Als Tourist daheim (#11): In Wilparting

Wilparting - Engel in der Wallfahrtskirche

Verschmitzt blickt der kleine, keinesfalls dickliche Engel über die Schulter. Er hält sich nur mit einer Hand an einer Quaste fest, sonst baumelt er frei. Für Engel, die immerhin beflügelt und damit des Fliegens mächtig sind, sollte das kein allzu großes Risiko sein. Sein Gesicht spiegelt eine Mine aus Überraschung und (oder täusche ich mich?) leichter Genervtheit wieder. Verdreht er nicht sogar ein wenig die Augen, so als wolle er dem Betrachter ein herzliches „Na und?“ entgegenrufen: „Ich kann’s doch. Und überhaupt: Was geht’s Dich an?“
Womit er nicht unrecht hat. Es geht mich eigentlich gar nichts an.

Entdeckt habe ich den Engel in der Wallfahrtskirche Wilparting, die sich über dem Grab der beiden Heiligen St. Marinus und St. Anianus erhebt. Entsprechend heißt sie offiziell auch Filial- und Wallfahrtskirche St. Marinus und Anian. Von beiden Heiligen weiß ich nichts, muss ich auch nicht. Von der barocken Kirche und ihrer kunsthistorischen Relevanz weiß ich auch nicht allzu viel. Das ist auch nicht der Grund, warum ich sie besuche.

Den Entschluss dazu fasse ich, als ich mich vom Rückweg von Spitzing- und Schliersee befinde. An einem Kreisverkehr hinter Miesbach lese ich das Schild „Irschenberg 8 km“ . So nutze ich furchtbar spontan die Gelegenheit. Statt auf die Staatsstraße Richtung Weyarn und damit Richtung daheim abzubiegen, folge ich dem Wegweiser nach Irschenberg. Denn die Kirche wollte ich längst mal sehen.
Das Nest Wilparting kennt k(aum)einer, den wochenendlichen Stau auf der A8 direkt daneben wohl jeder, der mal im Winter die Autobahn von München nach Salzburg gefahren ist.
Oben auf dem Berg drängen sich direkt an der Autobahn Outletshops, Motels, Fast-Food-Geflügel- und Hamburgerbratereien.
Da muss man eben durch, wenn man nach Wilparting zur Kirche will. Hinter dieser gibt es im einzigen Haus am Ort angeblich das Café Moarhof, das allerdings geschlossen hat. Schade, dort hätte ich gern noch einen Cappucchino getrunken.

Wilparting - vor dem Wendelstein

Die Wallfahrtskirche liegt Luftlinie keine 330 Meter von der Autobahn entfernt, sie ist daher mit etwas Konzentration und Glück auch von selbiger aus zu sehen, zumindest, wenn man nicht selbst hinterm Steuer sitzt und sich auf den Verkehr konzentrieren muss. Alternativ kann man natürlich auf den Parkplatz Wilparting fahren, von dort hat man freies Blickfeld auf das Gotteshaus.
Die Autobahn ist dann auch sein großes Manko, bzw. das des Weilers: Permanenter und massiver Verkehrslärm vom Allerfeinsten. Welcher Volltrottel ist damals nur auf diese Schwachsinnsidee gekommen, die Autobahnstrecke über den Berg zu wählen, statt ein paar Kilometer weiter nördlich durchs Tal? Randbemerkung: Dabei war diese im Vergleich zu seinen anderen noch viel wahnsinnigeren Ideen sogar noch eine der harmlosesten.

Richtet man den Blick von der Autobahn weg nach Süden, steht die Kirche vor dem phantastischen Panorama des Wendelsteins und des Mangfallgebirges.

Die Berge von Wilparting aus

Das ist Bayern, wie man es kennt, wie man es mag und wie es klischeehafter kaum darstellbar wäre. Wäre da eben nicht das fortwährende Dröhnen und Rauschen von der Autobahn herüber. Das muss man sich wegdenken und vielleicht besser das Geläut der großen Schellen der Kühe hinzuphantasieren.
Bekannter noch als die Kirche ist die kleine Veitskapelle direkt dahinter. In vielen Spielfilmen wurde sie gezeigt, aber sie bildet nicht nur eine pittoreske Kulisse für Filmszenen, sie ist auch als Szenentrenner in der vor Klischees triefenden ZDF-Billigheimerserie Rosenheim Cops immer wieder zu sehen. Und daher kennen wohl sie wohl die meisten. Dabei steht die Kapelle nicht mal im Landkreis Rosenheim sondern im LK Miesbach. Aber wen interessiert diese Erbsenzählerei schon? Bei dieser Serie stimmt ja ohnehin fast gar nichts.

