Sinnflut – diese unbeschreibliche Leichtigkeit

Nein, es ist nicht die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, wie sie Milan Kundera 1984 in seinem Roman beschrieb. Es ist die unbeschreibliche Leichtigkeit, die für ein paar Tage Erding überfällt, wenn das Sinnflut Festival seine Pforten öffnet. Menschen dieser Region muss man nichts über Sinnflut erzählen, es hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Menschen aus dem Großraum München mögen ein wenig herablassend lächeln und das Festival als die Miniaturausgabe von Tollwood bezeichnen. Mag sein.

„Was ist das eigentlich?“ wurde ich oft gefragt von Menschen, die offenbar keine Festivals dieser Art in der Nähe haben. Als ich 2015 an dem Buch Manchmal sind es Mistviecher  (Affiliate Link) schrieb und speziell an dem Kapitel, in dem es um Schildkröten-Nippes ging, der einem oft ins Haus geschwemmt wird, kam ich auch auf dieses Festival zu sprechen. Insbesondere deshalb, weil auf dem Sinnflut endlos viel von diesem Nippes zu erwerben ist. Umso erstaunter war ich, dass Pendants dieser Festivals in vielen Regionen Deutschlands vollkommen unbekannt sind.  Daher erlaube ich mir – beseelt vom diesjährigen Besuch – einen Erklärungsversuch.
Wenn Sie Lust haben, begleiten Sie mich auf einen Rundgang.

Sinnflut ist, wenn

… schwarzafrikanische Musiker Calypso spielen, alle beswingt zuhören und einfach niemand irgendwelchen rassistischen Dreck äußert.

… das Mosaikatelier aus dem benachbarten Bockhorn alles zum Verkauf anbietet, was in den letzten Monaten in uendlicher Geduld angefertigt wurde.

… merkwürdige Geschöpfe mitten im Weg stehen und den Schnabel aufreißen und ich aufpassen muss, wo ich hin trete.… Claudia ihr Farbenzelt aufstellt, in dem ich noch nie gewesen bin und es vermutlich auch nie betreten werde.

… Barbaren aus Markt Schwabener Spieße verkaufen, ich mich das ganze Jahr darauf gefreut habe und im Geldbeutel mehrere halb abgestempelte Bonuskarten habe, von denen ich wieder keine einzige vollmachen kann.… Indien plötzlich ganz nah ist.

… es nicht zu trinken gibt. Z’Dringa aber jede Menge.

… aus allem Geld gemacht wird, was man sich vorstellen kann.

… Shorts mit Bommeln oder Gardinenspitze aber ohne Goldkante auf Käuferinnen warten.

… aus einem Container ein Wohnzimmer und aus einem Wohnzimmer eine Kunst-Installation wird.… Longhornschädel in der Abendsonne leuchten und ich mich frage, ob sich so etwas nicht auch an unserem Hausgiebel gut machen würde.
… Haremshosen verkauft werden, ohne dass irgendjemand auf die Idee kommt, eine Feminismus- oder IslamismusDebatte deswegen auszulösen.

… Schutzgeister angeboten werden und ich mir ausmale, vor wem die mich wohl daheim schützen könnten.… der Schwarzbrenner interessierten Kunden anbietet, man dürfe alles probieren, ich es aber besser tunlichst unterlasse, weil ich nicht volltrunken heimwärts wanken will.

…alte Traktorenreifen zum diskreten Sicherheitskonzept gehören, Einfahrten blockieren und gleichzeitig zu Kunstwerken werden.

… Geldbeutel mich farblich förmlich anschreien.

… Trachten auch modisch sein können, was Legalize Edelweiß zur kleinen, feinen Kultmarke avancieren lässt und ich mich dankbar zurückerinnere, hier mal einen Festival-Rabatt au eine Jacke, die ich liebevoll Schaf nenne, erhalten habe. 

…seit endlos vielen Jahren diese Holzfiguren angeboten werden und ich immer noch nicht weiß, wer das noch kaufen soll. Der Markt im Landkreis müsste doch mehr als gesättigt sein.
… Schuhe plötzlich nach Zimt riechen, sofern man das will.

.. .nicht nur Barbaren Essen am Spieß anbieten und ich schon wieder Hunger habe.

… Perlsacktiere das Kind im Erwachsenen wecken und ich mich über den Humor und die Wortwitze dieser Geschöpfe wunderbar amüsieren kann. 

… nicht nur mein Name auf ein Reiskorn passt und es kolossal unwitzig ist, sich für 7 Euro Maximilian-Ottokar auf das Korn schreiben zu lassen, selbst wenn einer so heißen sollte.

… mehr Frösche in der Schale als im Weiher zu finden sind, und die alle einfach nur abhängen.

… ich mir sicher bin, dass es eigentlich wie jedes Jahr war. Nicht viel Neues, nichts Spektakuläres und ich mich trotzdem jedes Jahr erneut freue, wenn Sinnflut ist, den ersten Besuch unglaublich schön finde, den zweiten dann schon etwas weniger und den dritten einen zu viel.

Das ist Sinnflut. Verstehen Sie das?

Vielen Dank fürs Lesen.
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