In der Mühldorfer Hart (Teil 3): Am Bunker
Und warum das alles?
Alles für den Bunker – und dieses irrsinnige Unternehmen gilt es nun, etwas näher vorzustellen.
Den Bunker erreiche ich nach einem kurzen Fußmarsch, da die Zeit drängt, habe ich mein Auto geholt, den Hart umfahren und betrete ihn erneut von der Mühldorfer Seite aus.
Das, wie man heutzutage sagt, Stetting, das mich im Wald erwartet, ist vollkommen absurd, bizarr, so unwirklich wie ein Film: Nach einigen hundert Metern über einen matschigen Waldweg gelangt man auf eine Lichtung, ein Betontrümmerfeld. Es sind Ruinen. Irgendwie ist es ein wenig wie in einem Hollwoodfilm, in dem ein Wissenschaftler oder ein Team ein Flugzeugwrack im Dschungel entdeckt, von mir aus auch ein Ufo oder die Ruinen einer alten, längst verlassenen Stadt und der Zuschauer schon jetzt weiß: Die Stadt ist nicht verlassen und irgendwo lauert auch das Böse. Es ist Indiana Jones, es ist Lara Croft und es ist vollkommener Bullshit. Wer sich Zeit eines Berufslebens mit Filmen beschäftigt, der muss sich nicht wundern, wenn ihn irgendwann die Wirklichkeit an Filmszenen erinnert und nicht andersherum.
Dann wieder erwarte ich das Dröhnen von Motorrädern, spähe aus nach Crossbikern, das Ganze könnte auch ein gigantischer „Abenteuerspielplatz“ für Outdoorfreaks sein. Ist es aber nicht – zumindest hoffe ich das.
Trotzdem bemächtigen sich nicht nur solche Bilder meines Verstandes, lassen das Alles unwirklich erscheinen. Es ist auch äußerst unangenehm. Das Betreten-verboten-Schild löst weiteres Unbehagen aus. Seit 1947 liegen die Betontrümmer so da, seit die Amerikaner den Bunker gesprengt haben. Da werden sie nicht gerade unter mir verrutschen oder der Bogen über mir zusammenbrechen just in dem Moment, in dem ich mich für ein Foto in eine geeignete Position bewege. Auch rechne ich nicht damit, dass sich im Boden noch irgendwelche Kampfmittel befinden könnten – eine Vermutung, die ich später bestätigt bekomme. Trotzdem zögere ich bei jedem Schritt. Ich will eigentlich gar nicht hier sein. Aber irgendwie doch.
Der verbliebene Bogen – nein – auch das Drumherum ist einer der unangenehmsten Orte, die ich seit langem besucht habe. Ein Lost Place, ja, auch ein Ort mit einer Geschichte, die dunkel ist. Mysteriös oder mystisch ist an dem Ort allerdings gar nichts, und düster auch nicht.
Ich muss mich sogar immer wieder zwingen, in Erinnerungen zu rufen, wer das hier gebaut hat, warum und vor allem und welchen furchtbaren wie mörderischen Bedingungen: Kriegsgefangene und Juden, die man als noch arbeitsfähig in Auschwitz befunden und dann in den Zug nach Mühldorf verfrachtet hat. Dort sollten sie arbeiten, um zu sterben. Was ja dann auch in vielen Fällen passiert ist.
In etwa eineinhalb Kilometer Entfernung lagen die Waldlager IV und V, über die ich im zweiten Teil geschrieben habe. Es wird notwendig, zumindest kurz zu erklären, was eigentlich der Plan war:
Als 1944 die Alliierten die Lufthohheit über Hitlerdeutschland gewannen, richteten sich ihre Bombardements massiv gegen Rüstungsbetriebe. Das brachte die Nationalsozialisten auf den Plan, einige große Bunkeranlagen zu errichten, in denen weitgehend unterirdisch weiter Waffen und Kriegsgeräte hergestellt werden konnten.
