Benno und Bob warten auf Schnee

Tue Gutes und rede darüber, formulierte einst KPD-Mitglied Walter Fisch. Und da es in Zeiten wie diesen besonders opportun ist, nicht nur Gutes zu tun und darüber zu reden, sondern auch noch Linke zu zitieren, wenn man sich von den Rechten absetzen will – und welcher anständige Mensch will das nicht? – werde ich das alles gern in einem Atemzug erledigt wissen.

Dabei geht es eigentlich nur um Benno und Bob.

Benno, der im wahren Leben einen ganz anderen Namen trägt, stammt aus dem Kongo. Das Land ist nach eigener Selbstdarstellung zwar eine demokratische Republik, nimmt es aber mit den demokratischen Spielregeln ebenso wenig genau, wie mit den Menschenrechten. So spricht das deutsche Auswärtige Amt immerhin eine Teilreisewarnung für eben dieses Land aus, aus dem die Menschen in Scharen fliehen und in den europäischen Staaten Zuflucht suchen.
Womit wir beim dritten Reizthema wären: Flüchtlinge. Ich fasse zusammen: Gutes tun, Linke zitieren, von Flüchtlingen schreiben. Der Klassiker.
Der eine oder andere, der das psychisch oder politisch nicht ertragen kann, sollte jetzt vielleicht aufhören, weiterzulesen und sich von diesem Blog verabschieden. Andere lesen einfach weiter…

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Reicht nicht für Benno… reicht nicht für Bob

Benno ist sechs Jahre alt, stammt aus dem Kongo und lebt seit drei Jahren in Deutschland. Ungeklärt ist die Situation der Familie (es kommen eben entgegen anderslautender Behauptungen der eher dürftig informierten aber emsig kolportierenden und kommentierenden besorgter besorgniserregenen Bürger nicht nur junge Männer mit Markenschuhen und Smartphones). Ein Asylantrag wurde abgelehnt. Gegen den Bescheid wurde Widerspruch eingelegt. Derweil lebt das Kind in einer Unterkunft in unserem Landkreis und besucht, weil zu selbigem pflichtig, die Grundschule. Dort bemüht er sich nach Kräften, dem Schulstoff zu folgen.
Das fällt Benno nicht weiter schwer. Er spricht fließend deutsch und gehört zu den leistungsstärksten Schülern seiner Klasse. Er ist bestens integriert dank der Hilfe derer, die seiner Familie und ihm in Deutschland geholfen haben. Es gibt  ja zum Glück neben den krakeelenden und zündelnden MitBürgern auch Menschen, die sagen Wir schaffen das – weil sie davon überzeugt sind, dass wir das schaffen müssen. Das ist, um ein anderes Kanzlerwort zu bemühen, alternativlos. Will sagen: Wir haben gar keine andere Wahl.
Nun ist anders als im Kongo das Klima in Bayern eher etwas unterkühlt, was gelegentlich dazu führt, dass Schnee liegt. Die Hiesigen kennen das von früher, da lag der Schnee meterhoch, den ganzen Winter über, kilometerweit sind wir jeden Tag durch diese Schneemassen zur Schule gestapft… bla bla bla
Als Benno nach Deutschland kam, kannte er das weiße Zeugs nicht. Dass man im Kongo bisweilen auch immer kilometerweit zur Schule laufen muss, während viele der Gleichaltrigen hier gern mit Mamas SUV die paar hundert Meter von der Haustür bis zum Schulportal gefahren werden oder zumindest einen Schulbus zur Verfügung haben, steht jetzt auf einem anderen Blatt…
Der Junge hat schnell von den anderen Kindern gelernt, was man mit Schnee alles anfangen kann: Figuren bauen, Bälle formen und diese durch die Gegend werfen, vor allem aber darauf herumrutschen. Das ist um so schöner, je unebener eine Landschaft ist.
Und da auch der Lehrkörper der Grundschule, die Benno besucht, weiß, dass Kinder bei Schnee kaum zu halten sind, geht man kurz nach dem Ende der Weihnachtsferien, als noch welcher liegt, kurzerhand im Klassenverband Schlittenfahren.
Tags drauf schleppt jeder Knirps aus dem heimischen Keller mit, was die Familie für solche Gelegenheiten bevorratet: Vom klassischen Rodelschlitten Davos bis zum Rutschteller, vom Lenkbob bis zum Poporutscher. Nur Hornschlitten werden schamhaft im Keller zurückgelassen.
Was für eine Gaudi…
Für Benno ist das Ganze weniger amüsant, denn natürlich hat er gar nichts, mit dem er am kollektiven Spaß teilhaben könnte. Welche Flüchtlingsfamilie kauft ihrem Kind schon ein Rutschgefährt, wenn es an Dringenderem fehlt?
Benno also ist auf das Wohlwollen seiner Mitschüler angewiesen, die ihn hin und wieder auf ihrem Schlitten mitnehmen, was aber doof ist, denn zu zweit ist der Schlitten zu schwer und wird zu langsam. Oder auf sanften Druck der Lehrer leiht ihm einer mal seinen Bob. Das ist aber eher so selten wie eine vollständige Sonnenfinsternis. Dann aber ist Benno begeistert und das ist verständlich. Alle Kinder sind das: Egal, welche Hautfarbe sie haben, zu welchem Gott sie beten (oder ob überhaupt) und welchen leicht oder schwer aussprech- und schreibbaren Namen sie tragen.

