Kein Vergessen – für Leopold und Sofie
Nein, ich habe keine Ahnung, wer Leopold und Sophie Einstein waren. Sicher keine „besonderen“ Menschen, einfach Leute wie Du und ich – Leute aus der Nachbarschaft. Sie tragen bzw. trugen seinen sehr prominenten Nachnamen – aber verwandt mit Albert Einstein waren sie wohl nicht. Den Namen mit einem Promienten zu teilen ist ja nun auch keine Seltenheit.
Leopold und Sophie Einstein wohnten einst in Erding in der Langen Zeile, Nr. 4. Das ist dort, wo die wunderbare Stadtapotheke ist, direkt neben dem Erdinger Weißbräu, wohl dem bekanntesten Gebäude der Kreisstadt, zumindest denen, die die Erdinger Werbung des Öfteren im Fernsehen gesehen haben.
Immer wieder treffe ich, wenn ich in Erding bin, Menschen, die das Weißbräu von der anderen Straßenseite aus fotografieren.
Vielleicht ist es nicht die gute Stube, die allerbeste Adresse der Stadt, die liegt vielleicht ein paar Meter am Schrannenplatz, aber auch hier in der Langen Zeile gibt man sich städtisch, aufgeräumt, schokoladenseitig.
Und vor nicht ganz 150 Jahren wohnten hier die Einsteins.
Irgendwann zogen die Geschwister fort. Nach Nürnberg.
Warum?
Das weiß ich nicht.
Von ihrem Schicksal erzählen zwei Stolpersteine:
„Hier wohnte Leopold Einstein. JG. 1880, Verzogen Nürnberg, „Schutzhaft“ 1938 Dachau, Deportiert 1942, Theresienstadt. Ermordet 18.07.1943.“
„Hier wohnte Sophie Einstein. Verh. Buchmann. JG. 1879, Verzogen Nürnberg, Deportiert 1942, Transit Ghetto Izbica. Ermordet.“
Von Sophie also ist zu erfahren, dass sie verheiratet war, mit einem Herrn Buchmann. Was wurde aus ihm? Starb er und zog danach die Witwe zu ihrem Bruder? War er auch mal verheiratet? Oder nicht? Wann zogen die beiden nach Nürnberg? Und warum?
Verzeichnet mit typischer deutscher Akribie ist nur, dass beide in Konzentrationslager deportiert wurden. Dort wurden sie ermordet.
Ihrer beider Schicksale ist heute auf der digitalen Wand der Erinnerung in Yad Vashem verzeichnet, übertragen aus dem Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933-1945 des Koblenzer Bundesarchivs. Sophie wie auch Leopold sind dort erfasst.
Im März 2022 wurden die beiden Steine vom Künstler Gunter Demnig in Erding verlegt. Es sind die einzigen beiden in unserer Kreisstadt.
Werden weitere folgen?
Die Geschwister dürften kaum die einzigen Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes gewesen sein.
Es ist nicht leicht, die Steine zu finden, sie stehen mitten auf dem mit Rädern und Rollern nicht wenig vollgeräumten Gehweg, gerade mal, dass ein Reklame-Kundenstopper nicht direkt über sie gestellt wurde. Wie „verloren“ sehen da die beiden Stolpersteine aus…
Ich frage mich wie groß wohl der jüdische Bevölkerungsanteil in Erding vor der Schoah gewesen sein mag.
Vermutlich sehr klein, draußen auf dem Land im zutiefst katholischen Oberbayern gab es wohl nicht allzu viele Juden. Von Mühldorf, der Kreisstadt des Nachbarlandkreises weiß ich, dass es zu Beginn der Nazi-Terrorherrschaft vier jüdische Familien gab. Die Schicksale dreier dieser Familien sind gut dokumentiert, sie werden in der Dauerausstellung im Mühldorfer Museum aufgezeigt.
Das Zentralarchiv aus Yad Vashem verzeichnet neben Sophie und Leopold Einstein noch ein paar weitere Namen unter der Ortssuche „Erding“: Margit Gutmann, Edgar Ladenburg, der während des Zweiten Weltkrieges in Oberding lebte und Elfriede Seitz, die die Shoah überlebte.
Stolpersteine aber gibt es nicht nur für die jüdischen Opfer des Faschismus. Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es nicht auch andere Opfer des faschistischen Terrors gab: Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Homosexuelle, Widerständler aus kirchlichen Reihen. Gab es davon welche in Erding?
Falls ja: Werden für sie allem Geifer der Neufaschisten in der AfD zum Trotz noch weitere Steine gesetzt?
Die zwei für die Geschwister Leopold und Sophie jedenfalls sind schon mal ein wichtiger Anfang. Auch wenn man ihn fast übersieht.
Vielen Dank fürs Lesen.
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