Der letzte schöne Sommertag…
„Na ja. Nett“, kommentiert Petra den vor ihr liegenden See und ich bin ein wenig enttäuscht. Vielleicht, so überlege ich im Geheimen, hätte ich ihr nicht so vorschwärmen sollen. Aber der Langbürgner See gehört nun mal zu meinen Topfavoriten, wenn es um Freiwasserschwimmen im Umkreis von einer Fahrstunde von meinem Daheim geht. Im Mai war ich mit Herbert dort. Der aber schulter-schwächelt und hat auf Anraten seines Arztes das Schwimmen eine Weile eingestellt. Da kam mir Petras Vorschlag, am Dienstag schwimmen zu gehen, gerade Recht. Sie wolle in einem richtigen See schwimmen, und da kam mit der Gedanke, ihr diesen wunderschönen See zu zeigen…
Und dann sagt sie „Nett“… Wo doch jeder weiß, dass Nett der kleine Bruder von Scheiße ist.
Das meint Petra allerdings nicht so und das weiß ich auch. Ihr fehlt, so erwähnt sie „eben der Blick auf den weiten See und die Berge im Hintergrund.“
Wer so spricht, ist natürlich verwöhnt vom Tegernsee, wo Petra aufgewachsen ist. Aber kaum sind wir 600 Meter und damit aus der Bucht am Südende des Sees herausgeschwommen, revidiert sie ihre Meinung. Je länger wir im See schwimmen, umso mehr gefällt er ihr. Gut, dass sie nicht am ersten Urteil festhält und ihre anfängliche Skepsis mehr und mehr von der Schönheit des Eiszeitsees verdrängt wird. So leicht lässt sie sich eben nicht beeindrucken.
„Finnland“, sagt sie plötzlich und schwärmt: „Der See könnte in Finnland liegen.“ Gleich darauf wiederholt sie das Ganze auf finnisch – oder sagt etwas ganz Anderes, woher soll ich das wissen? Sie lernt finnisch, nicht ich.
„Oder in Kanada“ antworte ich. „Oder im Mohikanerland.“ Damit spiele ich auf James F. Coopers Lederstrumpfgeschichte Der Wildtöter (The Deerslayer, or The First War Path, 1841) an, in der der ehemalige Seemann Tom Hutter mit seinen Töchtern Hetty und Judy mitten auf einem See in einem Pfahlbau lebt. Korrekt ist das eigentlich nicht, denn der zwielichtige Tom Hutter kommt mit den Mingo in deren Stammesgebiet in Konflikt, nicht mit den Mohikanern.
Zug um Zug gewinnt der Langbürgner See hoffentlich auch Petras Herz. Meines hat er längst im Sturm genommen, was mich daran erinnert, endlich das Ranking für meine 25 Seen der Challenge 25 fertig zu machen.
An diesem vielleicht letzten schönen Sommertag fahren wir statt im Büro an unseren Schreibtischen zu versauern in den Chiemgau. Ich möchte nicht, weil Dienstag ist, schon wieder ins Fünfseenland fahren. Wer weiß, welches Arschloch da wieder auf mich gewartet hätte? Also einigen wir uns auf den Langbürgner See, mein kleiner Geheimtipp, der es an Schönheit durchaus mit der Krombachtalsperre (kennen Sie aus der TV Werbung für Krombacher Werbung, früher vor jedem Tatort zu sehen) mithalten kann:
Schließlich: Wie kann man einen See nicht lieben,
- der so verbuchtelt ist, dass man bei jedem Schwimm einen anderen Weg nehmen kann;
- der warmes und samtweiches Wasser hat, das weder nach Algen noch nach Fisch schmeckt, wenn man es in den Mund bekommt;
- der darauf verzichtet, die Wasseroberfläche mit Tonnen von schwimmenden Wasserpflanzen zu bedecken;
- auf dem es außer ein paar Ruderbooten kein anderes Wassergefährt gibt, keine Surfer, Stand-Up-Paddler, Schlauchboote, keine Tret- oder E-Boote, keine Segler… einfach nichts, nicht mal ne Luftmatratze;
- in dem an den verschiedenen Badeplätzen vielleicht eine Handvoll Besucher im Wasser ist, und man sonst in relativer Einsamkeit den See genießen kann;
- der ringsum eingerahmt ist von Bäumen und vom Nordufer aus den Blick auf die Kampenwand und die benachbarten Berge erlaubt;
- der keine touristische Infrastruktur hat, keinen Kiosk, Biergarten und kein Naherholungsgebiet, also von den Urlaubern und Erholungssuchenden im Chiemgau selten aufgesucht wird und nur von den Einheimischen frequentiert wird;
- an dessen Ufer man bequem und kostenlos parken kann.
Petra ist mittlerweile überzeugt. Der Ausflug zum Langbürgner See hat sich gelohnt – trotz Stau- und Baustellenumfahrung, Sperrung der S-Bahnstammstrecke für sie und abendlichen Regengüssen. Und trotz etwa 700.000 Kalorien für jeden beim anschließenden Eisbecher in Bad Endorf; Mädchenbecher mit Obst und Joghurt für mich, Herrenbecher mit Schokolädchen und Likörchen für Petra…
Vielleicht war es der letzte schöne Sommertag – aber, wenn, dann war er famos. Da sind wir uns einig.
Wer sich den See mal in meditativer Ruhe ansehen will, dem sei der Luftbildfilm-Film der ESR-Luftbild aus Bad Endorf empfohlen. Überwiegend am Langbürgner See im kalten Herbst, der hoffentlich noch ein wenig auf sich warten lässt:
Entdecke mehr von Mal Zwetschgenmann - Mal Wassermann
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.
Im Herbst, im Video, sieht er noch mehr nach „Finnland“ aus. Und was ich gesagt habe: Olin järvessä suomessa – ich war im finnischen See!