Verdammt, verdammt, warum steht der Bräker im Regal?

Als ich für ein anderes Blog, an dem ich mitschreibe,  ein Buch, aus dem ich zitieren will aus dem Regal ziehe, das ich buchstäblich Jahrzehnte nicht in der Hand hatte,  schweift mein Blick auch an den anderen Buchrücken entlang. Es ist interessant, was sich mit der Zeit alles angesammelt hat. Und es wird grob eingeschätzt, wer bzw. was noch bleiben wird und was in nächster Zeit mal auf die Bücherschränke im Landkreis verteilt wird. Denn da ist auch einiges an Einmalliteratur zusammengekommen.
Damit meine ich jetzt nicht alle Bücher, die eine/r von uns nur einmal gelesen hat. Damit meine ich Bücher, die nach damaligen Genuss jetzt wirklich wegkönnen, die will von uns wirklich niemand mehr lesen. Und eine Zierde im Regal stellen sie auch nicht dar, geschweige denn, dass sie zur Ehre gereichen, wenn andere, zum Beispiel Besucher einen Blick auf unsere Bücher werfen und davon etwas über uns in Erfahrung bringen wollen. Sie wissen, was ich meine.
Und während ich die Oberseite von Johannes Gillhoffs Briefroman Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer  mit einem Pusten von der dünnen Staubschicht, die sich oben auf gesammelt hat, befreite, fällt mein Blick auf die Biographie von Ulrich Bräker Der arme Mann im TockenburgEinmal nur habe ich das Buch gelesen, noch in recht guter Erinnerung, obwohl auch das Jahrzehnte her ist. Das bleibt auf jeden Fall im Regal, womit seine Zukunft geklärt ist. Nicht aber seine Herkunft.Irgendwo mitten drin - der Bräker

Es ist ein wenig erschreckend, aber mir fällt beim besten Willen nicht ein, warum ich das Taschenbuch vor sicher über 35  Jahren gekauft habe. Und das verwirrt mich.

Der arme Mann im Tockenburg gehört nicht zur Weltliteratur, dazu reicht seine literarische Qualität nicht aus. Auch ist der Autor eigentlich kein Schriftsteller sondern war ein armer Kleinbauer aus der Schweiz, der sein Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schildert. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Zeit, in der er – als Junge an die Armee verkauft – für die Preußen in den Siebenjährigen Krieg ziehen muss und an der Schlacht von Lobositz teilnimmt.

BräkerDas macht es interessant, aus dieser Bevölkerungsschicht und dieser Zeit gibt es nur wenige Quellen – man sprach und schrieb zwar auch über die armen Leute aber aus der Perspektive von oben herab. Das ist hier anders.
Was hat mich damals bewogen, dieses Buch zu bestellen und zu kaufen? Denn es gehört ganz sicher nicht zu den Impulskäufen, weil ich es irgendwo in einem Buchladen habe liegen sehen. So ein Buch kauft man nur, wenn man weiß, dass es das überhaupt gibt.
War es eine Lehrveranstaltung an der Uni? Ein Indiz, denn einer der Professoren war Schweizer, dem dürfte das Buch bekannt gewesen sein, vielleicht spielt(e) es in der Schweiz im Literaturkanon eine größere Rolle. Ich weiß es nicht. Aber wenn das so war – in welcher Veranstaltung, in welchem Seminar oder in welcher Vorlesung war das Thema. Dieser Silberstreif der Hoffnung an Aufklärung verflüchtigt sich aber schnell, als ich sehe, dass ich eine Ausgabe aus dem Diogenes-Verlag (Schweizer, wer sonst?) aus dem Jahr 1993 besitze, also aus der Zeit, als ich mit dem Studium bereits fertig war.
Ich kann mich auch an keine Leseempfehlung irgendwo in den Medien, eine Dokumentation oder einen Spielfilm, die mich auf das Thema und das Buch aufmerksam gemacht hätten, erinnern. Das ausgehende 18. Jahrhundert ist auch nicht gerade mein historisches Hauptinteresse, von der Französischen Revolution einmal abgesehen. Aber da war die Biographie schon geschrieben.

Wie also kommt um Himmels Willen Bräker ins Regal?
Hat mir das ein Freund empfohlen? Vielleicht sogar geschenkt? Das ist gut möglich, sehr wahrscheinlich sogar.

Ich bilde mir ein, von den meisten Büchern zu wissen, ungefähr wann und vor allem warum ich die gekauft habe. Unnützes Wissen – unnütze Gedanken, vielleicht.
Vielleicht aber auch nicht. Ich finde es wichtig zu wissen, warum ich ein Buch habe. Und woher. Selbst wenn die heimische Bibliothek längst aus allen Nähten platzt. Denn jedes Buch hat seine Geschichte – und ich eine Beziehung zu ihm. Zumindest gilt das für die, für die ich in unserem Haushalt verantwortlich bin.

Aber bei Bräker bin ich ratlos.
Und das beschäftigt mich.
Müsste es nicht, tut es aber.

Und ja: Mittlerweile bin ich überzeugt, dass es ein Geschenk war. Anders lässt sich die Herkunft des Buches nicht erklären.
Bleibt die Frage: Warum schenkte man mir dereinst dieses Werk?
Damit ich Jahre später was zu Rätseln habe?


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