Spaziergänge (#10): Unterwegs im Parsdorfer Hart
Östlich von München grenzt das Kiesland an: Brettebene, weite Flächen, die überwiegend landwirtschaftlich genutzt werden. Mittendrin das Parsdorfer Hart umgeben von vom Siedlungsdruck angeschwollenen Dörfern mit immer neuen Neubaugebieten und ausladenden Gewerbeflächen. Flächenversiegelung ist zwar nicht das erklärte Ziel der bayerischen Landesregierung, der Bezirke, Kreise und Kommunen – aber sie wird in Kauf genommen, wann immer sich die Möglichkeit bietet, noch einen Industriepark oder eine Reihenhaussiedlung aus dem Boden zu stampfen.
Die Region boomt, das kostet eben seinen Preis. Das gilt auch für die Natur. Nein: Vor allem für die Natur, die diesen Preis zu bezahlen hat.
Wald findet sich im Großraum München fast überhaupt nicht mehr, einige Forste hingegen schon, so auch das Parsdorfer Hart. Auf diesen kleinen Forst bin ich beim Lesen von Ulrich Strelzings Blog Auf-den-Berg.de gestoßen.
Den Iron-Blogger-Kollegen zieht es meist in höhere Regionen, gelegentlich aber stellt er kleinere Wandertouren mit Zielen vor seiner Haustür vor. Und da seine Haustür relativ nah zu der meinen ist, folge ich gern seinen Tipps – denn die Ziele liegen ja quasi auch bei uns vor der Tür. Das war beim Schwabener Moos der Fall, und jetzt auch beim Parsdorfer Hart, über den er im Mai schrieb – mit einem besonderen Augenmerk auf den dortigen Klimalehrpfad. Ein guter Grund, sich das Ganze einmal selbst anzuschauen:
Mittlerweile ist es Anfang November, der Forst zwischen Parsdorf, Neufarn, Purfing und Baldham hat ein komplett anderes Gesicht, als in Ulrichs Stelzings Beitrag. Auch war seine Perspektive ein klein wenig anders. Aber das macht den Reiz aus: Wenn zwei Leute das Gleiche erkunden und Unterschiedliches entdecken.
Auch wir folgen dem Klimalehrpfad die ersten Stationen, dann aber weichen wir ab. Wir gehen weiter Geradeaus, als es heißt: Umkehren. Wir biegen links ab, als es heißt, dass man rechts gehen soll – und erkunden die Landschaft auf eigene Faust. Bisweilen ist es ein rechter Stangerlwald, ein Forst eben – ein wirtschaftlich relevantes Stück Landschaft.
Das Erste, was überrascht, aber eigentlich vorhersehbar war: Im Parsdorfer Hart herrscht Hochbetrieb: Spaziergänger, Hundeführer, Familien, Radfahrer Jogger, Reiter. Während man zwanzig Kilometer weiter östlich im Wald hinter unserem Haus selten mal einen Menschen trifft, geht es hier ähnlich zu wie auf dem Stachus.
Nur mit dem Unterschied, dass man sich im Forst grüßt.
Der Weg führt zwischen abgeernteten Maisfeldern hindurch in den Wald, der – wie gesagt – keiner ist. Am Wegesrand entdecken wir einen geschnitzten Uhu, er gehört zum Klimalehrpfad. Wir passieren auch eine aus einem Baumstamm errichtete, merkwürdige mit Kunstblumen verzierte Gedenkstätte. Kein Hinweis – wieso und warum, was und wann…
Jogger kommen uns entgegen, die ihren K(r)ampfhund ohne Leine durch die Fichtenschonung laufen lassen, was den Hund freut, die Halter aber zu scharfen Pfiffen und Rückrufen veranlasst. Den Hund allerdings schert das wenig, die Halter eigentlich auch nicht wirklich.
Ein älteres Ehepaar wiederum, das ihren Hund vorschriftsmäßig angeleint hat, meint uns nach dem kurzen Gruß in ein Gespräch verwickeln zu wollen. „Gestern hat er erst zwei so wie sie gefrühstückt“, scherzt der Mann lachend, derweil der Hund neugierig näher kommt und an meinem Hosenbein schnuppert. Ich will aber nicht beschnuppert werden, auch nicht, nachdem mir versichert wird „Der tut nichts!“. Auf das Den können Sie ruhig anfassen!“ unterdrücke ich nur mit Mühe, dass ich den Hund allerdings nicht anfassen will. So bleibt das Gespräch einsilbig und kurz – und ich sehne mich nach der Leere im Wald bei uns.
Im Parsdorfer Hart wird intensiv aufgeforstet, nachdem vor einigen Jahren schwere Stürme die Fichten gleich reihenweise umgelegt haben. Jetzt verlässt man sich eher auf Mischwald, viele Buchen sind darunter. Felderweise wurde das Holz abgeerntet und gleich wieder aufgeforstet, viele Bäume stehen in Reih und Glied. Eher selten, dass es mal kreuz und quer und wild durcheinander wächst, wie sich das für einen Wald eigentlich gehört…
Am Wegesrand stehen (eher selten und nicht immer gut zu entdecken), Hinweisschilder, die den Weg des Klimalehrpfades weisen, dem wir gefolgt sind, ihn verlassen haben und am Ende dann doch irgendwann wieder betreten.
Einigermaßen absurd finde ich, dass man diesen sehr lehrreichen, interessanten und mit 12 kindgerechten Stationen ausgestatteten Pfad am Wochenende nur mit dem Auto erreichen kann. Die nächste S-Bahnstation ist etwa dreieinhalb Kilometer entfern. Die Busse, die dort abfahren, verkehren selten und an Wochenenden und Feiertagen gar nicht.
Versteh das, wer will.
Folgerichtig sammeln sich auf dem Wanderparkplatz die Pkw, einige schwere SUVs mit Münchner Kennzeichen darunter. Klischees werden nicht ausgelassen, sie werden bedient.
Natürlich kann man mal samt Kind und Hund aus der Stadt raus in den Hart zum Lehrpfad fahren und sich über die Änderung des Klimas, die zentrale Rolle des Waldes für den Erhalt des Lebens, über Ökologie, Lebensräume für Pflanzen und Tiere, Nachhaltigkeit und die Kohlendioxidbindung durch Holz zu informieren. Das ist gut fürs ökologische Bewusstsein und noch besser für die eigenen pädagogischen Ansprüche. Und natürlich braucht man gerade für so eine Landpartie 354 PS unter der Haube seines BMW X4.
Aber dann hat man die Grundidee und die Botschaft des Ganzen eben nicht verstanden.
Ich wiederhole sie daher hier noch mal:
Eine Liste aller Beiträge der Serie Spazieren statt schwimmen gehen samt Verlinkung finden Sie auf der Unterseite Die Serien dieser Seite im Überblick.
Vielen Dank fürs Lesen.
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