Blogparade ‚Was würdet Ihr an München vermissen‘: Gratis-Bleistifte
Wenn mich jemand fragt, was ich an München vermissen würde, und das in einer Blogparade, dann fallen mir spontan nur die Gratis-Bleistifte ein. Ich bin nämlich kein Münchner, wohne nicht mal in der Stadt sondern bin ein erbärmlicher Zugroasta, den es noch dazu ins Umland verschlagen hat. Da hängt man sein Herz nicht so schnell an irgendeine touristische Attraktion der bayerischen Landeshauptstadt. Und noch viel weniger an etwas, was man nur als echter Münchner verstehen kann, z.B. die Liebe zum TSV 1860 oder zum Befingern der Löwenschnauzen an der Residenz.
Also würde ich für den höchst unwahrscheinlichen Fall, den Speckgürtel Münchens verlassen zu müssen wohl weder den Englischen Garten noch den Marienplatz, weder den Sport Scheck noch das Michaelibad, weder den Viktualienmarkt noch das Kino am Sendlinger Tor, weder Schumans Bar noch die ganze Bussi-Gesellschaft im Tambosi vermissen.
Aber eines fällt mir doch ein: Die Bleistifte im Weißen Bräuhaus. Und das meine ich ernst. Warum das so ist, bedarf einer Erklärung:
Ich mag Bleistifte. Freund Alex meinte, es wäre eine gute Idee, an einen Blogbeitrag Ich habe bestellt – es gibt Bleistifte anzuknüpfen und auch mal über diese Stifte zu schreiben. Wohlan. Denn Alex hat recht. Überhaupt hat der Mann so gute Ideen. Damals, als ich meiner Verzweiflung Ausdruck brachte, dass unsere vormalige Kollegin mir nur zwei Bleistifte bestellt hat, schickte er mir Bleistiftverlängerer. Er ist eben ein ganz ausgebuffter Fuchs und weiß, wie sich ewig währende Freundschaft und Treue zu sichern.
Es wird also Zeit, sich zu revanchieren. Nach dem erfolglosen Versuch, meine Schuld abzuarbeiten, in dem ich ihm einfach ein Buch bestelle, von dem ich meine, dass er es mit Freude lesen wird, muss ich mir was Neues ausdenken.
Das Buch nämlich trifft zwar seinen Geschmack (so sagt er zumindest und parliert mit mir über den Inhalt aufs Vortrefflichste), aber er quittiert es umgehend, in dem er mir ebenfalls einen Schmöker schicken lässt, den nun ich wiederum mit großem Vergnügen gelesen habe. Das Geschenk trägt den Titel Memoiren eines alten Arschlochs – ganz mein Geschmack.
Nun aber nutze ich die Gelegenheit, unbarmherzig zuzuschlagen. Ich schenke ihm einen Bleistift. Einen Gratis-Bleistift aus dem Weißen Bräuhaus. Womit wir wieder beim Thema wären:
Die Gelegenheit ergibt sich an einem Freitag, wenn der Ex-Münchner und Neofranke mit schlesischen Wurzeln mal wieder heim an die Isar kehrt, um das Bayerische zu inszenieren.
Dann nämlich schart er die Häupter seiner Lieben um sich, womit keineswegs nur seine hiesige Verwandtschaft gemeint ist. Auch gute Freunde dürfen Alex Gesellschaft leisten, wenn dieser im Tal im Weißen Bräuhaus residiert, vier Weißwürste, vier Bier und drei Brezen vertilgt.
Nun hat sich mit der Zeit ein mal mehr mal weniger großer Kreis illustrer Leute gebildet, die diesem Weißwurstfrühstück erst die richtige Würze geben: Künstler, Unternehmer, Lebenskünstler, Literaten… ein jeder eine Kapazität in seinem Fach und eine Größe des Geistes. So also diskutiert und disputiert man auf allerhöchstem Stammtischniveau über die Weltlage im Allgemeinen und in Bayern im Besonderen, über die großen Verschwörungen, den Niedergang der Münchner Tagespresse, die Isarpreißn, wer wann Hercule Poirot gespielt hat, wann Avatar in die Kinos kam und die Grandiosität in den Selbstbildnissen Lovis Corinths, die im krassen Gegensatz zu Gabriele Münter stehen. Alles hängt irgendwie zusammen.
Dabei fließt das Gebräu aus dem Hause Schneider in Strömen und pro Glas steigt die Rechnung um 4,12 Euro – was ein valentineskes Musterbeispiel absurdester Preisgestaltung überhaupt darstellt. So ist das eben in München. Aber dafür darf man dann auch einen Bleistift mitnehmen.
