Dem Jäger ein Buch
Schuxn wünscht sich wer, also ein saures Schmalzgebäck, das aus Roggenmehl und Hefe besteht. Ein anderer hätte gern Schnitzel mit Kartoffelsalat, ein Dritter Weißwürscht, Brezn und ein Bier.
Es sind aber nicht nur Schmankerl der bayerischen Küche, die die Bewohner des Seniorenheims im Nachbardorf sich wünschen: Eine Decke für den Rollstuhl, einen blauen Schal, ein Mobile, um es übers Bett zu hängen. Oder Handschuhe. Ein Puzzle.
Und einer mit der Nummer 36 wünscht sich ein Buch: „Buch über Vögel oder Waldtiere (einfach)“ hat jemand aus dem Pflegeteam auf eine Karte geschrieben und ergänzt: „ehemaliger Jäger.“ Dann wurde die Karte wie auch alle anderen laminiert, mit einem goldenen Schleifchen versehen und an einen Weihnachtswunschbaum gehängt.
Der steht vor der Einrichtung und jeder, der will, kann sich eine Karte nehmen und der Bewohnerin oder dem Bewohner den notierten kleinen Herzenswunsch erfüllen.
Solche Aktionen sind nicht neu und es gibt sie vielerorts, für Bewohner von Pflegeeinrichtungen ebenso wie für Kinder, die in armen Verhältnissen leben. Wer einem anderen, wildfremden Menschen eine Freude machen will, kann ihm eben einen dieser zumeist sehr kleinen und bescheidenen Wünsche erfüllen.
Und damit ein Herz erwärmen.
Ja, ich will!
Die Entscheidung ist schnell gefallen. Ich nehme die Karte mit dem Buchwunsch mit nach Hause.
Die Liste der Menschen, die wir alljährlich zu Weihnachten beschenken, ist relativ kurz geworden. Da ist allemal Luft, anonym auch einem Unbekannten eine Kleinigkeit zu schenken. Das ist ähnlich wie die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“, an der unsere Töchter jahrelang mit unserer Unterstützung teilgenommen haben.
Ich weiß nichts über die Menschen, die in diesem Pflegeheim leben, ich denke mir nur, wenn solche Wünsche an die Öffentlichkeit getragen werden (müssen), wirft das auch die Frage nach den Angehörigen auf. Aber vielleicht gibt es auch keine Angehörigen oder die wohnen weit weg. Oder sie haben ein sehr angespanntes Verhältnis zu ihren Verwandten im Heim. Das alles kann sein.
Es ist müßig, darüber nachzudenken, warum dem ehemaligen Jäger niemand ein Buch schenkt oder er niemanden kennt, dem er diesen Wunsch zuraunen kann. Das führt nämlich nicht weiter.
Also fahre ich nach Erding in meine Lieblingsbuchhandlung Leseglück, ein kleines Geschäft mit einem hoch engagierten und sympathischen Team. Es ist Samstagmittag, ich rechne mit dem „Schlimmsten“. Es ist das zweite Adventswochenende, alles drängt in die Städte. Aber ich bin angenehm überrascht, dass ich der einzige Kunde bin, nachdem eine Familie den Laden gerade verlässt. Die beiden Buchhändlerinnen bieten freundlich ihre Hilfe an, ich zücke die Karte, die ich vom Wunschaum mitgenommen habe, und sage, dass ich ein Buch über Vögel oder Waldtiere suche, dass es einfach sein sollte und erkläre, warum ich das brauche.Ein solches Buch ist natürlich nicht vorrätig. Soll es ein Bestimmbuch sein, ein Bildband? Oder wäre vielleicht (Stichwort: Einfach) ein Kinderbuch geeignet?
Ich stelle mir vor, dass der ehemalige Jäger einfach gern Fotos von den Tieren des heimischen Waldes sehen will, es wenig Text braucht, denke mir aber, dass ein Kinderbuch trotzdem nicht richtig ist.
Wir suchen und stöbern uns durch viele Vorschläge, die das Verzeichnis libri zu bieten hat. Dabei kommen wir ins Ratschen, von Hölzken auf Stöcksken, wie man in Westfalen sagen würde. Wir reden über Büchergeschenke, ich bestreite, dass es schwierig ist, auch Männern Bücher zu schenken, muss umgehend damit rausrücken, was ich für Bücher mag bzw. gerade lese. Unvermittelt finden wir uns zu Dritt an der kleinen Espressobar im Laden wieder. Der Kaffee geht aufs Haus, dazu Cantuccini.
Dann suchen wir weiter und finden ein geeignetes Buch, das zur Ansicht bestellt wird.
Eine Dreiviertelstunde ist im Flug vergangen, in der wir auch über Staus auf der Autobahn, das Erdinger Krankenhaus, die verfehlte Tiefgaragenplanung vom Stiftungspark plaudern und über gute Bücher sowieso. Bepackt mit Leseempfehlungen verabschiede ich mich schließlich, die beiden Frauen segeln langsam dem wohlverdienten Feierabend entgegen.
Es war eine wunderbare Dreiviertelstunde. Ein Lob auf den stationären Handel, ein Riesenlob auf dieses tolle, kleine Geschäft und seine Mitarbeiterinnen. Da kann kein Onlinehändler und kein Thalia mithalten. Und genau darum gehe ich auch nur noch dorthin, um Bücher zu kaufen.
Am Ende bilanziere ich, dass ich höchst wahrscheinlich am Weihnachtsabend dem alten Jäger eine Freude machen werde und ein wenig Herzenswärme verbreiten kann, aber nicht nur. Am Ende wärmt es auch das eigene Herz – weil es ein schönes Gefühl ist, etwas Gutes getan zu haben. So ehrlich will ich sein.
Aber diese 45 Minuten in der Buchhandlung waren etwas ganz Besonderes, etwas Wertvolles und Ruhiges inmitten des hektischen Trubels des zweiten Adventwochenendes waren. Schon allein deshalb hat es sich gelohnt, eine Karte vom Baum zu pflücken.
Eine Adventsgeschichte fürs Blog springt auch noch dabei heraus. Diese.
Vielen Dank fürs Lesen.
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