(Bretagne #12) – Auf der Île-Grande – Mimikry als Schutz vor Landsleuten

Auch wenn in dieser kleinen Bretagne Reihe die Chronologie vollkommen aus den Fugen geraten ist: Der Beitrag über die Umrundung der Île-Grande soll den Abschluss bilden.

Warum?
Weil es 12 Beiträge waren, der Sommer naht und damit die Erinnerungen an den vorangegangenen an Bedeutung verlieren. Ein Jahr lang habe ich Monat für Monat von unserem Urlaub im Juli 2018 geschrieben. Das ist genug.
Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum die Notizen über diese Wanderung den Abschluss der Reihe bilden. Denn für diesen Beitrag ist es mir mit Abstand am schwersten gefallen, aus der Fülle an Bildern, die ich dort gemacht habe, diejenigen auszuwählen, die ich hier zeigen will.
Am liebsten würde ich – da bin ich etwas eitel – noch viel mehr zeigen. Bei der Inselumrundung wechselt die Landschaft unglaublich oft das Gesicht, was nun zwangsläufig dazu führt, Bilder über Bilder zu machen. Und um auf der sicheren Seite zu sein gleich noch ein paar mehr…

Ein schmales Sträßlein und eine kleine Brücke führt bei Penvern über einen Sund auf die etwa drei Quadratkilometer große Île-Grande. Kaum 12 Meter lang ist die Brücke, kaum vorstellbar, dass diese Insel im Meer liegt, vor allem dann nicht, wenn Ebbe herrscht und man nahezu trockenen Fußes hinüber zum 100 Meter entfernten Festland marschieren könnte.

Das aber machen wir nicht. Wir fahren über die Brücke, direkt in ihrer Nähe finden wir einen Parkplatz, der unser Ausgangspunkt für eine wunderschöne Wanderung durch Dünen, an Stränden entlang, durch ein Wäldchen und über Felsen ist.

Die Umrundung der Île-Grande ist ein Klassiker für Bretagne-Urlauber, entsprechend kommt man hier auch immer wieder in Kontakt mit anderen Menschen, was einigermaßen lästig werden kann – vor allem, wenn es Landsleute sind. Wenn die im entgegenkommenden Wanderer einen Deutschen und damit ein Stück Heimat erkennen, sind nicht wenige sofort übermäßig plauderbereit.
Ich nicht. Aber ich bin selbst Schuld, wenn die mich ansprechen. Was renne ich auch mit BVB-Kappe durch Frankreich?
Auf der Kappe steht zwar nicht: „Sprich mit mir“, aber ein „Hallo, ich bin auch Deutscher!“ darf man ruhig hineininterpretieren. Das reicht schwatzhaften Zeitgenossen, stehenzubleiben und ein Pläuschchen anzustrengen. Wo sind nur die Zeiten des „Si tacuisses…“ hin?

Fremde Menschen wollen Urlaubserfahrungen austauschen und vor allem kluge Ratschläge erteilen, was man denn unbedingt alles anschauen müsse und welche Autobahn man auf dem späteren Heimweg nehmen solle, weil die am wenigsten staubedroht ist. Das ist so deutsch, dass es endlos nervt. Überhaupt: Als ob mich im Urlaub auch nur ansatzweise interessiert, wann ich wie unter Umgehung welcher Staustrecken am besten nach Hause komme. Vor allem, da wir ja gar nicht Richtung Dortmund sondern Richtung München fahren werden, was der andere aber durch die Kappe fehlinterpretiert und sich gemüßigt fühlt, von Baustellen und Staus zu reden, die mich einen feuchten Furz interessieren…

Besser also, ich halte mich gleich fern von anderen deutschen Urlaubern. Dort, wo es sich gar nicht vermeiden lässt, suche ich regelmäßig Schutz hinter der Spiegelreflexkamera. Fotografen werden selten angesprochen, zumindest nicht, wenn sie statt wie ein Schnappschussjäger mit Handy oder Minikamera eine große Spiegelreflex vor dem Gesicht haben und das Objektiv ausgefahren ist. Wenn man wie ein Profi tut und durch das Objektiv das passende Bildmotiv sucht, will niemand einen Künstler bei seiner Arbeit stören. So etwas flößt anderen eine gewisse Ehrfurcht ein. Und das ist gut so. Das habe ich schon vor Jahren gelernt und verwende die Taktik der Mimikry immer wieder, zur Mimese reicht es noch nicht.

Gelegentlich mag sich der Beobachter fragen, was ich denn da eigentlich fotografiere und warum. Meistens aber erwische ich im Augenwinkel die neugierigen Zuschauer (keineswegs nur Landsleute) dabei, wie sie selbst angestrengt Ausschau halten, was hier so fotografierenswert ist. Sie rupfen ihr Handy aus dem Windbreaker, nehmen ungefähr die gleiche Position und Perspektive ein wie ich und suchen nach dem, was ich gerade fotografiert haben könnte; und finden nichts.
Sie können sich gar nicht vorstellen, dass ein paar trockene Gräser, ein öder Steckenzaun und ein Sandweg Bildmotive abgeben. Tun sie aber – finde ich jedenfalls.

