Fliegender Wechsel

Noch nie ging der Wechsel von drinne nach drusse so schnell wie in diesem Jahr. Es war ein fliegender Wechsel. So schnell und plötzlich ist es sommerlich warm geworden, dass den Hallenbädern der Gegend gar keine Zeit blieb, zu schließen. Sie haben immer noch auf – die Freibäder hingegen noch nicht. Das Wetter Ende April interessiert sich aber nicht für den betriebsbedingten Wechseltermin. Die Sonne kachelt seit Tagen vom Himmel, was geht. 27°C zeigt das Thermometer im Auto an, als ich – so früh wie noch nie – die Freiwassersaison eröffne.

Fliegender Wechsel ins Freiwasser

Adere haben längst damit begonnen, ich habe auch mitbekommen, dass andere bereits den Neo an den Nagel gehängt haben und nur in Badegarderobe schwimmen. Aber, falls Sie den Beitrag von Ende März gelesen haben: Andere Leute sind eben für uns kein Maßstab – wobei uns in diesem Fall mich meint.

Zögerlich suche ich meine Sachen zusammen, hole den Neo vom Speicher und mache mich fertig. Fast so, als würde jedes Hinauszögern der Sonne die Gelegenheit geben, das Wasser noch etwas aufzuwärmen.
Ich weiß natürlich, dass das lächerlich ist – das Zögern bezieht sich wohl eher auf die Sorge, dass der Neoprenanzug diesen Winter wieder etwas enger geworden ist, als dass das Wasser viel zu kalt ist.
Das aber ist er nicht.

Der freundliche Familienvater, der mir am Weiher den Rückenreißverschluss schnell und ohne Mühe schließt, schafft das, ohne dass jemand anderes den Neo hinten zusammenziehen muss.
„Scheiße, ist der eng geworden“, entweicht mir eine vollkommen überflüssige und unwitzige Bemerkung, die wohl nur deshalb passiert ist, damit ich ihm zuvor komme. Sonst kommen solche Witze normalerweise von den anderen.
„Ach, der Sommer geht doch erst los…“ tröstet mich der Mann stattdessen. „Das dauert halt, bis man sich seine Sommerfigur wieder hin trainiert hat!“
„Sommerfigur?“ denke ich. „Welche Sommerfigur?“

Fünf Minuten später bin ich im Notzinger Weiher. Den habe ich ausgesucht, weil er nicht besonders groß und tief ist, noch dazu etwas sumpfig, sodass sich das Wasser hier schneller erwärmt als in den anderen Weihern.
„Ich schätze, 18° werden es sein“, ruft mir ein anderer Mann zu, der am Ufer steht und ein Badethermometer durchs Wasser zieht. „Aber hier am Ufer ist es sicher wärmer.“
Das fühle ich auch an den nackten Füßen.
„Jeden Tag ein Grad“, meint er. „Am Freitag waren es 16°C, da war ich das erste Mal schwimmen. Und gestern 17°.“
Ich habe den Mann schwimmen sehen – natürlich nur in Badehose. Aber auch nur etwa 100 oder 150m.
Da habe ich erheblich mehr vor.
Wir verabschieden uns. Ich zögere einen Moment. Birken- und Lindensamen bedecken den Weiher, ein Schmierfilm liegt es auf dem Wasser. Aber das ist nun mal der Preis beim Freiwasser.

Ich muss ja nicht in die beiden Buchten im Süden bis zum hintersten Ende schwimmen. Das ist selbst mir dann etwas zu unappetitlich.
Von Norden her lärmen liebeshungrige Froschmännchen und quaken um die Wette. Was ein Radau.
Der wird erst unterbrochen, als ich mich das erste Mal beim Schwimmen nähere. Richtig nah komme ich ihnen nicht – erstens haben sie eine große Fluchtdistanz. Der Frosch, den ich beim Umziehen am Ufer sah, hat sich, kaum, dass ich in seine Nähe komme, mit einem gewaltigen Satz in Sicherheit gebracht. Was denkt der eigentlich von mir?
Als ob ich dem was wollte. Auch seine Artgenossen müssen sich nicht sorgen. Der nördliche Bereich hinter den Inseln ist sehr flach – zum Schwimmen kaum geeignet.

Die ersten Züge im Freiwasser – wie immer ein Genuss. Wie konnte ich nur so zögerlich sein? Das hätte ich doch schon ein paar Tage eher haben können.

Es fällt schwer, konzentriert zu schwimmen. Es gibt so viel zu sehen, nach Fotomotiven zu schauen, erst als der Akku seine baldiges Ableben ankündigt, gelingt es mir, einige Male am Stück hin und her zu schwimmen. Vorher gilt es, eine Unmenge an Selfies zu machen, von denen die meisten ohnehin sofort wieder gelöscht werden. Schließlich braucht ein Blog Bilder, schließlich muss ich ja zeigen können, dass ich wirklich im Weiher war. Sonst glaubt es am Ende wieder keiner…

Kollege Biber hat am gegenüberliegenden Ufer ganze Arbeit geleistet. Lange wird es nicht mehr dauern, bis er die Weide am Wasser platt gemacht hat. Ich bin gespannt, ob der Baum am Ende der Freiwassersaison 2018 noch stehen wird. Ich wette mal dagegen.

Als ich am Ufer stehe und mich abtrockne, haben sich die Familien, die auf der Nachbarwiese ein großes Picknick veranstaltet haben, auch ins Wasser begeben. Die Frauen etwa bis zu den Knien. Die Männer, die sich natürlich beweisen müssen, schmeißen sich todesmutig in die Fluten.
„Ihhhhh“, kreischt einer auf. „Das ist ja doch ganz schön kalt.“
Und seiner Frau, die noch immer im Flachwasser steht, ruft er zu: „Schatz, jetzt habe ich aber einen ganz kleinen Penis!“
Worauf die Tochter, etwa fünf Jahre alt, vom Ufer zurückruft: „Warum?“

Ja, ja.. ich weiß schon, warum ich bei den Temperaturen einen Neoprenanzug trage.


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