Bilder aus Georgien (01) – Poti und der Kolkheti Nationalpark

Sollte man nicht das Eisen schmieden, so lange es heißt ist? Auch wenn es heißt, das Pferd dadurch von hinten aufzuzäumen?
Vielleicht. So ist das mit den Sprichwörtern.
In diesem Fall hieße es, mit den letzten Tagen des Urlaubs zu beginnen und von Jago, Georg und Walter zu erzählen. Und Bilder aus dem georgischen Kolkheti-Nationalpark zu zeigen. Die Kombination ist wüst, aber wie gesagt: Noch ist das Eisen heiß. Denn es geht auch um Fußball. Vieles hat sich in Georgien um die Europameisterschaft gedreht, das Land nahm da erste Mal teil, überstand die Schlussrunde, das erste Tor gegen Spanien wurde mit Feuerwerk und Autokorso gefeiert. Auch wenn das georgische Team im Achtelfinale ausschied, wurde es daheim mit riesigem Jubel empfangen.
Bilder davon sahen wir im Fernsehen, als wir in Poti am Schwarzen Meer vor einer kleinen Bäckerei ein Frühstück einnahmen. Dort flimmerten die Nachrichten über den Bildschirm.

Poti, einer der größten Häfen Georgiens, liegt touristisch ab vom Schuss. Wir „verirren“ uns in den Ort, in dem es neben einer modernen orthodoxen Kathedrale und einem alten, verfallenen Theater wenig zum Hinschauen gibt, weil wir den Kolkheti-Nationalpark besuchen wollen. Den aber erreicht man nur per Boot vom Anleger am Westufer des nahegelegenen Paliasthomi Sees aus. Tickets für eine Bootstour haben wir im Infocenter erworben. Dann aber haben wir ein paar Stunden Zeit, bis wir fahren können. Denn wir haben nicht Plätze auf einem der Pontonboote gebucht sondern eine Privatfahrt, da muss erst einmal ein Bootsführer mobilisiert werden. Das kostet zwar erheblich mehr, aber es erspart uns, mit irgendwem sich um fotografierelevante Sitzplätze zu streiten und der Bootsführer kann sich vielleicht ein klein wenig um unsere speziellen Wünsche kümmern. Was er auch tun wird.
Nach dem Frühstück in Poti fahren wir ans Meer, etwas mehr als eine Stunde haben wir noch, bevor es in den Park geht. Am felsigen Strand steht der älteste Leuchtturm am Schwarzen Meer. In Betrieb genommen wurde er 1864, noch heute ist er in Betrieb. Man kann/darf ihn besichtigen, der Pförtner des hydrographischen Instituts, auf dessen Gelände der Turm liegt, gewährt uns Zugang und holt, als sich die schwere Tür nicht öffnen lässt, einen Mitarbeiter des Instituts. Der kommt mit mächtigem Schlüssel, sperrt den Turm auf und dann steigen wir im Inneren die 153 Stufen hinauf.
Die Aussicht über das Schwarze Meer und die Mündung des Rioni Kanals ist großartig, auch über Poti und einen großen Friedhof direkt hinter dem Strand Boulevard. Über ihn werde ich an anderer Stelle noch etwas schreiben.
Als wir zur verabredeten Zeit zum Anleger am Nationalpark kommen, der auf einem ehemaligen Militärgelände liegt, begrüßt uns Georg. So stellt er sich vor, auch wenn ich denke, dass er eigentlich Giorgi heißt.
Georg hat in der Schule zwei Jahre deutsch gelernt, aber das ist lange her, also unterhalten wir uns mit ein paar Brocken Deutsch, ein paar Brocken Englisch und ganz wenigen Fetzen Russisch. Welche Funktion Georg hier hat, wird nicht ganz klar, er stellt uns Walter vor, der unsere Buchung checkt. Walter heißt wirklich so, spricht weder deutsch (trotz seines urdeutschen Vornamens) noch englisch, Georg übersetzt, dann schicken die beiden einen Dritten los, um Jago, den Bootsführer abzuholen.
Der ist dann auch bald zur Stelle. Wir vermuten, dass Georg und Walter nicht überzeugt sind, dass Jago 100% nüchtern ist, in Georgien herrscht eine rigorose 0% Grenze. Also wird er gefahren. Aber zum Bootsfahren langt es schon. Schon donnert er mit uns über den See. Jago dreht richtig auf und reduziert auch nicht das Tempo, als wir in den Pichori Fluss einbiegen.

