Die Stalag Gedenkstätten in Moosburg (Teil #01)
Vorab: Zur Präzisierung wurden am 15.01.2024 einige Formulierungen etwas geändert.
Als ich im Sommer von der Amper den Heimweg antrat und an Moosburg (Landkreis Freising) vorbei fuhr, entdeckte ich erst ein Schild, das auf die „Gedenkstätte Stalag Friedhof“ hinweist, dann ein paar Meter weiter ein anderes Schild, das den Weg zur „Gedenkstätte Oberreit“ anzeigt. Von beiden hatte ich nie irgendetwas gehört. Gedenkstätte und Friedhof, so kombinierte ich, das könnte wohl etwas mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun haben. Aber ich gebe zu: Ich hatte keine Ahnung, um was es geht, und ich wusste auch nicht, was Stalag bedeutet.
Das ergründete ich daheim und lernte zunächst, dass beide Schilder auf die gleiche Gedenkstätte hinweisen. Und dann, dass „Stalag“ einst die gebräuchliche Abkürzung für „Stammlager“ war und dies wiederum ein Kriegsgefangenenlager bezeichnete. Ein solches befand sich im Zweiten Weltkrieg in Moosburg an der Isar – eines der größten auf deutschem Boden: Das Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager VII A, in dem zum Ende des Krieges hin 80.000 Menschen interniert waren.
Das waren (zur Einordnung), etwa vier mal so viele Menschen, wie Moosburg heute Einwohner hat. Damals waren es nur etwa 5.000. Moosburg liegt etwa 50 Kilometer nordöstlich von München.
Konzipiert war das Lager bereits im Oktober 1939, es sollte 10.000 Gefangene aufnehmen, zunächst Polen, dann Franzosen. Ab Frühjahr 1941 waren es zunehmend Soldaten aus der Sowjetunion. Genossen die Gefangenen aus Frankreich und anderen westeuropäischen Ländern noch gewisse Privilegien, wurden aus den sowjetischen Kriegsgefangenen wesentliche schlechter bekandelt und untergebracht. Ab Herbst 1941Richtung Dachau wurden aus dieser Gruppe über hundert herausgesucht, mit LKW Richtung Westen gebracht und dort in der Nähe von Hebertshausen in Massenerschießungen durch die SS ermordet.
Ich wollte mehr darüber wissen, ich wollte die Orte sehen. Es liegen so viele davon mehr oder weniger direkt vor meiner Haustür, nur wenige Kilometer entfernt in den benachbarten Landkreisen, ob nun die Gedenkstätte des KZ Dachau, die ich im April mehrmals besuchte oder die Außenstelle in der Mühldorfer Hart, mit Waldlager, Rüstungsbunkern und Massengrab (Links zu den Blogbeiträgen sind markiert).
In Zeiten, in denen der Rechtspopulismus massiv zunimmt, in denen neofaschistische, rassistische und antisemitische Äußerungen längst wieder salonfähig sind, in der der bayerische Wirtschaftsminister seinen jugendlichen Antisemitismus ohne eine Spur von Scham oder Reue zu zeigen einfach dreist weggrinst, ist es wichtig, sich mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen und daran zu erinnern, mit den Massen- und Völkermorden der Nazis, mit ihrem Größenwahn und Kriegstreiberei. Es ist ein heilsames Mittel, es stärkt das eigene Immun- und Abwehrsystem. Und es justiert immer wieder meinen Wertekompass.
Auf Spurensuche nach Moosburg muss ich nicht fahren, es gibt nichts zu suchen – nur zu besuchen. Was ich getan habe.
Der Stalag Moosburg e.V. hat sorgsam dokumentiert, was aus dieser Zeit noch zu sehen ist bzw. welche Gedenkstätten und Erinnerungsorte es noch gibt. Mit dunklem Tourismus hat das nichts zu tun. Denn ich werde keinen Ort finden, der mich gruseln lässt oder der mich angesichts dessen, was hier geschehen ist, emotional zutiefst erschaudern oder erschüttern lässt. Das war in Dachau anders als in Moosburg.
