Hach, was ziehe ich nur an?

Oh, eine Einladung – wie schön.
Doch dann kommt die große Qual:
Hach, was ziehe ich nur an?

Hilfreich ist es immer, wenn auf der Einladung ein Dresscode angegeben ist. Da kann man eigentlich nicht so viel falsch machen, also nicht kolossal over- oder underdressed irgendwo aufschlagen, sich unwohl fühlen, möglicherweise sich blamieren oder den Gastgeber düpieren.
So weit die Theorie.

Als im Bayerisch-Schwäbischen ein Business-Gebäude fertiggestellt wird, lädt der Investor zum Pre-Opening. Nicht etwa zur Housewarming-Party oder zur offiziellen Eröffnung. Nee: Pre-Opening.

Das Pre-Opening an sich lässt schon allerlei Fragen zu, ob man noch vor der Einweihung (so es denn eine gibt) auf der Baustelle herumstiefelt, auf Estrich steht, über Paneele und Planken den noch nicht fertigen Außenbereich durchschreitet, ob überhaupt schon Sanitäranlagen vorhanden sind, und… und… und…

Während also das Entscheidende unklar bleibt, erhält die Haute Volée der Region und die, die sich dafür hält, wie auch die bucklige Nachbarschaft des Bürohauses Einladungskärtchen zugeschickt, man möge doch das Gebäude, das dereinst unter anderem von einem großen Kommunikationsunternehmen gemietet und genutzt wird, besuchen und besichtigen. Und damit erst gar keine Fragen aufkommen, was anzuziehen angemessen wäre (Bauhelm, Arbeitsschuhe, Overall?), lautet der Dresscode Semi Formal.

Weil der Gastgeber oder die Agentur, die die Veranstaltung managt, offenbar der Annahme ist, dass ein Teil der Geladenen zu dumm ist, zu wissen, was das heißt, oder die Teilnahmewilligen zu faul sind, das nachzuschlagen, enthält die Einladungskarte einen Beileger als Hinweis: Semi-formal bezieht sich auf einen Dresscode, der eine Mischung aus formeller und informeller Kleidung ist. Insgesamt geht es darum, eine gepflegte und stilvolle Erscheinung zu präsentieren, die jedoch weniger förmlich ist als ein strenges Abendkleid oder ein Anzug.

Ah ha. Gepflegt und stilvoll in der Erscheinung.

Weil das offenbar trotzdem nicht erläuternd genug ist, beeilt sich der Gastgeber, anhand von Beispielen mitzuteilen, in welcher Garderobe er die Gäste zu empfangen wünscht:

Beispiele für die Damen

  • (Etui-)Kleid
  • elegante Langarm-Bluse
  • Kostüm, Blazer oder Hosenanzug
  • geschlossene Schuhe mit einer mittleren Absatzhöhe
  • dezente, elegante Accessoires (Schmuck, Tasche)
  • dezentes, elegantes Make-up

Beispiele für den Herren

  • einfarbige oder dezent gemustertes Langarm-Hemd
  • ordentliche Hose
  • Anzug oder Stresemann mit Weste (optional)
  • geschlossene (Leder-)Schuhe
  • Krawatte oder Fliege (optional)
  • dezenter, elegante Accessoires wie z.B. Herrensocken oder Gürtel

Das lässt keinen Zweifel offen, dass schillernd bunte Paradiesvögel unerwünscht sind. Keine Hawaiihemden, Poloshirts, keine Trägerhemdchen und Jeans mit Löchern. Schon klar, nicht mal der Handel hält Jeans für Hosen sondern diffrenziert:

Sale Sale - auch für Jeans und Hosen

Bleiben trotzdem Fragen:

  • Woher bekommt man heutzutage einen Stresemann? Wer hat sowas noch oder trägt den? Sind die nicht bis auf kleine gesellschaftliche Randgruppen vollkommen out?
  • Seit wann sind Socken oder Gürtel Accessoires? Trägt man die nicht grundsätzlich, vor allem, damit die Hose nicht irgendwann in den Kniekehlen hängt?
  • Sind Arbeitsschuhe oder Sneakers nicht auch geschlossene Lederschuhe? Also darf man die?
  • Was ist eine ordentliche Hose?
  • Was ist gegen elegante Damensandalen einzuwenden?
  • Sind halbhohe Absätze auf einer Baustelle sinnvoll?
  • Wo liegt die Grenze von dezentem Make-Up? Gehört kirschroter Lippenstift schon nicht mehr dazu?
  • Was würde passieren, wenn trotz allem einer in Schlappen, Shorts und Hawaiihemd kommt?
  • Ist das Ganze für ein Pre-Opening einer Bürogebäudes nicht reichlich überzogen?
  • Ist das nicht viel eher eine inszenierte Versammlung aufgeblasen Wichtigtuer und Selbstdarsteller konservativstem Provinzkalibers, damit alles möglichst einheitlich fotogen chic ausschaut?

So viele Fragen und keine Antworten.

Übrigens: Die letzte, die mir sagen durfte, ich solle eine ordentliche Hose anziehen, war meine Mutter. Und das über 40 Jahre her. Die wusste nämlich noch, was das ist: Cordhosen statt Jeans.

Ich werde also nicht zur Pre-Opening-Party gehen können.
Macht aber nicht, ich war sowieso nicht eingeladen.


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