Spaziergänge (#58): Zwischen Monumenten und Eichhörnchen auf dem alten Münchner Südfriedhof

 

Carl Spitzweg liegt hier, und Josef Fraunhofer, Justus von Liebig, Georg Simon Ohm, dazu zahlreiche Stadträte, Professoren, akademische Maler, Angehörige des gehobenen und des niederen Adels – irgendwie jeder, der in München im 19. und frühen 20. Jahrhundert Rang und Namen hatte. Vielen wurden in der Stadt Straßennamen gewidmet, daher kennt man sie vielleicht eher: Zenetti, Thiersch, Klenze, Kaulbach, Ainmiller,  Lindwurm, Maffei, Gabelsberger, Schwanthaler… dazu die Vorfahren des Großbrauers Pschorr und zahlreiche Fabrikanten. Aber auch Hausmeister Engelbert Kiermaier liegt dort samt Mutter Elisabeth begraben.

Rund 18.000 Grabstellen befinden sich auf dem alten südlichen Münchner Friedhof, davon etwa 5.000 mit Denkmal erfasst und viele restauriert. Einst waren es fast 24.000 auf dem Gelände zwischen Sendlinger Tor und Thalkirchner Straße – einer der interessantesten und schönsten Friedhöfe, die ich kenne. Beerdigt wird seit 1944 hier niemand mehr, voll ist voll.
Der von einer roten Backsteinmauer, der teilweise der Putz fehlt, umrandete Friedhof steht in Gänze unter Denkmalschutz, dient mehr als Park, denn als Erinnerungsort, gleichwohl liegen vor den Gräbern mancher Industrieller Kränze, Allerheiligen frisch ausgelegt den Firmengründern von der heutigen Belegschaft zum Gedenken.
Schon lange wollte ich mal zu einem Fotowalk dorthin, auch um für das Totenhemdblog einen Beitrag zu schreiben. Stattdessen erscheint er hier, ein Link führt hierher. Denn es wäre dumm, auf zwei Servern identische Bilder und Texte abzulegen. Der Friedhof, der jetzt nurmehr Park ist, denn hier wird niemand mehr bestattet, ist in der Tat ein Hot Spot, mich wundert, dass hier nicht Heerscharen von Leuten mit Kameras herumlaufen. Eine Viertelstunde vom Marienplatz entfernt, könnte es auch ein attraktiver Ort für Stadtbesucher:innen aus aller Welt sein, auch wenn den meisten nur wenige Namen der hier beerdigten Prominenten etwas sagen dürfte. Stattdessen nur ein paar Spaziergänger:innen und eine geführte Gruppe mit drei Personen. Mir soll’s recht sein.

Als Leich‘ ist jeder gleich… biologisch mag das stimmen, aber die Angehörigen der auf dem alten Südlichen Münchner Friedhof Besttatteten haben sich intensiv um den entscheidenden Unterschied bemüht: Grabstätten mit Skulpturen und Reliefs, Büsten und vielsagenden Inschriften zeugen von der besonderen Stellung der Toten. Gleich ist noch lange nicht gleich. Mächtig und erhaben blicken hochherrschaftliche Männer als Büsten von ihren Gräbern herab auf die Besucher:innen des Areals.
Nicht wenige Angehörige haben von den namhaften Bildhauern ihrer Zeit Gräber entwerfen lassen, bevor selbige selbst dort eingegraben wurden. Was viele bei der Errichtung der Prunkgräber allerdings außer Acht gelassen haben: Der oft für die Grabmale und Skulpturen verwandte Kalkstein ist ein recht verwitterungsanfälliges Gestein: Physikalische Erosion durch Wind, Schnee, Eis und Regen machen ihm ebenso zu schaffen wie chemische (saurer Regen), dazu Moos und Algenbewuchs. Vergänglich also auch der Stein, ganz abgesehen von den verheerenden Schäden des Geländes während der Bombardierung Münchens im Zweiten Weltkrieg.
Die Nasen scheinen besonders erosionsgefährdet, platzen die eigentlich einfach weg? Aber auch Hände, Arme, Köpfe oder Engelsflügel fehlen. Und mit der Zeit werden auch die Gesichter der Skulpturen immer konturloser – der Zahn der Zeit ist auch irgendwie ein Demokratisierungsprozess.

Den Eichhörnchen auf dem Friedhof ist das alles egal. Sie haben ihre Nische, ihren Lebensraum, toben zwischen Gräbern, Bäumen und Büschen umher, sind einigermaßen zutraulich und maximal fotogen. Das gilt auch für die vielen Grabdenkmäler, stundenlang könnte man zwischen ihnen umherlaufen und hätte noch nicht alles gesehen, geschweige denn alle Motive eingefangen, die sich den Fotografierenden bieten. Zuviel für einen Besuch. Ein weiterer wird folgen.
Eine kleine Auswahl der Bilder, die an einem heiter-sonnigen Novembertag entstanden, finden Sie in dieser Galerie:

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1 Antwort

  1. Nati sagt:

    Richtig schöne Bilder sind dabei.
    Der Friedhof scheint in seiner Einzigartigkeit lohnenswert zu sein.

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