Nach zwei Gläsern hat sich ein jeder das Recht ertrunken, erstmalig pieseln zu gehen. Nach dem dritten Glas darf man ein zweites Mal und so weiter. Und so kommt es, dass wir alle mehr oder weniger häufig den Tisch in der Schankstube verlassen und Richtung Toilette marschieren. Und alle bringen auf dem Rückweg einen Bleistift mit. Ich auch.
Obwohl ich mit Hingabe Bleistifte anspitze und mir der Geruch dieser frisch gespitzten Stifte mehr Genuss in der Nase verschafft als beispielsweise frisch gebrühter Kaffee, schenke ich meine Beute Alex, statt sie später daheim stückweise durch den Spitzer zu jagen.
Die Stifte stehen als Mitnahmeobjekt zwischen beiden unteren Räumen in einem Regal. Man muss nur wissen wo. Ein jeder ist oder fühlt sich eingeladen, sich zu bedienen.
„Wäre es kein Mitnahmeprodukt, wäre es nämlich ziemlich blödsinnig, die Telefonnummer auf die Stifte zu schreiben. Logisch oder?“ argumentiere ich, dass die Stifte nicht für das Personal gedacht sind sondern für uns Gäste, um Tische zu reservieren. Auch empört sich nicht die Kellnerin, als sie die nächste Runde bringt und die Stifte auf dem Tisch liegen. Es ist also alles in Ordnung.
Gratis-Bleistifte habe ich immer geliebt, aber nirgendwo sind sie so schön wie im Weißen Bräuhaus. Während man noch als Student bei Ikea mit dem Rollgriff gleich eine ganze Hand voller Stifte eingesäckelt hat (wir hatten ja früher sonst nichts), greift der situierte Stammtischler heutzutage nur noch einzelstückweise zu. Dafür mehrfach. Wir erinnern uns: Die Ikeastifte waren so kurz, dass schon bald ein Verlängerungsteil benötigt wurde, wollte man überhaupt damit schreiben. Aber im Weißbräu haben die Stifte, die sich nach und nach vor uns zu einer spielfertigen Mikado-Menge versammeln, eine adäquate Länge. Alex könnte – allein unter Franken – jetzt wieder künstlerisch tätig werden.
Könnte – das ist in diesem Zusammenhang das richtige Wort.
Denn mit den Bleistiften im Weißbräu verhält es sich meistens reziprok proportional zu den Bezen. Während die Stifte zu hart sind, sind die Brezen oft zu weich. Und einigen in der Runde sind die Brezen sogar zu salzig, so dass das Schimpfwort vom Brezensoiza in leicht abgewandelter Form die Runde macht. „Wos is schlimmer no ois a Brezensoiza?“ fragt einer und schaut dem anderen kritisch zu, wie dieser das Salz vom Laugengebäck entfernt. „A Brezenabsoiza…“ Das sitzt.
Brezen absalzen kann nur noch überboten werden, wenn man sich zu den Weißwürsten extrascharfen Senf bestellt.
„Da konnst glei a no oan klans Pils zuam trinka bestelln…“
Alex erzählt, dass er sich auf ausliegender Feedback-Karte gewünscht hat, dass die Brezn etwas knuspriger sind. Günther, anwesender Künstler aus Fürstenfeldbruck, hingegen regt an, doch auch mal auf so einer Karte zu bemerken, dass die Bleistifte in Zukunft den Härtegrad 2B haben sollten.
„HB geht ja gar nicht“, meint er und erklärt mir, der Bleistifte nur zum Schreiben verwendet, dass man mit weicheren Stiften eben wesentlich besser zeichnen kann. Das muss ich ihm natürlich glauben.
Natürlich – das muss an dieser Stelle gesagt werden – würde ich an München nicht die Gratis-Bleistifte an sich vermissen. Die gibt es anderswo auch. Außerdem kann man sich zur Not seine Stifte ja auch von den Kolleginnen bestellen lassen.
Aber das Drumherum, also das WWFS – WBH, wie Alex die WhatsApp-Gruppe genannt hat, das würde ich schon vermissen.
Das Weißwurstfrühstück im Weißen BräuHaus.
Grantige Kellnerinnen inklusive… das gehört nämlich auch zu München.
Vielen Dank fürs Lesen.
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Diese Frage ist schon schwer zu beantworten, ich habe fünf Jahre in München gelebt und es waren nicht die besten Jahre meines Lebens, eher das Gegenteil, aber ich liebte die Spaziergänge an der Isar von der Au bis zum Flaucher, zu mal ich zum Schluss an der Thalkirchner Straße beim alten Pestfriedhof wohnte und es nicht weit bis zur Isar hatte.
Schöne Grüße vom Mats vom tulitikku-Blog.