Adieu X, Goodbye, Auf Wiederseh’n

Vielleicht war der Abschied von Elon Musks Plattform X längst überfällig. Herausgezögert hatte ich ihn vor allem wegen des Projekts #JedeWocheEinFoto. Ich fühlte mich den Teilnehmenden verpflichtet und war Woche für Woche begeistert von den kreativen Umsetzungen der Themenvorgaben. Und ich hatte beobachtet, dass nur ein Teil der Leute, die auf X am Start sind, auch auf BlueSky unterwegs sind – vice versa. Auch wenn die Zahl der eingereichten Bilder deutlich zurückgegangen ist, auch wenn die Reichweite des Accounts auf etwa zwei Drittel zusammengeschmolzen ist: Ich wollte, denen, die auf X und nur dort mitgemacht haben, die Freude an #JedeWocheEinFoto nicht nehmen, eine Oase, wie jemand dort bedauernd kommentierte, als ich vor einer Woche den Rückzug ankündigte.

Screenshot von X

Den eigenen Account hatte ich schon länger unter Verschluss, postete nur noch wenig, mit fast gar keinen Reaktionen mehr. Der Algorithmus von X straft eben alle ab, die nicht x-konform sind und entzieht ihnen die tatsächliche Reichweite, die man haben könnte und früher auch gehabt hat.
Zwei Vorgänge aber sind es, die für mich das Fass zum Überlaufen brachten. Da ist zum Einen, dass Trumps Vize J.D. Vance ankündigte, Nato Beschlüsse könnten in Zukunft blockiert werden, wenn Europa die Plattform X reglementiere. Nun hat das eine mit dem anderen rein gar nichts zu tun, aber diese erpresserische Drohung zeigt eine Entwicklung auf, der man am besten damit begegnet, diese Plattform zu verlassen. Jeder Account weniger hilft. Unbestätigte Quellen zu Folge löschen oder deaktivieren sich gerade Tausende Accounts, vom britischen The Guardian über Stephen King und Jamie Lee Curtis bis zum FC St. Pauli. Jetzt sind es zwei kleine unprominente Accounts mehr.
Das andere, was nervt, sind die Kommentare von Elon Musk himself, der sich nicht zu blöd war, auf Springer“journalist“ Ulf Poschardt, der auch zwischen erzkonservativ, reaktionär und protofaschistisch changiert, zu antworten „Habeck ist ein Narr“.
Das ist nicht das erste Mal, dass der Plattformbetreiber die Niveauunterkante deutlich verschiebt. Ein paar Tage zuvor konstatierte er: „Olaf ist ein Narr“. So äußert sich einer, der offiziell zum Berater der kommenden Regierung bestellt wurde in einem Land, das sich anschickt einen großen Schritt Richtung Oligarchie zu tun.
Man muss nicht Fan von Scholz oder Habeck sein, man muss das nur einordnen, dass in der Hybris des künftigen Regierungsberaters Elon Musk unter dem Deckmäntelchen des Free Speech X zu einer Plattform verkommen ist, in dem vollkommen hemmungslos agitiert, polemisiert, gehasst und gehetzt wird – und niemand regelt das. Vorneweg er selbst: Ἰχθὺς ἐκ τῆς κεφαλῆς ὄζειν ἄρχεται – Ein Fisch fängt vom Kopf her an zu stinken. „Das ist gegen die schlechten Herrscher gerichtet, die mit ihrer Verderbtheit das ganze Volk anstecken,“ erklärte diesen Satz einst Erasmus von Rotterdam in seinen Adagia.

Wenn dann die EU ankündigt, gegen Hate Speech und Fake News eingreifen zu wollen, dann hebt die designierte US-Regierung um Musks Best Buddy Donald Trump eben zur Drohgebärde an.

Ich will das alles nicht mehr.

Kein Wunder wird gescheh’n
Adieu, goodbye, auf Wiederseh’n

Eine inspirierende und motivierende Stellungnahme, warum man X verlassen solle, fand ich im BlueSky-Account von Johann van de Bron. Ich zitiere: „Das Narrativ, man würde irgendjemandem Twitter überlassen, wenn man da weggeht, ist völliger Unsinn. Das ist kein realer Raum. Wenn wir da weggehen, ist es einfach nichts mehr, was irgendjemanden interessiert… Wenn die da unter sich sind, ist Twitter ohne jeden Nutzen. Das ist kein Hügel den sie dann erobert haben, sondern ein völlig wertloser Speicherplatz auf dem sich Pornobots gegenseitig Bitcoin verkaufen.“

Screenshot von X

Der Appell zielt natürlich weniger an die „Privat“Accounts als auf Politiker:innen, Firmen, Behörden, Institute, Parteien, Verbände. Denn ohne die Reibfläche sinkt Twitter weiter in die Bedeutungslosigkeit, zurückbleiben dann nur noch MAGA-Knallköppe, Faschist:innen und Pornbots im irrrelevanten eigenen Saft.

Es wurde höchste Zeit, zu handeln. Einst war ich sehr gern auf Twitter, schätzte den bisweilen anarchisch-defätistischen Humor, die intelligenten Bonmots, aber auch den Einblick ins Private derer, denen ich folgte. All das ist kaputt. Was soll ich also noch dort?

Nach über 10 Jahren gehört mein Account ab heute Abend der Geschichte an, er ist deaktiviert und damit der Löschung in den nächsten Tagen preisgegeben, das gilt auch für das Fotoprojekt, das ich auf BlueSky weiterführen werde. Ein wenig mit Wehmut opfere ich dort ein Projekt, das acht Jahre existierte, die Hälfte davon unter meiner Regie. Aber wenn man X nur noch öffnet, um sich umgehend über irgendetwas maßlos zu ärgern, dann ist es besser, zu gehen.

Besser spät als nie.


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3 Antworten

  1. Naya sagt:

    Danke für den Hinweis, daß du auf bluesy zu finden bist! Direkt mal gefolgt

  2. Tja, seit Monaten treibt mich dieser Gedanke um: soll ich nach langen Jahren aus zwitschern oder nicht. Es fällt nicht leicht. Weniger wegen der knapp 3.000 Follower. Das bröckelt eh weg. Ich twittere ja kaum noch. Ich ickse weg. Aus dem gleichen Grund wie du. Temp perdu. Man muss es wohl tun . Ohne Abschiedsfeier? Ohne Tränen? Mal sehen.

  3. ra-bohle sagt:

    Ein richtiger Schritt

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