Zwischendurch haben wir zwei musikbeschallte Pontonboote überholt mit einer Reisegruppe überholt, es war die richtige Entscheidung, ein eigenes zu buchen.
Jago versteht kein deutsch, kaum englisch, spricht mit uns nur ein paar Brocken, aber hat schnell erkannt, dass ich viel fotografieren will. Er fährt uns in Seitenarme des Flusses und umkreist Inseln. Das Tempo drosselt er erst, als wir links und rechts auf den Baumstämmen über dem Wasser Dutzende Europäischer Sumpfschildkröten sehen. Was ein Erlebnis. Ganz langsam nähern wir uns den Tieren bis auf wenige Meter. Einige springen in den Fluss, andere interessieren sich gar nicht für uns. Sie lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Ich bin vollkommen begeistert. Es ist eines der Highlights der Georgien-Reise.
An der Rangerstation machen wir einen Zwischenstopp und gehen ein wenig spazieren. Mehrere Schlangen verschwinden blitzschnell, zu schnell, als dass ich sie fotografieren könnte. Und als die Pontonboote kommen und die Reisegruppe hier ebenfalls an Land geht, besteht auch keine Hoffnung mehr, dass eines der Tiere aus dem Versteck wieder herauskommt. Jago und die beiden anderen Bootsführer plaudern, dann verschwinden sie hinter einer Hütte. Ein fröhliches Prost im Verborgenen? Mitnichten. Ein paar Minuten später kommen sie zurück, sie haben die Hände voll mit frisch gepflückten Kirschen, die sie uns schenken.

Als wir später zurück am Anleger kommen, bietet uns Georg erst einmal eisgekühlten Weißwein an. Jago kocht Kaffee, Georg holt Weißbrot, wir sitzen zusammen, er teilt Brot, Wasser und Wein aus. Und sofort kommt das Thema auf die gerade laufende Fußballeuropameisterschaft zur Sprache. Walter und er bewundern die deutsche Mannschaft, ihre eigene aber noch viel mehr – und das ist verständlich. Es ist nicht das erste Mal, dass wir mit Georgiern über die EM sprechen. Hier am östlichen Ende des Kontinents ist man selig, dabei gewesen zu sein. Die Menschen sind unglaublich dankbar, dass Europa sie und ihr Team mit offenen Armen aufgenommen hat, dass Georgien überhaupt wahrgenommen und so viel Sympathie entgegengebracht wurde. Das zu sagen ist ihnen ungemein wichtig.
Wenn irgendwo der Spirit, den diese EM versprühen sollte, 100% angekommen ist, dann hier: Völkerverständigung, Gemeinschaft, Gastfreundschaft – all das hören wir oft von Georgiern, ob nun von Georg und Walter oder von einem Paar auf einer Fahrt im Zug – sie Georgierin, er Israeli – quer durch das Land. Die zwei sitzen uns gegenüber und sind gerade erst aus Hamburg zurückgekommen. Deutschland hat sich, so erzählen sie, als ein wunderbarer Gastgeber präsentiert. Das steht im krassen Gegensatz zu den vielen nörgelnden Statements, die in den sozialen Medien über die EM zu lesen sind. Da schreiben Leute betont, dass sie sich über lärmende Autokorsi in den Städten aufregen, über überfüllte U-Bahnen in den Austragungsstätten, über die ultralange Tatort-Sommerpause und das TV-Dauerthema Fußball, über dies, das und jenes. Es ist ja so furchtbar chic und irgendwie elitär, gegen die EM zu sein.
Würde ich Georg, Walter und Jago davon erzählen, nichts davon würden sie verstehen. Und ich frage mich, ob sie nicht den besseren Blick auf die EM haben. Gut, dass sie uns im Schatten ihres kleinen Unterstands ihre Sicht erzählt haben. Für sie war es pure Magie.

Jago wird heimgefahren, wir brechen auch auf. Georg und Walter winken uns nach, als wir in unseren Mietwagen steigen und zurück zum Hotel fahren. Ginge es nach ihnen, wir hätten noch viel länger zusammensitzen und über Fußball reden können.

„Ein Gast ist ein Geschenk Gottes“ lautet ein altes georgisches Sprichwort. Wir haben gelernt, was das bedeutet.

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