Ach Erika – von einer kleinen Schockverliebtheit in der Monacensia

Wahrgenommen hatte ich sie bereits, aber erst ein Bloggerwalk durch die Monacensia hat Erika Mann in das Licht gerückt, in dem ich sie sehen möchte. 50 Jahre nach ihrem Tod widmet die Stadtbibliothek München in der Monacensia im Hildebrandthaus Erika Mann eine Ausstellung, es ist die erste überhaupt, die sich mit dieser faszinierenden Persönlichkeit beschäftigt, wie Sylvia Schütz zu Beginn des Rundgangs feststellt. Anschließend begleitet sie eine Gruppe von rund 20 Bloggerinnen und Blogger aus München auf diesem abendlichen Exklusiv-Termin durch die Ausstellung. Ich bin kolossal gespannt, was mich erwartet.

Vor der Moncansia - Ausstellungsplakate des Nachts

Viel weiß ich nicht von Erika Mann, ein wenig was aus Breloers Film über die Familie Mann, ein wenig was über Anatole Regniers Biographie seiner Großmutter Tilly Wedekind und seiner Mutter Pamela, die mit Erika Mann befreundet war. Rudimentäre Kenntnisse, zu wenig. Und in der Moncaensia war ich noch nie. Zeit wird’s, beides zu ändern – und die Gelegenheit ist günstig. Denn im Auftrag der Stadtbibliothek hat Kultur- und Museums-Talkerin Tanja Praske rund 20 Bloggerinnen und Blogger zusammengetrommelt. Gemeinsam wollen wir uns durch die Ausstellung führen lassen, einen Blick hinter die Kulissen werfen und in einer Performance der Schauspielerinnen Lisa Jeschke und Theresa Originaltexten lauschen.

Zunächst aber erzählen Anke Buettner, Leiterin der Monacensia etwas über den Spirit des Hauses und Sylvia Schütz, für Öffentlichkeitsarbeit in der Monacensia verantwortlich, von der Ausstellung: Sie legt Wert darauf, Erika Mann selbst, ihr Werk, ihr Leben, ihre Arbeit in Vordergrund zu stellen. Denn Erika Mann wird viel zu oft darauf reduziert, die Tochter Thomas Manns gewesen zu sein und die Schwester Klaus Manns. Was schade ist und ihr keinesfalls gerecht wird.

Sylvia Schütz erzählt den Bloggerinnen in der Moncensia viel über Erika Mann

Alle lauschen gespannt, machen Notizen und Fotos. Viele setzen Tweets ab, die Tanja später zusammenstellt. Ich bekenne ein erstes Mal, ein wenig schockverliebt zu sein in eine Frau, die starb, als ich 5 Jahre als war, die 59 Jahre vor mir geboren wurde. Immer wieder hören wir auch kleine Zitate aus ihrer Tätigkeit als Autorin. Messerscharf, pointiert, brillant.
Schockverliebt? Warum nicht? Spontanbegeistert hätte ich auch sagen können, aber das trifft es nur unzureichend. Es kommt gelegentlich, dass ich mich dermaßen spontan für jemanden oder etwas begeistere. Diese Frau zieht mich in ihren Bann, anderenorts habe ich mich bereits in Schafe, in Negerchen (politisch nicht korrekt, aber so hieß das Kunstwerk nun mal), in Stühle und Rechenmaschinen verliebt.

Zurück zum Thema:
Zitate von Erika Mann zieren auch die Wände in der Moncensia. Besonders eindrucksvoll ins Bild gerückt ist dabei der Wendepunkt im Leben Erika Manns – als sie erkennt, welches Unheil der Nationalsozialismus über Deutschland bringen wird, es am eigenen Leib zu spüren bekommt und sich entscheidet, zu einem politischen Menschen zu werden:

Zitate von Erika Mann - Moncanesia

Über allem hängt die Vergrößerung eines Fotos, das sie im Kostüm der Elisabeth aus Schillers „Don Carlos“ zeigt – schwarz weiß mit weit aufgerissenen Augen, starrem Blick, der intensiv und durchdringend ist. Ein Blick, dem man nicht ausweichen kann, ein Blick der beständig ist.
Was könnte man nicht alles über diese Frau erzählen, die wild war, ungestüm, unangepasst, traditionelle Rollenbilder und Klischees über Bord warf, als Frau eine Lehre als Automechanikerin machte um Autorennen fahren zu können, als Schauspielerin mit dem jungen Gustaf Gründgens und Pamela Wedekind auf der Bühne stand? Die als Kabarettistin gegen den Faschismus des Dritten Reichs anspielte, unter Druck geriet, Hatespeech (nannte man damals noch nicht so, war aber das Gleiche) der Nazis in ihrem „satirischen“ Pamphlet Die Brennessel aushalten musste, der reihenweise die Auftrittsmöglichkeiten entzogen wurden und die mitsamt ihren Eltern vor den Nazis fliehen musste.
Das Hetzblatt samt Karikatur von Erika Mann findet sich in der Ausstellung, die Tonalität, so stellt man erschreckend fest, ist wortgleich mit heutigen Hass- und Hetzkommentaren, wie man sie in den sozialen Netzwerken aus dem rechtsextremen Lager samt ihrer parlamentarischen Verlängerung der AfD.
Erika Mann hat damals gekämpft, hat die Beleidigungen, den Hohn nicht hingenommen, hat geklagt. Auch die Stornierung ihre Engagements auf politischen Druck der Nazis hat sie sich nicht bieten lassen. Hat wieder geklagt. Eine starke, selbstbewusste, kämpferische und couragierte Frau. Auch dafür bewundere ich sie.

