Vor 20 Jahren hätte man…
Es ist nicht gerade so, dass es mich regelmäßig in die Münchner Allianz-Arena zieht. Schließlich bin ich weder Fan der fast schon bemitleidenswerten Sechz’ger noch schlägt mein Herz für den FC Bayern. Was heißt: Ich wohne zwar seit fünfzehn Jahren im Großraum München, das macht mich als „Zugroastn“ aber noch lange nicht zu einem Anhänger dieser großmannssüchtigen Truppe um den vorbestraften Wurstkönig und die Schande aus Lippstadt…
Womit die Verhältnisse geklärt sind.
Trotzdem bemühe ich mich nach Kräften um ein Ticket, wenn unsere Jungs, die Schwarz-Gelben, an die Isar kommen, für die nämlich schlägt mein Fußballerz. Der Grund ist naheliegend. Ich bin zwar kein Dortmunder, komme aber aus der Nachbarstadt, also aus einer Stadt irgendwo zwischen Borsigplatz und Lüdenscheid-Nord.
Meistens gelingt es mir, an eine Karte zu kommen, nie aber an eine im Fanblock der Gästemannschaft. Das hat Beschaffungsgründe, die hier nicht zur Diskussion stehen, aber das Ergebnis zählt: Hauptsache im Stadion. So hocke ich nämlich – vollausgestattet mit Cap, Schal, Trikot und im Winter Jacke und Handschuhen – irgendwo auf einem Rangplatz zwischen vielen Roten, wenigen Neutralen und noch weniger Schwarz-Gelben. Und je näher man an die Südtribüne kommt, um so roter wird es.
Gestern erst hatte ich das Vergnügen, direkt in der Südkurve über den bayerischen Hardcore-Fans zu sitzen, damit ganz weit weg von den Schwarz-Gelben, aber doch nicht ganz allein. Eine Handvoll Borussen-Fans war in Sichtweite, da war ich beim Jubeln nicht ganz so allein.
Und Grund zum Jubeln gab es. Nun muss ich wohl nicht den Verlau des Spiels nacherzählen, es ist hinlänglich bekannt, dass es vor der Halbzeit 0:1 stand, und der ausgewechselte Bayern-Torwart Lukas Raeder seinen ersten Ballkontakt hatte, als er hinter sich ins Netz greifen musste und sich das noch einmal wiederholte. Dreimal klingelte es im bayerischen Tor, bis Schiedsrichter Zwayer das Spiel abfiff.
Hoch zufrieden verließen die 7.000 Schwarz-Gelben den Fanblock, mindestens weitere 1.000 Borussen-Anhänger, die es über die Ränge verteilt hatte, ebenso.
Unser Grinsen war breit, das der Bayern eher weniger. Die waren sehr schmallippig. Wie immer immer in solchen Situationen suchten die Fans der unterlegenen Mannschaft den Grund für die Niederlage nicht im Verschulden ihres Teams (sprich: Wir haben einfach schlecht gespielt), sondern brauchte es einen Sündenbock. Der war schnell gefunden: Schiedsrichter Zweyer, der angeblich nur für die Borussen gepfiffen hat, permanent bei uns Foul und Hand übersehen hat, das klare Abseits beim Tor von Mandzukic hingegen nicht übersehen hat und überhaupt mit den gelben Karten nicht gerade zimperlich umging. Am Ende stellte er – wieder mal – Rafina vom Platz, der – wieder mal – einem Borussen ins Gesicht gelangt hat. Das sei eine Unverschämtheit, völlig überzogen, so kurz vor Spielschluß und überhaupt…!
Wie dem auch sei: Im Strom Tausender, die zur U-Bahn gehen, stechen die wenigen Gelben schon rein optisch besonders hervor. Während sich nahezu alle gesittet mit dem Schicksal abfinden, dass der FC Bayern zum zweiten Mal in Folge geschlagen wurde (was egal ist, denn sie sind ja schon Meister), und sich mit Aufstehen, Staub abklopfen, Krone gerade rücken trotzig geben, haben es offensichtlich einige Fans nötig, zu pöbeln.
Ein Schwarz-Gelber muss her. Und das bin ich.
Die Stimmung der beiden Ultras, die neben mir gehen. ist gedrückt, der Alkohol hilft, die Niederlage erträglich zu machen und so torkeln sie in ihren Südkurven-Hoodiess dirket neben mir Richtung U-Bahn. Ob ich denn mit der Schiedsrichterleistung zufrieden sei, lallt der eine mich plötzlich von der Seite an.
„Klar“, antworte ich wahrheitsgemäß und füge ironisch hinzu, der neue Opel Omega sei bereits bestellt, den könne der Zweyer gleich fabrikneu abholen. Das sollte natürlich ein Witz sein, was die beiden Dumpfbcaken aber nicht als solches verstehen, und ich erst jetzt merke, wie hohl die beiden eigentlich sind. Ihr ohnehin eher niedrige IQ ist sicher durch den Alkohol noch einmal temporär halbiert worden und dürfte sich gerade auf der Höhe der Zimmertemperatur bewegen.
