Das gelbe Monstrum
Was genau, denke ich, ist an diesem Schild nicht verständlich?
Das Betreten des Betriebsgeländes ist für Unbefugte verboten, so steht da. Aber niemanden interessiert das. Zumindest am Wochenende. Auch ich erwische mich, wie mich das gelbe Monstrum in seinen Bann zieht, ich den Trampelpfad an der Schranke vorbei nehme und doch auf dem Werksgelände stehe. Vor mir erstreckt sich eine Kiesgrube, auch eine in unverschämtem Blau, zum Schwimmen bin ich hergekommen, allerdings nicht in dieser, sondern in der vorderen, wovon hier zu lesen ist.
Vorne ja, hinten nein, heißt die Devise, hier ist schwimmen definitiv nicht erlaubt, denn nicht mal des Betreten des Geländes ist statthaft. Aber an diesem Sonntag schert sich irgendwie nicht wirklich jemand darum. Auch in dieser Grube entdecke ich einen Schwimmer, das ruft mir eine Diskussion auf Facebook in Erinnerung, als ich vor Kurzem zum Freiwasser-Saisonauftakt mal wieder meinen Beitrag Betr.: Schwimmen in Naturschutzgebieten? – Muss das sein? in den einschlägigen Gruppen gepostet habe. Zwar ist der Grund für das Schwimmverbot hier ein anderer, das ändert aber nichts daran, dass es eben nicht erlaubt ist, so verführerisch auch das türkisblaue und am Ufer klare Wasser lockt.
In der erwähnten Diskussion ging es allerdings nicht um die Grundsatzfrage, sondern darum, woran man eigentlich erkennt, ob man wo schwimmen darf oder nicht. Nun: Hier ist die Lage klar. Hier darf man es nicht, in der anderen Grube auf dem Gelände ist es geduldet. Und genau darum werde ich auch hier nicht ins Wasser steigen, so gern ich es auch möchte
Aber es ist ohnhin dieses gelbe Monstrum, ein Kiesbagger, der am Ufer steht, das mich fünfe gerade sein lässt, ich will nur mal kurz schauen und schwupp bin ich im verbotenen Terrain.
Irgendwie wirkt das Ungetüm vollkommen fremd und deplatziert, was natürlich Quatsch ist, denn es gehört nun mal hierher. Eine Kiesgrube ohne Kiesbagger? Wie soll das denn bitte gehen?
Trotzdem.
Es ist so still und friedlich an diesem Sonntag, ein paar Menschen haben es sich am Ufer bequem gemacht, es wäre eine fast perfekte Idylle.
Stände da nicht dieses stählerne Ding, das ausschaut, als sei es nach einem Filmdreh vergessen worden.
Eine Kulisse, wie ein Set aus einem künstlerisch ambitionierten, utopischen Film – so in etwa wie die, in denen irgendwelcher Schrott durchs Weltall fliegt oder irgendwelche Hinterlassenschaften der Zivilisation den Helden einer postapokalyptischen plötzlich von Nutzen sein können – und dem Zuschauer das wohlige Gruseln vermitteln sollen, dass das, was sie heute noch tagtäglich sehen und vielleicht selbst benutzen, in baldiger Zukunft nur noch unbrauchbares Metall sein wird.
Solche Filme malen eine Zukunft aus, die wegen totbringender Krankheiten, Atom- oder Bürgerkrieg, Alieninvasion oder was weiß ich nichts mehr ist, wie wir es kennen bis eben auf diese Attribute. Dazu gehört fast standardmäßig auch das alte Ölfass, um das sich Leute in Lumpen scharen und Holz darin verbrennen.
das ist auch so ein Kino-Klischeebild, an das ich denken muss, als an ich an einem alten, verrosteten Fass vorbeikomme. Doch dann liefert das Kopfkino schon wieder neue Bilder – dieses Mal aber von Giftstoffen, die aus dem Fass ausgetreten sind oder ausgeschüttet wurden und nun das türkisfarbene Wasser kontaminiert haben. Nicht umsonst schimmert es so unwirklich.
Wohl dem, der dort nicht baden geht. Da hat der Schwimmer aber Pech gehabt, er wird einen langen qualvollen Tod sterben, weil er in die vordergründig verführerische doch in Wahrheit tödliche Brühe gestiegen ist.
Auch das ist natürlich vollkommener Kino-Quatsch – ich sollte langsam anfangen, andere Filme zu schauen. Meiner Phantasie bekommt das nicht.
Wie dem auch sei.
So mächtig und monströs ist der Kiesbagger übrigens gar nicht, ich habe schon weitaus größere gesehen. Aber ein ganz klein wenig unheimlich ist er mir doch. wie er da so in der Sonne steht, bewegungslos und still. Fast erwarte ich ein Ächzen, ein schwerfälliges metallenes Quietschen, als ich das Ungetüm umrunde.
Der lange Arm mit den vielen Schaufeln, mit denen er die Kanten des Weihers abfräst und den Kies aus dem Wasser holt, liegt schlaff auf der Erde. So als schliefe das Monstrum. Oder ist es tot?
Mir fallen die Tripods ein, die mächtigen dreibeinigen Kampfmaschinen, die metallenen Kolosse in H.G. Wells Roman War of the Worlds, wie sie bewegungslos und eingeknickt im Londoner Regent Park stehen, weil ihre Führer, die Marsmenschen, in ihnen verendet sind.
Aber schon wieder geht die Phantasie mit mir durch. Am Ufer sind die Kanten zu sehen, an denen ganz exakt und gleichmäßig der Kies abgebaut wird. Zu nichts anderem dient der Bagger. Willkommen zurück in der Wirklichkeit.
Die Kiesgrube ist noch in Betrieb. Der Bagger wird vermutlich bald wieder zum Leben erwachen und tonnenweise Gestein bewegen. Dann möchte ich trotzdem nicht in seiner Nähe sein.
Aber das Betreten des Geländes ist ja ohnehin verboten.
Vielen Dank fürs Lesen.
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