Dazu ist nicht nur zu viel Zeit vergangen, dazu wurde auch jahrezehntelang versucht, Gras über das Ganze wachsen zu lassen und die Erinnerungskultur möglichst flach zu halten. Bloß keine Konfrontation der Bevölkerung mit der Tatsache, dass hier ein Gefangenenlager war, zehntausende Männer interniert waren und die russischen Gefangenen zur Ermordung nach Hebertshausen geschickt wurden. Längst ist das Gelände bis auf wenige „Rückstände“ kaum mehr als solches erkennbar. Nach der Nutzung der Amerikaner, die das Stalag als Internierungslager nutzten, folgte ab 1948 die Ansiedlung vieler Flüchtlinge und Heimatvertriebener aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland. Baracken wurden umgebaut, erweitert, ausgebaut zu Wohnraum und Werkstätten, andere abgerissen und auf deren Grund neu gebaut. Längst ist hier ein neuer Stadtteil entstanden, nur das alte Straßennetz verrät heute nur noch rudimentär die Dimensionen des Stalag.
Auch der einstige Friedhof ist aufgelassen, auf dem einst die Toten des Lagers begraben wurden, wie viele dieser Art. Sie wurden alle exhumiert und umgebettet. Immerhin ist hier ein Ort der Erinnerung entstanden.
Am 01. September fuhr ich das erste Mal nach Moosburg – es ist, so will es der Zufall, ein historisches Datum, der Tag, an dem mit dem Überfall Deutschlands auf Polen 1939 der Zweite Weltkrieg begann. Und im Oktober ’39, also keinen Monat später, wurde das in aller Eile errichtete Stalag VII a bereits in Betrieb genommen.
Ich wollte nach erster Recherche im Internet die frei zugänglichen Stätten besuchen, ungestört Fotos machen und einen zweiten Besuch mit sachkundiger Führung durch den Verein im Spätherbst vorbereiten. Ich weiß, bei einer Führung geht es vor allem ums Schauen und Zuhören, ums Fragen und weniger ums Fotografieren. Daher wollte ich nicht zur Belastung einer möglichen kleinen Gruppe werden, mit der wir durch die Moosburger Neustadt laufen möchten. Denn Fotografie nervt in der Gruppendynamik ebenso wie das Bedürfnis, in Stille und ohne Zeitdruck die Vibes eines besonderen Ortes aufzunehmen, wenn es denn welche gibt. Davon wird in einem anderen Beitrag demnächst erzählt.
Am 01.09., einem Freitag, entstehen nicht nur viele Bilder, eines davon lade ich gleich am selben Tag noch in die sozialen Netzwerke. Als Erinnerung an den Kriegsbeginn, als Mahnung vor Faschismus und wohin dieser ein Land bringen kann, und gleich passend als meinen Beitrag zum Fensterfreitag auf Mastodon.
Heute, zum 09.11. veröffentliche ich einen ersten Teil einer kleinen Serie zum Stalag; noch bevor ich mich in Moosburg unter fachkundiger Führung die Orte noch einmal ansehen werde. Ganz bewusst habe ich dieses in Deutschland so schicksalsträchtige Datum gewählt:
Das Stalag ist kein historisches Zeugnis für den Antisemitismus in Deutschland, aber es ist die Hinterlassenschaft eines verbrecherischen und mörderischen Regimes in unserem Land, kein weiteres „Mahnmal der Schande“ und erst recht kein „Fliegenschiss“, wie es aus den faschistischen Kreisen der AfD gerne mal tönt. Sondern es ist im Gegenteil ein Zeugnis davon, zu was es führen kann, wenn man solchen Parteien die Regierungsverantwortung überlässt.