Es folgt eine wüste Beschimpfung und gleichzeitig das Loblied auf das Bayern (Bundesland), die Bayern (Bewohner des Bundeslandes), die Bayern (den amtierenden Meister) und München insbesondere. Das klingt wütend und frustriert – und wie ich bemerke alles andere als Bayerisch. Ich behaupte, selbst im Gelalle mittlerweile einen bayerischen Dialekt erkennen zu können. Den aber haben die beiden nicht. Ihr Dialekt weist sie eher als… lassen wir das. Echte Einheimische sind das jedenfalls nicht.
Das Stichwort Opel haben sie natürlich aufgefriffen, nennen das eine Dreckskarre und schwärmen vom einzig wahren Auto in Deutschland: BMW. „Alles andere ist ja Schrott.“
Vermutlich kennen sie sich aus, weil sie Nissan- oder Honda-Fahrer sind. Leider übersehen sie dabei völlig, dass sie eigentlich von Audi hätten schwärmen müssen. Die nämlich sponsern den FC Bayern, nicht BMW. Thema verfehlt. Setzen! Sechs!
Vom Drecks-Opel, der, was diese Experten natürlich auch nicht wissen, auch nicht aus Dortmund, sondern aus Bochum oder Rüselsheim kommt , ist es natürlich nicht weit zur Drecksstadt. Was wir denn da oben überhaupt hätten? will der eine wissen.
Der andere setzt gleich mal einen oben drauf: „Das gibt’s doch sowieso nix außer Kanaken“, faselt er. „Du“, damit meint er mich, „kommst aus so ner richtig beschissenen Kanakenstadt, weiss’u? Kann’su gleich alle platt machen, sind doch eh nur Kanaken.“
Leider falsch, denke ich. Ich komme nicht aus dieser Kanakenstadt. Denn erstens bin ich nicht aus Dortmund sondern aus Hagen (was es diesbezüglich aber nicht besser macht) und zweitens komme ich gerade aus einem Dorf im Erdinger Landkreis.
Da ich aber wenig Lust verspüre, mit diesen Trunkenbolden das zu diskutieren, lasse ich sie pöbeln und ignoriere sie bestmöglich. Am Ende würde eine Diskussion vielleicht in einer Rafinha’schen Handgreiflichkeit enden, bei der allerdings kein Schiedsrichter da ist, um die beiden mit Rot vom Platz zu stellen. Das brauche ich jetzt nicht. Ich gehe weiter und veruche dabei, etwas Abstand zu bekommen.
Wissen die eigentlich, denke ich, dass in München – wie auch in Dortmund – über 40.000 Menschen türkischer Abstammung leben? Rund ein Viertel der Einwohner Münchens sind Ausländer. Egal. Mit Wissen kann man bei denen sowieso nicht punkten.
Während wir uns der U-Bahnstation nähern, bemerke ich, dass die beiden partout nicht wollen, dass ich mich des munteren Zwiegesprächs mit ihnen entziehe. Allerlei Unflätigkeiten rufen sie mir nach und warten auf Antwort. Von Scheiß-Zecken über BVB 09 – Hurensöhne bis zu Dortmunder Drecksau“reicht das wenig einfallsreiche Repertoire. Das entspricht so ungefähr dem Niveau der englischen Presse, die nach dem CL-Spiel gegen Manchester Dirty Schwein über das Foul von Bayern-Spieler Bastian Schweinsteiger titelte und postwendend vom FC Bayern die Stadionakkreditierungen entzogen bekam. Zu Recht übrigens. Dass jetzt aber zu erwähnen, wäre zu komplex für die beiden. Also lasse ich es.
Das Schweigen auf ihre Pöbeleien provoziert sie zu einer gedanklichen Höchstleistung:
„Weiss’u“, brüllte der eine noch immer lallend. „So Typen wie Euch, die hätten wir vor 20 Jahren nach Dachau ins KZ geschickt und vergast.“
„Alle vergassen“, ergänzt dumpf der andere. „Alle vergasen!“
Vor zwanzig Jahren… Ah ja! Da kennt sich einer in der Geschichte aus. Was soll man da noch sagen?
Nachbemerkung: Normalerweise enthalten in diesem Blog die meisten Texte satirische Übertreibungen. Diese Begebenheit aber hat sich genau so abgespielt. Ich weiß, dass ich nicht pauschalisieren darf (Sie übrigens auch nicht). Diese beiden Fans sind sicher weder für den FC Bayern repräsentativ noch für Fußballfans überhaupt. Oder andersherum: Sicher hat jeder Verein unter seinen Fans solche Typen. Darum geht es mir hier nicht. Es geht um das herzliche Miteinander. Ich bin ja auch nicht gerade zimperlich bei der Wortwahl gegenüber fußballerischen Gegnern. Aber alles hat seine Grenzen… Nur die Dummheit nicht.
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Echt? vor zwanzig Jahren hat man in Dachau Dortmund-Fans vergast? Das wurde mal wieder vertuscht, wie so vieles …