Aber wie gesagt: Im Wasser, noch dazu mit Brille und Kappe, sieht man gleich ganz anders aus.
Finden Sie nicht?
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Ist doch Klasse. So ähnlich geht es mir hier in Sachen Storch.
LG Jürgen
Bei mir ist es umgekehrt. Im Schwimmbad (ohne optische Schwimmbrille) erkenne ich die „anderen“ an ihrer Bademode. Und gebe ihnen Namen von Horizontalschwimmer (übrigens gefährliche „Sorte“) bis jugendlicher Turmspringer. Auf der Straße erkenne ich sie NICHT, werde aber erkannt mit „Sie gehen immer mit so einem gierigen Blick zum Becken“.