Einer dieser Projekte wurde im Mühldorfer Hart in Angriff genommen – begünstigst durch das Wasser des Innkanals, den kieshaltigen Boden, abseits der Städte und gut getarnt im Wald. Der perfekte Ort. Hier sollten einst ME-262 Bomber gebaut werden, die ersten Düsenjets, eine der sogenannten Wunderwaffen der Nazis, die die Hoffnung auf den Endsieg wieder und wieder schürte.
Bei der Führung im Museum erfahre ich, dass der zuständige Minister Albert Speer es für vollkommen unsinnig hielt, Lagerhäftlinge zur Zwangsarbeit heranzuziehen. Das nämlich würde die Bauarbeiten nicht nur viel teurer machen sondern auch endlos in die Länge ziehen. Statt dessen sollte all das mit qualifizierten Arbeiten bewerkstelligt werden. Etwas, von dem Hitler nichts wissen wollte.
Und so wurden in Windeseile nicht nur die Waldlager errichtet sondern auch Anschlüsse an die Bahnlinie, um Material herbeizuschaffen und später die Rüstungsgüter wieder abzutransportieren.
Im Sommer 1944 startete dieses irrsinnige Projekt, eine 400 Meter lange, etwa 85 Meter breite Bunkerkonstruktion in die Erde zu bauen und diese mit Betongewölbeteilen zu überdachen. Um es kurz zu machen: Die Rüstungsbunker wurden nie fertiggestellt, geschweige denn, dass hier jemals ein Flugzeug gebaut wurde.
1947 sprengten die Amerikaner die Bunkerteile, die bereits standen. Nur ein einziger Gewölbebogen steht heute noch.
Mein Besuch im Mühldorfer Hart wäre unvollständig, würde ich nicht auch diese Teile besichtigen.
Der Verein „Für das Erinnern – KZ-Gedenkstätte im Mühldorfer Hart e. V.“ möchte auch hier einen Gedenkort errichten, bisher steht lediglich eine kleine Infotafel. Das aber gestaltet sich angesichts der Dimensionen des Geländes wie auch der Eigentümerfrage als schwierig und so kann man im Moment nur hoffen, dass dieser Ort seine besondere Bedeutung angesichts seiner Geschichte behält und nicht zum Abenteuerspielplatz und zur illegalen Partyzone verkommt.
Viel Hoffnung besteht aber nicht, denn schon jetzt wird er häufig von Lost-Places-Fans besucht, Menschen stapfen für Selfies und Tik-Tok-Videos auf den Bogen hinauf (wie ich vor Ort beobachten konnte), Spaziergänger flanieren, Kinder spielen zwischen den Betontrümmern, aus denen endlos viele Armierungseisen ragen. Scherben, Dosen und Kronkorken auf dem Fußboden sind eindeutige Spuren, was hier auch passiert.
Vieles davon fühlt sich falsch an.
Aber vielleicht ist das auch nur meine Sicht der Dinge. Und immerhin stapfe ich ja auch kreuz und quer durchs Gelände unter dem für mein eigenes Gefühl wichtigen Vorwand, gute und eindrucksvolle Bilder von diesem Wahnsinn anzufertigen, um davon erzählen zu können. Auch wenn ich damit riskiere, auch andere Leute hierher zu locken, denen die ganze Nazi-Thematik nur noch auf den Geist geht und die eigentlich nur diesen Ort mal sehen wollen und ein paar coole Fotos machen wollen.
Vielleicht, vielleicht, vielleicht…
In der Mühldorfer Hart (Teil 1): Im Wald
In der Mühldorfer Hart (Teil 2): Am Lager
In der Mühldorfer Hart (Teil 3): Am Bunker
In der Mühldorfer Hart (Teil 4): Am Grab
Nachtrag 1: Ein Kommentar
Nachtrag 2: Seine der Hoffnung – Auf dem KZ Friedhof in Burghausen
Vielen Dank fürs Lesen.
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sehr interessanter Beitrag !!