Wohlfühlfaktor 140% – der Langbürgner See
Seit Jahr und Tag führt der Langbürgner See mein persönliche Hitliste, welche Seen ich hier in der Region am liebsten besuche, an. Mittlerweile, so meine ich, müsste es doch furchtbar langweilig sein: Ich kenne ihn im Frühling, im Sommer und im Herbst, im Neo, Shorty und nur in der Badehose, vom Norden her und vom Süden her. Mal war die Wassertemperatur passend, mal etwas zu kalt, aber auch schon zu warm.
Wer Spitzenreiter ist, muss sich gefallen lassen, jedes Jahr wieder auf die Probe gestellt zu werden. Einmal im Jahr (mindestens) muss ich also zum Langbürgner See und dort schwimmen.
Nur eines, das habe ich bisher nicht gemacht: Nach dem See am Ufer entlang zu spazieren und den See von Land aus einer wilden Fotoorgie zu unterziehen.
Beides verbinde ich mit einer Sonntagsspritztour. Zunächst, morgens um 6 Uhr prasselt ein Regen herunter, dass ich denke: „Dann eben nicht!“ und mich wieder umdrehe. Doch nach dem Frühstück sieht das Wetter ganz manierlich aus, der nächste Regen ist erst für den Spätnachmittag angekündigt. Also los.
Dieses Mal versuche ich mein Glück mal wieder von der Südseite aus. Da war ich lange nicht. Während ich mich umziehe, beobachte ich interessiert ein älteres Ehepaar, das gerade vom Schwimmen aus dem Wasser kommt. Man ist sich offenbar uneinig, ob der See abgekühlt hat oder nicht. Sie meint: „Nein“, er: „Doch!“
Und während sie sich abtrocknet, wackelt er noch triefnass in Badehose zum Auto und holt ein kleines Digitalthermometer. Damit misst er am Ufer im knöcheltiefen Wasser die Temperatur. Das ist zwar vom Prinzip her nicht korrekt, aber ich vermute, das macht er immer so – also sind auch die Vergleichswerte falsch gemessen. Denn ich nehme schwer an, wenn er schon ein Thermometer dabei hat, dass er das öfter macht.
Triumphierend verkündet er: „22,9 – sag ich doch!“ Recht haben kann jeder, Recht bekommen offenbar nicht, aber das kann man sich ja verdienen. „22,9 – also fast ein Grad kälter als beim letzten Mal!“
Sie zieht ein beleidigtes Gesicht und trocknet sich schweigend zu Ende ab. Wortlos reicht sie ihm auch sein Handtuch.
Da ich nun weiß, wie warm der See ist, kann ich getrost meine Runde schwimmen. Es ist herrlich, und manchmal stelle ich fest, welch Segen es ist, solche Dinge ganz allein tun zu können. Einfach losschwimmen, so schnell wie ich will, oder so langsam, so viele oder wenig Pausen zu machen, den Weg zu wählen und auch zu entscheiden, wann es genug ist.
Der Zufriedenheitsfaktor nähert sich langsam aber unaufhörlich den 100%. Dann erreicht er sie, übersteigt sie förmlich. Und wieder weiß ich, warum ich hergekommen bin.
Diese Ruhe, die der See ausstrahlt, schlägt sich positiv aufs Gemüt. Sie ist einfach phänomenal. Einfach nur da sein, schwimmen, schauen, schwimmen, schauen. Und niemand, einfach niemand, der einem diese Momente wegnehmen kann. Das sind Momente, die sind so schön, dass ich wünschte, sie würden erst aufhören, wenn meine Arme so schwer werden, dass ich keinen einzigen Schwimmzug mehr machen kann. Wenn es für uns Wasserratten ein Paradies gibt, dann muss es ungefähr so aussehen – zumindest meines.
In der Ferne ein paar Schwimmer, zwei Ruderboote mit Anglern weit weg – sonst niemand.
Der See und ich – wir verstehen uns. Klingt bescheuert, aber so kommt es mir vor.
Ich weiß, vielen Menschen ist alleine schwimmen zu gehen, einfach zu langweilig, viele wollen brüstelnd plaudern.
Andere wollen Kilometer wegdreschen, denen ist es sch…egal, wie schön die Landschaft ist. Wieder anderen ist es unbehaglich, ganz alleine im Wasser zu sein.
Jeder nach seiner Fasson.Gerne teile ich meine Erfahrungen mit anderen, ich muss nicht immer ganz allein losziehen, aber wenn doch, tut das meiner Freude am Schwimmen keinen Abbruch.
Nach dem Schwimmen gehe ich zum fotografieren. Ich will endlich vom Ufer aus Bilder vom Langbürgner See, seinen Buchten und der Insel in all ihrer Schönheit machen, und zwar „mörderisch“ viele. All die Fotos für diesem Beitrag und noch viele mehr.
Das ist beileibe nicht die beste Idee, die ich an diesem Tag habe. Waren es ein paar Tage zuvor in den Abendstunden Trillionen am Kranzberger Weiher, sind es heute am helllichten Tage Trilliarden. Aber wenn bei dem Einen die Mückenplage keine Rolle fürs Rating spielt, dann bei dem anderen, nämlich diesem hier, auch nicht.
Es scheint, als seien die Biester vollkommen ausgehungert. Hemmungslos umschwirren sie mich. Die eine oder andere, die sich auf meinem Handrücken niederlässt, zahlt ihre Blutgier mit dem Leben. Alles hat seine Grenzen, irgendwann auch meine Toleranz und Tierliebe – also klatsche ich drauf.
Ich bin froh, dass ich eine Jacke angezogen habe. Auch wenn mir der Schweiß nach den ersten paar hundert Metern auf der Stirn steht, in den Nacken rinnt und ich das Gefühl habe, genauso nass wie beim Schwimmen zuvor zu werden, es hält die Plagegeister wenigstens von den Armen ab. Tief grabe ich die Hände in die Taschen, nur um sie sofort wieder hervor zu holen, um die Mücken aus dem Gesichtsbereich zu vertreiben.
Stehen bleiben ist fast nicht mehr möglich. Ein Dutzend Perlmuttfalter auf einer kleinen Lichtung vor mir fürs Archiv fotografieren zu wollen, erfordert Opfer. Viele Opfer.
Aber auch das hatten wir schon am Aquapark und im Weltwald bei St. Clemens.
Immer wieder führt der Trampelpfad direkt zum Ufer und gibt Ausblicke auf den See frei.
Am liebsten würde ich gleich wieder in den Langbürgner See hineinhüpfen. Dann hört nämlich auch das dämliche Jucken auf.
Und ich könnte weiterschwimmen, einfach nur schwimmen. Und schauen. Und schwimmen – wie im Paradies. Wohlfühlfaktor 140%. Mindestens.
Vielen Dank fürs Lesen.
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