Betr.: Food pornen

Dieser Beitrag ist Teil einer kleinen Serie über Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit beim Bloggen.

Food porne ich nicht mehr – jedenfalls schon lange nicht mehr wie früher. Das Interesse, zu veröffentlichen, was ich gerade esse oder zu essen beabsichtige, hat schlagartig nachgelassen. Ich bin überzeugt davon, das Interesse der anderen, das in Erfahrung zu bringen nicht minder.
Also fotografiere ich mein Essen nicht mehr, um es postwendend in den sozialen Netzwerken zu teilen. Auf Twitter nicht, auf Facebook nicht und Instagram fällt sowieso aus, ich mag die Plattform nicht und habe demzufolge keinen Account dort. Wenn ich mal mein Essen fotografiere, dann geht es selten um das Essen als solches, wenn ich die Bilder verwende, dann im Kontext meines Blogs zur Illustration eines Blogbeitrags.

Food porn - Bier und Obatzter am Karlsfelder See

Oder ich lade ein Bild mit einem  launischen Spruch auf Facebook oder Twitter hoch. Ein Dönerbild erscheint nicht, um zu kommentieren, dass ich gerade einen Döner esse, es erscheint ggf. mal in einer Schwimmgruppe, um darauf hinzuweisen, dass nach dem Sport eine gesunde, ausgewogene Ernährung so wichtig ist. Milchkaffee und Erdbeergebäck sind nur das lukullische Beiwerk für ein Foto, um meine Bubble auf subtile Weise auf mein Buch aufmerksam zu machen. Man kann es auch zu Kaffee und Kuchen lesen. Kann man übrigens immer noch – vorausgesetzt, man hat es sich schon gekauft.

Food porn - Erdbeertörtchen und Kaffee, dazu ein gutes Buch.

Gelegentlich aber porne ich Food für spezielle Fotoaktionen, so zum Beispiel im September für Jede Woche ein Foto ein Glas selbstgekochter Marmelade oder einen italienischen Brandy für die gleiche Aktion.  Essen selbst steht schon lange nicht mehr im Vordergrund oder ist Selbstzweck, ein Bild davon ins Netz zu stellen. Andere halten das anders, sollen sie. Mir erschließt sich der Sinn nicht mehr, das zu machen. Ich halte nicht mehr allzu viel davon, Menschen mitzuteilen, in welchen Restaurants ich was verknuspere. Die, die in meinem Freundeskreis daran interessiert wären, halten von solchen Bildern ebenso wenig. Und alle andere geht es  schlicht nichts an. Mag sein, der Gastwirt fände es klasse, wenn ich der Welt mitteile, dass ich gerade bei ihm ein tolles Essen serviert bekomme. Weniger klasse fände er es hingegen, wenn ich mich als Influencer gratis durch seine Karte fresse und vollmundig und vollen Mundes verspreche, für ihn auf meinem Channel mächtig Werbung zu machen. Diese Abgreif-Mentalität ist mir einfach zuwider.

Warum sollte ich sonst Food pornen?

Um zu provozieren?
Schaut her, Ihr Veganer, wie ich ein Steak verdrücke. Schaut her, Ihr Fleischesser, wie genüsslich ich einen Hirsebrätling verschlinge? Schaut her: Es ist mir egal, dass Palmöl in der Schokocreme ist, ich esse sie trotzdem. Ich kaufe auch Nestle- und Müller-Produkte. Ich gehe auch zu einem Fast-Food-Schuppen, mir doch wurscht, was ihr darüber denkt. Das ist es natürlich nicht, sonst würde ich ein solches Bild ja nicht ins Netz stellen.

