Das Brot des Künstlers – so wichtig

Das Brot des KünstlersApplaus, so sagt man, sei das Brot des Künstlers.
Davon kann er zwar seine Miete nicht zahlen, nicht abbeißen oder in den Urlaub fahren, aber es gibt ja noch die Gage.
Trotzdem: Ohne Applaus ist alles irgendwie nichts.

Abends in der Oper: Auf der Bühne wird gestritten und gelitten, gemeuchelt und gemordet, intrigiert und camoufliert, geliebt und getrauert. Am Ende ein Stich – einer nur. Tödlich verwundet sinkt Amalia zu Boden, entgleitet den Armen ihres geliebten Carlos.
„Wenigstens ist sie sofort tot und singt nicht noch ne halbe Stunde!“ mag sich so mancher in unmittelbarer Nachbarschaft unserer Plätze gedacht haben. Denn die Stunde, in der Carlo die Bluttat verrichtet, ist vorgerückt, nähert sich inklusive Pause der dritten, da kann man schon mal auf dem Klappstuhl unruhig werden.

Ich gestehe, mir geht das manchmal etwas ähnlich. Die Stühle in der Bayerischen Staatsoper sind nicht die allerbequemsten, aber im Vergleich zu Bayreuth sind sie trotzdem ohrensesselbequem. Aber der Reihenabstand ringt uns Langhaxlern einige Verknotungen ab, will man nicht mit den Knien die Ohren der Vorderfrau oder des Vordermanns zuhalten.

Was wurde gegeben?

Il masnadieri von Giuseppe Verdi, basierend auf Friedrich Schillers Die Räuber. Selten gespielt, eben nicht der Standard, nicht das, was alle kennen und mitsingen könnten. Trotzdem: Großartig inszeniert, ein beeindruckendes Bühnenbild, hingebungsvoll gesungen. Ganz großes Kino – ähm nein: Ganz große Oper. Mit dem Ableben Amalias ertönen die Schlussakkorde, der Vorhang fällt zu, donnernder Applaus erhebt sich.

Und wie von der Tarantel gestochen, springen die ersten auf, quetschen sich an den anderen im Publikum vorbei und hechten zum Ausgang. Nach drei Stunden pressiert es manchen:
Der erste sein an der Garderobe – so wichtig. Sonst steht man stundenlang an.
Der erste sein auf den Klos, bevor alle Kabinen besetzt sind und die Schlange immer länger wird?
Der erste sein in der Tiefgarage, sonst muss man ewig warten, um sich aus dem Nadelöhr der Ausfahrt die Rampe hinauf zu quälen.
Oder schnellstmöglich zur U-Bahn, zum Bahnhof, der Regionalzug wartet nicht?

Ich habe keine Ahnung, was einige Leute sofort im Publikum aus dem Saal treibt. Aber ich bin über dieses Verhalten mehr als irritiert. Da steht ein halbes Dutzend Sänger auf der Bühne, eine Sängerin, ein Chor. Das Orchester gibt im Graben alles, die Künstler singen sich fast die Seele aus dem Leib.
Aber zehn Minuten klatschen als Antwort, als Dankeschön, als Wertschätzung, das ist offenbar zuviel verlangt.Das Brot des Künstlers

Ok. Fünf Minuten? Wenigstens fünf?
Nicht mal dafür reicht es bei einigen. Erschreckend schnell leert es sich, während die, die noch ganz trunken sind vom Gebotenen, noch immer frenetisch klatschen und „Bravo!“ rufen. Und ja: Es sind die Leute auf den teuren Plätzen, die dem Ensemble ihr „Brot“ versagen, nicht wenige wohl Abonnenten und alle im fortgeschrittenen Alter. Also Leute, von denen man meinen sollte, dass sie es besser wüssten. Dagegen wirkt das Selfiemachen vor der Aufführung oder im Foyer während der Pause schon geradezu liebenswert und harmlos.

Das Brot des Künstlers

Das Stürmen aus dem Saal gab es wohl immer schon, aber dieses Fehlverhalten in so großer der Masse, das war mir neu.
Wie gesagt: Ich habe keine Ahnung, was die Leute im Publikum aus dem Saal treibt. Anstand, gutes Benehmen, Respekt und Wertschätzung jedenfalls können es nicht sein. Und Dankbarkeit für einen großartigen Abend in der Oper wohl auch nicht.

PS: Gefühlt klatsche ich noch immer. Weil es ein toller Abend war.


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