1. Info Stalag VII A
Ehemaliger Lagereingang an der Sudetenlandstraße 1
Neben Erinnerungstafeln gibt es hier nichts mehr, was unmittelbar auf das alte Kriegsgefangenenlager hinweist. Wer aber den schnurgeraden Verlauf der Sudetenlandstraße herunterblickt, der kann sich die immensen Dimensionen vorstellen, die das Lager einst hatte. Wer genauer hinschaut, erkennt an dem einen oder anderen Gebäude, dass diese aus den einstigen Baracken entstanden sind,
2. „Sabathiel“-Baracke
Die letzte Gefangenenbaracke in der Egerlandstr. 22
Das Gebäude verfällt, es ist eingezäunt und eingehaust, ein Dach schützt es vor den gröbsten weiteren Witterungseinflüssen. Es ist unklar, was damit geschehen soll. Betreten kann man es nicht. Ich hätte es gerne gemacht.
3. Stalag-Gedenkplatz
Gedenkplatz mit Info und „Franzosenbrunnen“ in der Böhmerwaldstraße 21
Hier steht ein Mahnmal, dessen zentrales Element ein Brunnenstein des französischen Bildhauers Antoniucci Volti ist. Dieser Brunnenstein wurde von Volti während seiner Gefangenschaft angefertigt und sollte ursprünglich Teil eines Denkmals werden. Er zeigt die vier bedeutendsten Flüsse Frankreichs, auf den ersten Blick „politisch unverfänglich“, aber voller subtiler Botschaften, die allerdings schon bei der Anfertigung des Steins im Lager von den Deutschen nicht erkannt wurden.
1963 wurde das Denkmal errichtet, seitlich davon klären Schautafeln über die Besonderheit des Ortes auf.
4. Baracken der Wachmannschaften
Zu finden in der Schlesierstraße 1-5
Auch hier ist unklar, was aus den abseits gelegenen einstigen Wohnbaracken werden soll. Ein Erinnerungsort, ein Museum, das ist der Wunsch des Vereins und das wäre wohl auch das Angemessenste. Die Stadt Moosburg sieht sich allerdings neben der Bereitstellung der Grundflächen nicht weiter in der Pflicht. Auch der Landkreis nicht. Erinnerungskultur so heißt es dort, sei Landes- und Bundesangelegenheit. Also erwarten Kommune und Landkreis von der Landes- und/oder Bundesregierung, dass diese die behutsame Sanierung und Erhaltung der Gebäude finanzieren soll. Man schiebt Zuständigkeiten und Verantwortungen wohl so lange hin und her, bis auch diese Baracken zusammenfallen.
5. Der einstige Friedhof Oberreit
Gelegen an der St. 2350 zwischen Moosburg und Marzling
Das war sozusagen der Ausgangspunkt für mich, wie ich auf das Thema gestoßen bin; der ehemalige Friedhof ist eine kleine Fläche, außerhalb der Stadt, in der rund 1.000 Tote des Stalag beerdigt wurden. Längst sind sie umgebettet, mittlerweile ist auch die ebenso dreiste wie typische Umwidmung des Ortes aus der frühen Nachkriegszeit rückgängig gemacht. Ein Gedenkstein, der hier stand und ursprünglich den verstorbenen polnischen Gefangenen gewidmet war und aus den 50ern stammte, wurde nach Auflassung des Frieshofs vom lokalen Sportverein mit der Inschrift Unseren gefallenen und vermissten Kameraden zur Ehrung ihrer Kameraden versehen. Heute ist der Stein an seinen ursprünglichen Platz zurückgekehrt, die Inschrift ist mit einer Metallplatte abgedeckt, es wird sehr deutlich gemacht, wem und wessen hier gedacht wird: Zur Erinnerung an die Verstorbenen des Stalag VIIa Moosburg.
Dazu gibt es in Moosburg noch die beiden Museen, die ich noch nicht gesehen habe:
6. Heimatmuseum
Kastulusplatz 3
geöffnet Sonntag 16:00-17:30
7. Stalag-Neustadt-Museum
Hodschager Straße 2
Samstag von 10.30 – 12.30 Uhr und Sonntag, 16:00 – 17:30 Uhr oder nach Vereinbarung
Hinweis: Die drei oben gezeigten Schwarzweißbilder sind historische Dokumente, die auf den Informationstafeln in der Sudetenlandstraße gezeigt werden. Dort habe ich sie abfotografiert.
Vielen Dank fürs Lesen.
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