Schreiben gegen rechts – C. ist angekommen

Im vergangenen Jahr hat die Berliner Bloggerin Anna Schmidt in ihrem Blog bunt und farbenfroh eine Blogparade zum Thema Schreiben gegen rechts veranstaltet. Nun geht sie in die zweite Runde. Hier mein Beitrag, eine Begebenheit, die schon zwei Jahre zurück liegt… nicht der Beginn, aber ein Abschnitt einer wunderbaren Freundschaft:

C. ist angekommen

Zumindest erweckt es den Anschein. Er spricht sehr gut Deutsch, macht eine Ausbildung, beißt sich durch eine dreijährige Lehre, Förderkurse und Berufsschule, um irgendwann hier wieder in dem Beruf zu arbeiten, in dem er schon einige Jahre gearbeitet hatte. Aber das war in Syrien. Viel ist nicht mehr übrig, von dem, was er dort geschaffen hatte. Viele der Gebäude, in denen er tätig war, liegen in Trümmern.
C. ist ehrgeizig: Er hat, kaum, dass er hierher kam, die Sprache gelernt, sich um die Anerkennung seines Asylantrags gekümmert, eine Lehrstelle und eine eigene, kleine Wohnung gefunden. C. wäre ein Paradebeispiel für gelungene Integration von Flüchtlingen. Und das trotz aller Vorbehalte und gelegentlicher Pöbeleien, die er ertragen muss.
Nur eines kann C. nicht und würde es doch so gerne. So erzählt er in seinem entwaffnenden Charme: gut Schwimmen.
Als er wieder einmal bei uns vorbei kommt, denn er ist mittlerweile ein guter Freund, fragt er halb im Scherz, ob ich nicht Lust hätte, ihm das Schwimmen beizubringen.
C. kann man schwer eine Bitte abschlagen, außerdem finde ich die Idee gut. Also gehen wir es an. C. erzählt, dass er in Syrien wenige Möglichkeiten zum Schwimmen hatte und sich ein wenig selbst beigebracht hat. Wenig später wird er ergänzen, dass er Panik hat: „Vor zwei Sachen. Angst, mit dem Kopf unter Wasser zu kommen und Angst, keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben.“
Das ist es immer. Aber sie Angst ist unbegründet. Das versuche ich, als wir uns das erste Mal im Bad treffen, klar zu machen. Als erstes werde ich ihm erklären, dass er sich im Wasser nicht fürchten muss.
„Hab Respekt, aber der ist wichtig. Lebenswichtig!“ Klingt blöde, ist aber so. Und schon sind wir mitten im kleinen Kraul-Kurs. Mit Hilfe einer Schwimmbrille merkt C. schnell, dass es nicht schlimm ist, wenn der Kopf unter Wasser gerät. Denn das Erste, was er lernt, ist, dass man zwar auch über Wasser ausatmen kann, aber es unter Wasser viel sinnvoller ist. Es folgen ein paar Ein- und Ausatmenübungen.r-m-ed-04
„Einatmen über Wasser, ausatmen unter Wasser! Das üben wir am Beckenrand.“ Mehrere Dutzend Mal. Wie das später beim Schwimmen umzusetzen ist, werden wir sehen…
Dann gehe ich zum Generalangriff gegen seine Furcht über. Ich zeige C., dass das Wasser ihn trägt. Projekt Toter Mann.
Ich mache es vor, er macht es nach. So ist er noch nie im Wasser gelegen. Er hält sich lange, dann knickt er die Beine um. Er schlägt mit ihnen und sofort auch mit den Armen, gerät in die Senkrechte. Könnte er nicht im flachen Becken stehen, er würde spüren, dass er so schnell untergehen wird.
„Schlag das Wasser nicht – tritt es nicht. Es hat Dir nichts getan. Sei nett, dann ist es auch nett.“
Das muss er in seinen Kopf hineinbekommen. Und ich bin zuversichtlich, dass das gelingt.
Wieder stehen wir im brusttiefen Wasser am Beckenrand. C. soll tief einatmen, die Luft anhalten, untertauchen und sich mit beiden Beinen kraftvoll vom Beckenrand abstoßen. Und dann einfach gleiten. Dabei soll er die Arme vorstrecken und den Körper durchspannen. Nachdem ich es ihm vorgemacht habe, setzt er es um. Kein Problem. Er weiß sofort, wie das geht.
r-m-ed-08Und er merkt, dass er nicht auf der gleichen Höhe bleibt. Der Körper steigt, während er durchs Wasser schießt, nach oben, bis er wieder an der Oberfläche ist. Und noch etwas merkt er schnell: Wenn er jetzt panisch anfängt, um sich zu schlagen, geht es unweigerlich abwärts. Zugegeben ist diese Erfahrung, die ihn ebenfalls überrascht, ein simpler Taschenspielertrick: Und doch ist sie enorm wichtig, bevor es ans eigentliche Schwimmen geht: Du wirst nicht untergehen, so lange Du nicht in Panik gerätst.
Keep calm and carry on!
Dann geht es endgültig los mit dem Kraulen.
25 Meter sind es von einer Beckenkante zur anderen, er kann überall stehen. Also krault er los. Weit kommt er nicht. Eigentlich stimmt fast nichts von dem, was er gerade macht. Viel wird in den kommenden Wochen zu tun sein, denke ich, als ich sehe, was er sich bisher selbst beigebracht hat.
Zwar erkläre ich ihm zunächst das Grundprinzip des Bewegungsablaufs , die Arm- und Beinzüge und das Atmen, aber bis das alles vom Kopf in den Körper dringt und sich zu einem automatischen Bewegungsablauf entwickelt, wird er viel üben müssen. Aber so ehrgeizig, wie ich ihn kennengelernt habe, ist das Ganze mit Sicherheit keine vergebene Müh.
r-m-ed-11-aussschnittWieder und wieder startet er. Wieder und wieder gebe ich dosiert Hinweise, spare nicht mit Lob und lege jedes Mal den Pullbuoy auf den Beckenrand auf der Höhe, auf der er hustend und keuchend anhält und sich hinstellt.
Mal schluckt er Wasser, hustet, gerät in Panik, mal atmet er zu viel ein, mal zu langsam aus, mal gar nicht. Dann holt er Luft, schwimmt, bis er nicht mehr kann und bleibt stehen. Das alles werde ich ihm abgewöhnen müssen.
Aber C. beißt sich durch. Zentimeter um Zentimeter schiebe ich den Pullbuoy zur gegenüberliegenden Beckenseite. Er schafft es immer ein Stückchen weiter. Erst sind es kaum 10 Meter, dann 12, irgendwann 15.
C. kämpft – ehrgeizig, hoch motiviert und zugleich vergnügt. Er will es schaffen, wenigstens einmal durchs ganze Becken geschwommen zu sein. Über drei Stunden boxt er sich durch.
Eine Schwimmerin kommt, steigt ins Wasser und krault Bahn um Bahn. Ungläubig beobachtet C. sie. Für ihn ist unfassbar, dass jemand gleich zehn Bahnen am Stück und ohne Pause schwimmt.
„Und das werden noch viel mehr“, verspreche ich ihm. „Das geht jetzt mindestens eineinhalb Stunden so weiter. Eher länger.“
Das ist absolut jenseits seiner aktuellen Vorstellungswelt.
„Wie geht das, wie kann sie das?“ fragt er.
„Technik und Kondition“, erkläre ich. Und dann prophezeie ich ihm, dass er in einigen Wochen im Becken, in dem er nicht stehen kann, schwimmen wird: „50 Meter – und ganz ohne Bodenkontakt. Zwei Bahnen. Und dann drei. Und vier…“
Das glaubt er nicht.
„Warten wir’s ab!“ entgegne ich und schon wieder startet er. C. krault das erste Mal in seinem Leben 25m am Stück.
Über die Technik sag ich jetzt mal nichts. Aber 25m!
Er ist stolz wie Oskar, dass er das geschafft hat – und ich nicht minder. Auf die 25 Meter, auf ihn, auf mich, auf unsere Freundschaft.
C. ist angekommen. Nicht nur auf der anderen Seite des Beckens…
Und wir trainieren weiter.


