Zwischen Glück und Qual – 14 °C WT im Weiher

Du triffst nun deine Wahl
Und wirfst uns zwischen Glück und Qual

Ohrwürmer neigen dazu, sich zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit in den Kopf zu drängen. Und es hilft auch nicht, dann den Song bis zum Überdruss zu hören, eine Übersättigung ist möglich, aber der Ohrwurm bleibt. Und summt… und summt… und summt.

So ist es auch am Wochenende, der zweiten Freiwasserrunde nach dem Anschwimmen im Feringasee. Ohrwurmbelastet grüble ich, ob ich zum Wiflinger Weiher fahren soll. Und der Schlüsselsatz saugt sich fest.
Es ist buchstäblich erst die die zu treffende Wahl und dann der Wurf zwischen Glück und Qual und zwar genau mitten hinein. Denn das Wetter ist mittags eher durchwachsen. 16 °C zeigt das Thermometer, es ist bewölkt. Ich rechne nicht damit, dass das Wasser im Wiflinger Weiher (= Wörther Weiher) nicht mal so warm ist. Es hat die Woche über heftig und viel geregnet und die Nächte waren arschkalt. Das hinterlässt Spuren.
Als ich Freund Herbert beim Spazierengehen „erwische“, als er mit seiner Frau an unserem Gartenzaun vorbeikommt und mich beim Plaudern brüste, heute noch schwimmen zu gehen, gibt es kein Zurück mehr. Die Qual der Wahl hat sich erledigt. Immerhin reißt die Wolkendecke auf. Also los.

Nahezu spiegelglatt liegt der Weiher vor mir, ein kleines Kräuseln – mehr nicht. Niemand schwimmt, nur ein paar Kinder planschen am Ufer, sind aber höchstens mit den Füßen im Wasser. Auch kein Stand-Up-Paddler. Wenn das keine Einladung ist.

Glück oder Qual - der kalte Weiher

Werf ich mich also in meinen Neo, den ich heute mal wieder ganz alleine zumache. Schon aus Prinzip, obwohl sich genug Leute auf der immer noch feuchten Liegewiese befinden.
Ein kritischer Blick – und dann werfe ich mich buchstäblich zwischen Qual und Glück. Denn das Wasser ist echt kalt – definitiv kälter als am Montag im Feringasee. Das steht fest. Schnappatmung, Prusten. Prusten. Prusten.
Arschkalt, scheißkalt…
Nennen Sie es, wie Sie wollen.

Prusten - Qual - kaltes Wasser

Ich wusste das, und ich wusste, wie unangenehm sich das im ersten Moment anfühlt. Die Trägheit, gar nicht erst losfahren zu wollen, hat schon seine Gründe. Aber es ist eben auch alternativlos – zumindest im Moment.
Entsprechend dauert es seine Zeit, bis aus der Qual das Glück wird. Die ersten hundert Meter sind wieder äußerst unangenehm und mit inneren Flüchen behaftet.

Kraulen um warm zu werden

Aber dann geht es – wie schon am Montag. Zumindest wieder eine Dreiviertelstunde lang. Der Ohrwurm schwimmt mit, eignet sich aber nicht, in Gedanken gesungen zu werden und damit im Takt zu kraulen. Also verlege ich mich aufs Züge zählen. Und schwupp: Ist er Weg, der Wurm.
Mittlerweile sind auch zwei drei Menschen ins Wasser gegangen, schwimmen ein paar Omabrust. Züge und sind schnell wieder draußen. Verständlich. Es ist eben doch noch zapfig.

Im Weiher zwischen Glück und Qual

Ich hingegen finde es irgendwann richtig, richtig gut und kann gar nicht verstehen, wie ich überhaupt die Frage habe aufwerfen können, ob ich schwimmen gehe oder nicht. Das Glück muss man eben manchmal erzwingen – oder durch die Qual hindurch. Besser so, als andersherum.

Das Glück

Als ich nach meinem Schwimmen aus der Tasche das Badethermometer hole und messe, auf was ich mich heute eingelassen habe, zeigt die Queksilbersäule, die schon längst statt  Quecksilber gefärbten Alkohol enthält, verträumte 14 °C Wassertemperatur. Wieder einmal beweist sich, dass das Messen nach dem Schwimmen die bessere Variante ist. Hätte ich das vorher gewusst…

14 °C - kalt. Was eine Qual

… hätte, hätte, Fahrradkette.

Wieder zurück am Ufer hat sich eine Frau, etwa in meinem Alter, „meine Bank“ unter den Nagel gerissen. Sie ist auch gerade aus dem Wasser gekommen, trocknet sich ab, entschuldigt sich, dass sie sich einfach breit gemacht hat. Ich winke ab. Das geht vollkommen in Ordnung. Wir kommen ins Plaudern übers Schwimmen, die unterschiedlichen Weiher und Seen. Dann entschuldigt sie sich plötzlich wieder, dass sie mir einfach ein Gespräch aufgezwungen habe.
Und wieder winke ich ab. „Es tut gut und ist sehr angenehm, mal wieder mit anderen Leuten zu reden, auch über andere Themen, als die, die man sonst immer auf dem Zettel hat.“
Sie nickt. „Vor lauter Home Office und Kontaktbeschränkungen kommt man kaum noch vor die Tür, man verblödet regelrecht.“

So weit würde ich nun nicht gehen, dass ich das Gefühl habe, zu verblöden. Aber ich geh ja auch dauernd vor die Tür. Trotzdem pflichte ich ihr bei. Und so plaudern wir noch einen Moment über Hallen- und Freibäder, über gute und schlechte Schwimmzeiten am Weiher. Vor der Arbeit, nach der Arbeit – alles hat sein Für und Wieder.

Jäh wird unser Gespräch unterbrochen von einer ohrenbetäubenden Beschallung mit der Spider Murpy Gang: Pfüt di Gott Elisabeth. Ein knappes Dutzend Teenager ist mit Rädern gekommen und hat sich relativ nah ausgebreitet. Schon sind Decken ausgebreitet, schon wird die Shisha aufgebaut. Aus der Box scheppert ohrwurmfreie Musik.

Pfüati Gott, Veronika,
Mit dir war’s einfach wunderbar,
Woh-oh-oh-oh,
Jetzt muaß i geh!

„Ja – alle wollen raus!“ kommentiert die Frau das Geschehen.
„Ja, ganz offensichtlich! Und absolut verständlich!“

Ein Traum - blühender Apfelbaum

Wir packen unsere Sachen zusammen, verabschieden uns. Jeder geht in seine Richtung.
Als ich im Auto sitze, muss meine Anlage beweisen, dass sie auch ohrenbetäubend Musik abspielen kann. Aber Bessere. Natürlich nicht Spider Murphy Gang, das ist so frühe 80er.
Das kann ich besser. Viel besser.

Zu Asche, zu Staub
Dem Licht geraubt
Doch noch nicht jetzt
Wunder warten bis zuletzt

Ozean der Zeit
Ewiges Gesetz

Zu Asche, zu Staub
Zu Asche
Doch noch nicht jetzt

So ist das eben, wenn man seine Wahl trifft: Zwischen Glück und Qual zu werfen. Das werden die Spider Murphy hörenden Pickel auf der Wiese noch lernen. Und der Ohrwurm ist auch wieder da.


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