Das ist doch kein Fotomotiv – also wirklich nicht.
Doch!

Darüber reden tun wir allerdings nicht. Soweit kommt es fast nie. Kaum einer traut sich zu fragen.

Nicht nur aus Schutz vor Touristen entstehen Fotos über Fotos auf diesem Rundweg. Ich fotografiere auch im ernsthaften Bestreben, die Stimmung des Weges, der Landschaft, des Sommers in der Bretagne einzufangen. Ich mache Bilder vom gerade abwesenden Meer auf der küstenzugewandten Seite…

und natürlich auch vom anwesenden Meer auf der Seite zum Ärmelkanal hin. Blau, blau, blau. Unfassbar, dieses Blau.

Völlig aus dem Häuschen gerate ich nach etwa einem Drittel des Weges auf der Nordseite der Insel. Hier befindet sich ein aufgelassener Steinbruch, in dem Quader aus dem Fels geschnitten und die Steine zum Festland abtransportiert wurden, ein Ort, an dem in kurzer Zeit über 100 Bilder entstehen.

Selbst die verrosteten Räder der ehemaligen Transportbahn, die an die alte Zeit des Steinbruchs erinnern, wollen und sollen fotografiert werden. Mir fällt das Blog von Frau Tonari ein, die dereinst eine bemerkenswerte Rostparade veranstaltet hat. 50 Beiträge kamen zusammen; immer wieder zeigte sie Bilder verrosteter Gegenstände mit dem ganz eigenwilligen Charme der Vergänglichkeit. Mittlerweile hat der Blogger Cubusregio die Rostparade übernommen und führt sie weiter. Ich vermute, die beiden hätten eine helle Freude an diesem Motiv:

Doch der wahre Exzess folgt knapp zwei Kilometer weiter. Hier ragt eine schmale Landzunge ins Meer. Schön zum Spazieren gehen, schön, die Aussicht zu genießen und sich den Wind um die Nase wehen zu lassen. Schön aber auch, einer Silbermöwe zu Leibe zu rücken. Das Tier, zunächst auf dem Fels sitzend, wird zunehmend unruhig, weil ich ihm immer näher komme. Der Vogel erhebt sich, beäugt mich argwöhnisch, dreht den Kopf immer hin und her, macht sich startklar. Aber noch bleibt sie auf dem Fels stehen. Ich weiß: Möwen zu fotografieren ist ebenso banal wie rostige Räder. Ich mache es trotzdem. Beides.

So hat eben jeder seine Marotten.

Lästig übrigens: Bei einem Rundwanderweg begegnet man den entgegenkommenden Leuten unter Umständen zweimal. Das liegt in der Natur der Sache.
„Und beim dritten Mal gebt Ihr einen aus“, raunt mir ein Urlauber aus dem Schwäbischen zu, den wir bereits am Steinbruch getroffen hatten. Schon dort hatte er sich äußerst erfreut gezeigt, einen Deutschen zu sehen und dies gleich seiner Rotte kund getan. Aber noch bevor er mit mir ins Gespräch kommen konnte, war ich hinter der Kamera verschwunden.

Hier auf schmalem Pfad komme ich ich ihm nicht aus. Offensichtlich ist er Meinung, jetzt bei unserer zweiten Begegnung, einen höchst originellen Spruch (Gähn!) vom Stapel gelassen zu haben und rechnet mit einer adäquaten Reaktion meinerseits. Das könnte der Beginn einer wunderbaren Plauderei sein.
Ist es aber nicht. Mehr als ein Lächeln, das sich nicht mal bemüht, Mitleid zu kaschieren und ein gegrunztes „Ja genau!“ bekommt er nicht als Reaktion. Dann gehen wir aneinander vorbei.
„Schönen Urlaub noch!“ ruft mir der Landsmann unnützerweise hinterher, dem Tonfall nach etwas verärgert, dass ich mich seiner Redseligkeit verweigert habe. Ich reagiere gar nicht. Mir egal, ob er mich für arrogant, schwerhörig oder einfach nur unhöflich hält.

Als wir zum Auto zurückkehren, kommt auch langsam das Meer zurück.
Zeit wird es, die Insel zu verlassen und noch ein Stück weiterzufahren. Gegessen haben wir schon lange nichts mehr, außerdem wartet südlich von Trébeurden der Strand Plage de Pors Mabo auf uns – und ich habe eine funkelnagelneue Buxe in der Schwimmtasche. Die will schließlich eingeweiht werden. Bretonisches Jammern inklusive.

Damit endet die Bretagne-Reihe in diesem Blog. Wenn Sie alle Beiträge über die Bretagne lesen möchten, finden Sie eine Liste samt Verlinkung auf der Unterseite Die Serien dieser Seite im Überblick.

Für Wanderer: Details zu diesem Weg finden Sie auch im Bretagne-Wanderführer von Rother (Affiliate Link).


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