Und Bob?

Der gammelt bei uns auf dem Dachspeicher vor sich hin – seit über 10 Jahren. Denn unsere Kinder sind längst zu groß, um sich in so eine Plastikschale mit Lenkung und Bremse zu setzen, um den Hang herunterzurutschen. Sie kämen kaum rein in den Bob, wohl auch kaum wieder raus und – auch wenn es uncharmant klingt – das Körpergewicht Erwachsener presst das Plastik so sehr auf die Erde, dass es schon eines gehörigen Gefälles bedarf, damit sich so ein Teil überhaupt in Bewegung setzt.
Was für Benno ultracool ist, ist eben für unsere Töchter out – und zwar komplett.

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Es bräuchte viel mehr Schnee für beide.

Nachdem der Bob  also rund 10 Jahre ungenutzt auf dem Speicher ausgeharrt hat, gehört er ab sofort Benno. Es ist das Beste, was wir damit hätten tun können. Die paar Euro, die man dafür auf den Flohmarkt bekommen hätte, lohnen die Anreise dorthin ebensowenig, wie ein Verkaufsversuch auf Ebay. Denn die Versandkosten wären wohl weit über den erlösten Verkaufspreis gekommen.
Das wissend, haben wir Bob eingelagert, vielleicht fürs erste Enkelsche, aber bis das kommt, wenn denn überhaupt…
Egal. Wenn wir ehrlich sind, war es eher die Strategie Bob aus den Augen, Bob aus dem Sinn, die uns dazu gebracht hat, den Bob auf den Dachboden zu bringen.
Bis meine Frau auf Benno zu sprechen kommt, an den Bob denkt und das einzig Richtige tut.
Ein Bob war ohnehin schon verschenkt, jetzt also der zweite. Und Benno ist ab sofort sein überglücklicher, stolzer Besitzer.
Win-Win – auch für uns. Denn

  • auf dem Speicher ist wieder etwas Platz;
  • das Herz wärmt sich, weil wir etwas Gutes getan haben und ein Kind glücklich ist;
  • ich kann davon erzählen, mein Blog füllt sich;
  • ein paar Leute ärgern sich, die einem Flüchtlingskind nicht den Dreck unter dem Fingernagel gönnen und wie immer bei solchen Geschichten in ihren Kommentaren im Netz auf die bedürftigen Obdachlosen verweisen. Die brauchen nämlich auch genau das, was den Flüchtlingen gerüchteweise vorne und hinten reingeschoben wird. Aber keiner denkt an sie. Also brauchen die auch Bobs… Bevor wieder so einer …. (ich lasse das diffamierende Wort weg) was bekommt. Oder etwa nicht? Aber noch darf jeder hierzulande entscheiden, wem er etwas von seinen Sachen schenken will und wie viel und wem nicht. Und unser Bob ging an Benno. Fertig.

Was will man also mehr?

Stimmt. Da war noch was:

Schnee.
Wir wollen Schnee.

Denn sonst nützt der schönste Bob nichts, weder Benno noch den Obdachlosen.

 

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2 Antworten

  1. Kurt sagt:

    Danke Lutz
    Ein wichtiger Beitrag in dieser Zeit.
    LG Kurt

    • Lutz Prauser sagt:

      Es war mir wichtig, zu zeigen, dass wir es mit Menschen zu tun haben. Ja wohl: Mit Menschen.

      Seit Wochen warte ich auf ein wenig Schnee, dass ich den Beitrag, den ich schon im Januar geschrieben hatte, als wir den Bob verschenkt haben, loswerde :).
      Traurigerweise ist die Familie von Abschiebung bedroht, der Junge wird vielleicht in ein Land zurückkehren, an dass er keine Erinnerung hat, eine Heimat bei uns verlieren, die er gerade erst gewonnen hat und den Bob vielleicht nie benutzen.

      Gegen den Ablehnungsbescheid wurde aber Widerspruch eingelegt.