Bleibt der Faktor Neid, den man ja immer wecken will, wenn man in den sozialen Netzwerken entsprechende Bilder hochlädt – egal, ob feines Essen oder schöner Urlaub, das neue Auto, das leere Schwimmbad…
Die Botschaft lautet doch immer auch: Ich habe etwas, was Ihr nicht habt. Und ich genieße es. Weil ich es kann. Weil ich privilegiert bin.
Wohlgemerkt: Wenn wir auf charmante Weise ein kleines Vermögen ausgeben, um in einem Restaurant zu essen, dann machen wir das, weil wir das wollen und genießen. Und nicht, um anzugeben, dass wir gerade goldbestaubte Fleischlappen in uns hineinstopfen (tun wir nicht), an Igelbartpilzen naschen (hab ich schon gemacht) oder an einem Abend pro Nase mehr Geld verfuttern als benötigt würde, um für 15 Kinder einen Monat lang die Schulspeisung in Mauretanien zu finanzieren.Food porn - Apfelstrudel in Thüringen

 

Generell fällt mir auf, wie wenig Food Porn Inhalte in meinem Blog enthalten sind – und je höherwertiger das Essen ist, umso unwahrscheinlicher, dass ich es fotografiere. Die bretonischen Austern sind dabei schon eher die Ausnahme. Aber auch die Veröffentlichung dieses Fotos stand im Kontext mehrerer Blogbeiträge über die Bretagne.

Food porn - Bretonische Austern

 

Zwei Vorkommnisse in Thüringen, beide innerhalb von 24 Stunden, zwingen zum Nachdenken und machen gleichzeitig deutlich, wie ich mittlerweile über Food Porn denke.

Als wir im Estima in Erfurt ein formidables Menü zu uns nehmen, serviert Restaurantchef Jan-Hendrick Feldner die Vorspeise. „Wenn Sie das fotografieren wollen, dann machen Sie das jetzt,“ empfiehlt er mir. Als er bemerkt, dass ich ihn verständnislos anstarre, erklärt er, dass er die Vorspeise mit einem Löffel verrühren werde, damit sich die Aromen der Zutaten optimal entfalten und man sich alles zusammen auf der Zunge zergehen lassen könne.
Mag sein, aber mein Blick bleibt immer noch verständnislos. Sehe ich aus, wie jemand, der sein Essen fotografieren und möglicherweise im Netz teilen will? Liegt etwa ein Handy zum Food pornen auf dem Tisch?
Was hat er sonst für Gäste, dass er überhaupt auf die Idee kommt?
Andererseits: Vielleicht hat er das allzu oft erlebt, dass er es lieber vorher sagt.

Tags drauf kehren wir nach ausgiebiger Wanderung im Nationalpark Hainich im Forsthaus Thiemsburg ein. Ein kleiner Snack nur, weil wir abends wieder in Erfurt ein weiteres Mal üppig speisen werden. Ich entscheide mich für einen lauwarmen Apfelstrudel mit Vanilleeis und Sahne. Dazu ein Milchkaffee. Letzterer wird schnell serviert. Der Apfelstrudel lässt ein wenig auf sich warten. Als dieser schließlich kommt, mache ich tatsächlich ein Foto davon, es soll(te) einen (noch zu schreibenden Beitrag über die Wanderung) illustrieren.
„Das war so klar,“ ruft die Kellnerin schon im Gehen quer über die Terrasse, dass nicht nur ich sondern auch alle anderen das hören können. „Warum wusste ich das nur, dass Sie das fotografieren? Sie haben ja auch schon den Kaffee fotografiert!“
Peinlich, äußerst peinlich. Vor allem, dass sie das so durch die Gegend schreit.
Davon abgesehen stimmt das nur zu Hälfte, denn ich habe nicht etwa den Kaffee als Kaffee fotografiert sondern Kaffee und Kamera im Hintergrunf auf dem Tisch als eine Art Stillleben. Es war eine gute Gelegenheit, ein solches Foto zu machen – und ja, ich hatte in dem Moment eine Idee, was ich mit einem solchen Bild irgendwann einmal machen will.Food porn - Kaffee und Kamera. Eher nicht
Ganz gewiss aber wollte ich es nicht postwendend Food pornend ins Netz stellen, das wäre dort ohnehin nicht möglich gewesen. Es war kein Netz verfügbar in der thüringischen Provinz.

Noch Fragen?
Dann beeilen Sie sich, ich habe Hunger.
Food porn - Mett


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