Wilparting - Wallfahrtskirche und Kapelle

Die Veitskapelle, die gibt es allerdings in echt, sie ist nicht nur eine Sperrholzfernsehkulisse.
Nur: War schon mal wer dort?Wilparting - Wallfahrtskirche und Kapelle

Die Neugier treibt mich, auch der Wunsch, ein paar Fotos zu machen. Das wollte ich schon länger, genauer gesagt, seit ich den überaus witzigen und bösen Film Die Scheinheiligen gesehen habe.
Ich finde die Kapelle verschlossen. Zwei kleine Löcher in Augenhöhe in der schweren Tür erlauben immerhin einen Blick ins Innere, doch sind die Löcher kaum größer als eine Geldmünze, so dass das Fotografieren in die Kapelle hinein, chancenlos ist. Erst daheim komme ich drauf, dass die Kamera im Handy ja durchaus klein genug gewesen wäre, um durchs Loch zu knipsen. Sei’s drum.
Das macht aber auch nichts weiter, denn von innen macht sie nicht allzu viel her.

Wilparting - Wallfahrtskirche und Kapelle

Das ist bei der Wallfahrtskirche anders. Sie ist nicht nur offen, sie ist auch sehenswert. Barock vom allerfeinsten und mitnichten nur annährend so düster, schwer und überladen wie zum Beispiel die Asamkirche in München. Leicht, hoch, helle Pastelltöne, alles wie eine Sahnecremetörtchen verziert, um die mich das nebenan geschlossene Café auch gebracht hat. Dann dochvzu den Frittenläden am Irschenberg? Nö.

Wilparting - Wallfahrtskirche von innen

Barock, so viel ist klar, muss man schon mögen, was längst nicht jeder tut. Üppig, prunkvoll, verschnörkelt im Detail, alles zur Ehre Gottes, der himmlischen Heerschar, Maria, der Heiligen: Das ist nicht unbedingt das, was so manche protestantischen Puristen gut heißen können oder wollen…

Wilparting - Wallfahrtskirche Tabernakel

Wilparting - Wallfahrtskirche Deckenfresko

so, als ginge es darum.
Aber darum geht es nun mal nicht.
Und es geht auch nicht darum, was man alles statt üppigster Ausstattung solcher Kirchen mit dem ganzen Geld sonst hätte sinnvoller anfangen können oder wem welcher Obolus dafür abgeluchst oder abgepresst wurde; und wenn es für den großzügigen Spender das Verheiß auf ein Platz im Paradies war.

Solche Kirchen sind Zeugen ihrer Zeit und sollten daher aus dieser heraus verstanden werden, ob nun die Gebeine von Heiligen darin ruhen oder nicht. Zumindest sind es äußerst interessante Baudenkmäler und erzählen viel von ihrer Zeit, in dervsie gebaut wurden.

Ich nehme mir viel Zeit in der Kirche, schaue mich gründlich um, versuche ,ohne Hilfe das Deckenfresko und diverse andere Malereien zu verstehen, aber ohne die Legenden um St. Marinus und St. Anianus zu kennen, ist das relativ aussichtslos. Immerhin erkenne ich in den Seitenaltären den Heiligen Sebastian (wer kennt den mit Pfeilen bespickten Märtyrer nicht?) und den Heiligen Georg, der dem Drachen zusetzt. Dann entdecke den kleinen Engel unterhalb der Kanzel.

Wilparting - Wallfahrtskirche Orgel

Wilparting - Wallfahrtskirche

Die Sonne steht tief, als ich aus der Kirche komme, lange Schatten liegen über der Kirche, zum Fotografieren ist das alles andere als optimal. Vielleicht sollte ich im Sommer noch einmal herkommen.
Vielleicht aber auch nicht.
Ich habe gesehen, was ich sehen wollte und so wichtig ist es mir nicht, die Kirche noch einmal im hellen Tageslicht zu fotografieren oder eine Innenaufnahme der Veitskapelle zu erzwingen.
Auf der Bank neben der Kirche sitzen zwei andere Besucher, längst auch im Schatten, dick eingepackt in in ihren Jacken, die Kragen hochgeschlagen. Sie sind ins Gespräch vertieft und nehmen keine Notiz von mir, auch nicht, als ich die Kirche fotografiere.
Ich kann kaum verlangen, dass sie einen Moment ihren Platz verlassen, dann ist das eben so, dann sind sie eben mit auf dem Foto.
Mir wird kalt, ich mache mich auf den Weg zurück zum Parkplatz.

Ein letzter Blick auf die Wallfahrtskirche mit dem phantastischen Panorama, dann geht es heim.
Über den Irschenberg.
Wie sonst?
Der Zufall will es, dass ich auf dem Heimweg in einem Podcast einen Beitrag über die allererste deutsche Fernsehwerbung höre. Persil hatte das Privileg.
Was daran erwähnenswert ist?
Persilhersteller Henkel hatte immens gut verhandelt, denn hoch oben auf dem Wendelstein wollte der BR einen Sendemast platzieren, mit dem ein Viertel der bayerischen Bevölkerung erreichbar sein würde.
Grundstückseigner Henkel warf die Zustimmung zum Bau mit in den Verhandlungstopf und sicherte sich den allerersten TV-Spot zum Vorzugspreis. Da weiß man, was man hat. Guten Abend.


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