Guten Morgen, Sonntag – eine Pöbelei

Es ist viertel vor Irgendwas, als ich am Sonntag Morgen aufwache. Noch ist es dunkel draußen. Da ich das dringende Bedürfnis nach frischer Luft habe, öffne ich das Schlafzimmerfenster. Fest rechne ich damit, dass mir ein Schwall eiskalter Luft entgegenschwappt. Aber so ist es nicht. Draußen ist es erstaunlich warm, obwohl doch erst Januar ist. Und außerdem noch Schneereste überall herumliegen. Da schlägt die Glocke der Kirchturmuhr. Dreimal.
Viertel vor Irgendwas.
Zu dunkel für viertel vor sieben, es muss deutlich früher sein. Aber ich bin hellwach, es kann also nicht mehr mitten in der Nacht sein. Natürlich kann es das. Dass ich mich so ausgeschlafen fühle, hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass ich mich am Abend zuvor auf dem Sofa zusammengeklappt und die Augen geschlossen habe. So habe ich eine Stunde oder länger gepennt, während eine Serie lief, die ich schon auswendig mitspielen kann – ich weiß, worum es geht, ich weiß, wer es war, sollen die doch ohne mich ermitteln. Die schaffen das. Und ich schlafe. Vielleicht, weil ich das kann, vielleicht, weil ich das jetzt nötig hatte.

Guten Morgen Sonntag

Anfangs ist die kühle, frische Nachtluft sehr angenehm, aber irgendwann fröstelt es mich dann doch. Ich könnte eigentlich aufstehen bzw. aufbleiben, aber warum?
Zurück ins warme Bett, noch mal umdrehen, vielleicht kommt noch eine Mütze Schlaf dazu, obwohl ich weiß, dass diese Schlafphasen die wüstesten, blödesten, absurdesten Träume hervorbringen, vor allem die, an die man sich noch lange erinnert.
Die Gedanken wandern. Mal hierhin, mal dorthin, ich bin zu wach, um noch einmal kurz ins Traumland hinüber zu gleiten. Das Fenster bleibt offen, jetzt auf Kippe gestellt, schon bald höre ich die Kirchenglocke wieder schlagen. Erst viermal hell dann sechs mal etwas dunkler. A ha – Sechs Uhr.
Das heißt: Gleich wird das Morgengeläut einsetzen.
Und da ist es auch schon. Zwei Minuten bimmelt es vom Kirchturm. Ich mag das, ich höre das sehr gerne. Schon, weil es mir signalisiert: Noch mal kurz umdrehen, dann aufstehen (unter der Woche) oder am Wochenende einfach liegen bleiben. Das geht mich nichts an, das ist wunderbar beruhigend.
Ich weiß: Andere sehen das anders. Der Streit um Kirchenglocken findet gelegentlich Widerhall in den Medien, wenn es sonst nichts zu berichten gibt. Meist sind es Zugezogene, die sich die Idylle auf dem Land mühsam erspart haben und fürbass erstaunt sind, wenn diese dann mitnichten so aussieht, wie in ihren Lifestyle-Magazinen LandlustLandliebe, Mein schönes Land und wie die alle heißen.
SonntagBei uns in der Nachbarschaft krähen Hähne, da stinkt es nach Gülle, wenn die Bauern die Felder düngen, da liegt der Dreck haufenweise auf der Straße, wenn die Bauern mit schweren Maschinen zur Ernte rausfahren, da dröhnt es bis nachts bei Maisernte (auch am Wochenende), da schnuren sich Staukolonen hinter Traktoren und Molkereifahrzeugen auf, da steht man im Matsch, wenn man nach einem Regentag einen kleinen Spaziergang macht – und da läuten eben die Glocken vom Kirchturm.
Das alles erzählt den Neubürgern weder der Bausparberater noch der Makler, das steht auch nicht  in den einschlägigen Hochglanzmagazinen. Da steht nur, wie man auf Teufel komm raus alles dekoriert, welche Kräuter in welchen Smoothie passen und wie die aussehen, nicht, dass man Ausversehen noch was Falsches zupft. Und da steht auch, wie man schöne Trockensträuße bastelt und wie man die weltbeste Kirschmarmelade kocht. Die Früchte dazu gibt’s dann im Sommer im Rewe. Frisch importiert aus Italien…

Und dann stehen sie da mit ihrer kleinen Manufactum Gartenschaufel für 35 Euro, mit der sich auch nicht besser arbeiten lässt als mit der Profigartenschaufel für einen Bruchteil der Preises aus dem Gartenmarkt, zupfen die Zitronenmelisse zurecht und gehen in Gedanken die Beschwerdeschrift an die Gemeinde durch. Weil bei dem Lärm des Glockengeläuts kein normaler Mensch schlafen kann. Und schon gar nicht am Sonntag, wenn man nach getaner 60 Stunden-Bürowoche so dringend etwas Entspannung braucht.
Dabei wäre doch am Sonntag Morgen, so um sechs Uhr, die beste Zeit für ein paar Mails, ein paar Statistiken oder eine Leadership-Teamskonferenz. Weil man ja sowieso schon wach ist und kein Auge mehr zubekommt. Und zum Workout-Waldlauf ist es noch zu dunkel und zu matschig.
Außerdem ist das ja auch viiiiel zu gefährlich im dunklen Wald.

Zack – schon schlafe ich tiefenentspannt und selig wieder ein. Noch ein Stündchen. Weil mich das alles einfach gar nichts angeht…
Guten Morgen, Sonntag.


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