Brennessel - nationalsozialistisches Pamphlet gegen Erika Mann

Erika Mann war Kriegsreporterin, politische Rednerin in den USA und versuchte, das Land zu überzeugen, in den Krieg gegen Nazideutschland zu ziehen, dem Terror der braunen Horden ein Ende zu machen. Sie war die einzige Frau, die als Berichterstatterin am Nürnberger Kriegsverbrecherprozess teilnahm. Dann schrieb sie Kinderbücher, weil ihr es, wie sie zitiert wird, „längst zu blöd geworden war für Erwachsene zu schreiben.“
Sie engagierte sich auch nach dem Krieg politisch – lange vor der Friedensbewegung – gegen die Bewaffnung mit Atomwaffen, sie kämpfte leidenschaftlich, wenn auch erfolglos dafür, dass der Roman Mephisto, den ihr Bruder geschrieben hatte, nach dessen Freitod veröffentlicht werden durfte… und noch so vieles mehr.

Erika Mann Ausstellung - Moncensia München

Erika Mann ist mit Sicherheit ein Mensch, mit dem es sich gelohnt hätte, mit einer guten Flasche Wein und einer Schachtel Zigaretten (ich bin Nichtraucher, sie nicht) einen Abend zu verbringen, zu politisieren, zu lauschen, sich inspirieren zu lassen. Ich jedenfalls hätte enorme Lust dazu und lasse meiner Phantasie freien Lauf, aber sie will nicht greifen. Erika Mann ist zu komplex, um sie in ein schnell skizziertes Phantasiebild zu pressen und n mir (noch) zu fremd, um dieses auszufüllen.

So bleibt nur die wunderbare, kleine, aber sehr intensive Ausstellung im Hildebrandthaus, um mir ein erstes Bild von einem Menschen zu machen, den ich wahnsinnig gerne persönlich kennengelernt hätte.
Was hätte ich sie alles fragen wollen, fragen können? Sie war die politische Stimme der Familie, nicht aus Überzeugung sondern aus Notwendigkeit. Ihr Zugang: Hochemotional, einfach, direkt und mit Grundmaximen der Moral versehen.

Zitate von Erika Mann - Moncanesia

Ganz am Ende der Ausstellung entdecke ich ein Foto, das Erika Mann in den 60er Jahren zeigt. Das Bild ist nicht datiert, da muss sie Ende 50, Anfang 60 gewesen sein, ungefähr so alt, wie ich in einigen Jahren sein werde.
Um mich ist es geschehen, da ist sie wieder, die kleine Schockverliebtheit.
Sorry Leute, aber ich kann dem Wunsch der Ausstellungsmacher nicht entsprechen, ich muss gegen die Regel verstoßen, einzelne Exponate nicht als close up sondern nur im Kontext der Ausstellung zu fotografieren. Es geht einfach nicht. Dieses Bild, im oberen Eck des letzten Schaukastens, so platziert, dass man es kaum mehr wahrnimmt, sagt mir alles. Was für eine Frau.

Erika, lass uns rausgehen und eine rauchen…

Erika Mann - ein Charaktermensch

Ich hoffe, die Monacensia verzeiht mit diesen Regelverstoß.

PS:
Die Ausstellung Erika Mann – Kabarettistin Kriegsreporterin Politische Rednerin geht bis zum 30. Juni 2020, der Eintritt ist kostenlos. Alle Infos finden Sie auf der Website der Monacensia. Gehen Sie hin. und verlieben Sie sich. Wenigstens etwas.

Einen Gastbeitrag zum gleichen Thema von meiner Tochter, die die Ausstellung und den Bloggerwalk mit mir besucht haben, finden Sie hier.

Alle Ausstellungsfotos wurden vor Ort gemacht und zeigen die genannte Ausstellung.


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3 Antworten

  1. Kann ich dir sehr nachfühlen, was du da beschreibst: mich hat die Ausstellung auch fasziniert.
    (Mal gucken, ob mein Kommentar durchkommt, ich hab da ja nicht so viel Glück gehabt bislang mit Kommentaren auf deinem Blog, neulich blockierte mich auch wieder die Technik…, da hätt ich gern was zu Rügen gesagt.)

  2. Lieber Lutz,

    merci beaucoup – wir sind auch „schockverliebt“ in deine Nachlese hier – so schön! Als mich die Monacensia mit der digitalen Adaption der Erika Mann-Ausstellung beauftragte, kannte ich die älteste Tochter der Manns nicht. Ich las zuerst ihr Reisebuch von der Riviera, das sie mit Klaus Mann schrieb – allein da wollte ich schon die Orte entlang der Côte d’Azur abfahren, die sie beschrieb. Meine Familie streikte da im Sommer, was in Ordnung ging.

    Als nächstes las ich „Blitze überm Horizont“ und spätestenst jetzt hatte es mich komplett mit ihr erwischt. Sie erschreckte und zog mich in ihren Bann. Erschreckt, weil ihre Aussagen hoch aktuell sind, so wie du es mit der Brennessel beschreibst. Gerade deshalb gehört sie auch wieder entdeckt, um die Tatenlosigkeit gegen braun respektive blau ad acta zu legen. Mit Demokratie haben diese Farben beileibe nichts mehr zu tun. Gerade für Demokratie setzte sich Erika Mann zeitlebens ein.

    Irmela von der Lühe empfahl mir „Wenn die Lichter ausgehen. Geschichten aus dem Dritten Reich“ von Erika Mann zu lesen – heftig. Du wirst damit etwas anfangen können, bin mir sehr sicher dazu.

    Jetzt erst einmal Merci und ein schönes Wochenende, mir hast du es mit dem Artikel bereitet *schwelg*! Bin froh, dich angefunkt zu haben!!!

    Herzlich,
    Tanja
    Digitale Vermittlung Erika Mann, Monacensia