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3 Antworten

  1. DasTenna sagt:

    Danke für diesen schönen Beitrag über Ehrgeiz, Zielstrebigkeit und eine wunderbare Freundschaft.

  2. Lieber Lutz, das sind die Geschichten, die ich so gerne lese! :-) Wunderbar und ein bereichernder Beitrag für das nächste Büchlein! Vielen lieben Dank, dass du es erzählt hast! Herzliche Grüße von Anna

  3. Peter sagt:

    Eines der zwei Dinge, die ich am meisten bereue, ist, dass ich nie richtig Schwimmen gelernt habe. Dank rabiater Früh-70er-Jahre-Pädagogik des Bademeisters (einfach die Angel wegziehen „und jetzt sieh, wie Du an den Beckenrand kommst“) in der ersten Stunde habe ich – als damals eher ängstlicher Knabe – keine weitere Schwimmstunde mehr besucht. Als Jugendlicher dann das „Über Wasser halten“ im Kirchenbergbad selbst beigebracht, natürlich mit unkoordinierter katastrophaler Technik, die an die alten paddelnden Damen mit Badehaube erinnert – nur schlimmer. Ja nie den Kopf bei Schwimmen unter Wasser – Panik! Das ist heute noch so. Immerhin konnte ich aber 4 m tief und über die Beckenbreite tauchen und habe die Oestertalsperre quer durch…ja, kann man es „schwimmen“ nennen? Aus heutiger Sicht ein todesmutiges Unterfangen bei meinen rudimentären „Über-Wasser-halte-Fähigkeiten“. Aber damals war man noch jung und risikofreudig. Ich kann mich auch im Wellenbad über Wasser halten, aber wehe, mir kommt jemand zu nahe. Im Schwimmbad war ich seit 10 Jahren nicht mehr, dabei liebe ich Schwimmbadatmosphäre über alles. Die Geräusche, den Geruch. Ich bearbeite alle Eltern in meiner Umgebung, Kinder ja zum Schwimmunterricht zu schicken, damit es ihnen nicht so geht wie mir. Es ist ein Jammer, dass sich die Kommunen immer mehr aus der Verantwortung stehlen und die Zahl öffentlicher Schwimmbäder (speziell Freibäder) immer weiter sinkt. Schwimmunterricht in der Schule sollte auf jeden Fall Pflicht sein – für alle! Von einem guten Schwimmunterricht hätte ich mehr profitiert als von den endlosen Stunden, in denen ich lernte, wann die Hunnen von West nach Ost oder umgekehrt zogen. Dein „Schüler“ hat wirklich Glück, an jemanden wie Dich geraten zu sein. Ich wünsche ihm viel Erfolg!!!