Bilder aus Georgien (05) – Tbilissi im Dunkeln
Die Dunkeln sieht man nicht… welch ein Irrtum. Man muss nur genauer hinschauen. Aber Brecht meinte weniger das nächtliche Dunkel als den Schatten, diejenigen, die nicht von der Sonne bestrahlt werden, sind nicht zu sehen. Das aber ist ein anderes Thema. Die im realen Dunkel sieht man eben doch. Und hin und wieder fängt man auch Fetzen dessen auf, was sie von sich geben.
Es ist Nacht geworden in Tbilissi. Noch immer braust der Verkehr durch die Stadt. Noch immer sind wir unterwegs – zum Essen gehend oder vom Essen kommend, beim Nachtbummel oder sitzen oben auf dem Sololaki Gebirgskamm über der Altstadt.
Die im Dunkeln…
Das ist die Sexworkerin, die sich in der Kote Afkhazi Street im Gespräch mit einem Kunden unüberhörbar für uns Vorbeigehende anbietet: „Body to body, happy end!“ Womit eigentlich alles gesagt ist.
Das ist der Geiger, der gerade Nino Rothas berühmte Melodie aus The Godfather anstimmt, als ihm die Saiten des Bogens reißen. Kurz zuvor erst haben wir uns auf einer kleinen Mauer niedergelassen, um ihm zuzuhören. Da ist sein Konzert schlagartig zu Ende. Geld bekommt er von mir trotzdem.
Das ist der bewaffnete Wachmann vor dem georgischen Parlament, dem nicht geheuer ist, was ich da treibe. Ich will die farbig beleuchteten Fontänen fotografieren, habe aber kein Stativ dabei. Aus der Hand geht das nicht, dazu ist es zu dunkel, dazu ist auch die gewählte Belichtungszeit viel zu lang. Ich muss die Kamera hinlegen, halbwegs das Objektiv so ausrichten, dass es das Motiv einfängt und dann mit Selbstauslöser Bilder machen. Das findet er mächtig suspekt.
Das ist die arme alte Frau, die einen streunenden Straßenhund, der sich ihr zu Füßen gelegt hat, mit dem Gehstock streichelt.
Das ist die Frau im Staatlichen Sacharia-Paliaschwili-Theater für Oper und Ballett, die aus dem Fenster schaut, als ich es gerade fotografieren will. Sie schaut hinunter auf den Brunnen mit den Tänzerinnen, den ich auch fotografiere. Währenddessen hoffe ich, dass die beiden Zärtlichkeiten austauschenden Paare unter den Bäumen hinter dem Brunnen das Ganze nicht missverstehen.
Das sind die Massen, die über die Friedensbrücke laufen oder im Europapark vor dem Brunnen stehen und ihn fotografieren.
Das sind die Menschen im Georgi Leonidze Park oder die oben zu Füßen der Mutter Georgiens.
Es gibt Leute, die Obst und Leute, die sexuelle Dienstleistungen kaufen; wie könnt Ihr sagen, die im Dunkeln sieht man nicht?
Ich sehe sie – und manchmal fotografiere ich sie auch diskret.
Eine Frage, die uns öfter gestellt wurde, ist, ob Tbilissi eine sichere Stadt sei, in der man als Tourist unbefangen umherspazieren könne. Eine Frage, die ich nur so beantworten kann, dass wir in der Innenstadt weder auf aggressives Betteln oder aufdringliche Musikdarbietungen (wie in Berlin) gestoßen sind, weder in den Fußgängerunterführungen Unbehagen verspürten (wie in Frankfurt) noch nachts in den Parks zögern, ob wir dadurch gehen wollen (wie im Münchner Nussbaumpark).
Im Dunkel ist die Stadt von oben wunderschön, da sind die angestrahlten Gebäude und der volle Mond über dem Mtkwari.
Das ist Tbilissi.
Hier die Galerie der Bilder:
Bildergalerien von weiteren Spaziergängen und Touren in Georgien folgen. Eine Übersicht über alle bereits veröffentlichten Beiträge finden Sie in der Ankündigung der Serie hier.
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