Spaziergänge (#03): Daheim im Holz

Nein. Das Schnauppinger Holz muss man nicht kennen. Es ist ein kleines Waldstück zwischen Schnaupping (daher der Name), Pyramoos, Rain und Oberndorf – Orte, die allesamt so unbedeutend sind, dass sie nicht mal auf Landkarten zu finden sind, es sei denn im Maßstab 1:60.000 oder noch feiner. Es sind Nester im Oberbayerischen nördlich der B12 und westlich der B15. Oder, um es anders zu sagen: Mehr oder weniger in meiner direkten Nachbarschaft. Im Schnauppinger Holz
Das Waldstück ist so unspektakulär, dass nicht mal Google viel darüber findet, von ein paar Berichten über Hochsitz-Zerstörer und einem orientierungslosen Rentner, den das Navi mitten in das winterliche, völlig verschneite Schnauppinger Holz geführt hat, einmal abgesehen. Aber das ist auch schon sieben Jahre her.
Nachdem es in der Nacht von Freitag zum Samstag gestürmt und gewittert und den Samstag den halben Tag wie aus Eimern geschüttet hat, holt sich der Spätsommer den Sonntag. Es ist warm, sonnig und ein wenig dampfig. Genau richtig, um ins Holz statt ins Wasser, also spazieren statt schwimmen, zu gehen…

Im Schnauppinger Holz
Statt der üblichen Runde durchs Dorf oder den angrenzenden Wald, das Urbansholz, geht es eben dieses Mal ins Schnauppinger Holz. Man will sich ja nicht sagen lassen, man habe keine Ahnung von seiner allernächsten Umgebung.
Im Schnauppinger HolzGewitter und Sturm haben deutliche Spuren hinterlassen. Mehrere umgestürzte Fichten liegen quer über den Weg, die Wurzeln sind aus dem Boden gerissen, große Platten aus Wurzelgeflecht, Erde, Gräsern, Farn und Brombeeren. Immer wieder bin ich überrascht, dass Fichten nur so wenige Wurzeln haben und diese sich auch nur ganz flach im Erdreich ausgebreiten.
Standhafter gegenüber dem Gewittersturm erwiesen sich die Laubbäume. Kaum einer ist umgestürzt, abgeknickt oder abgebrochen sind allerdings einige, wie durchgebrochene Streichhölzer sehen sie aus.
Die Wege sind übersät mit kleinen Ästen, Fichtenzapfen, Schwarzerlensamen. Überall stehen Pfützen, die kleinen Rinnsale sind angewachsen, der Boden ist nass und schwer. Erstaunlich still ist es an diesem Tag, kaum ein Rascheln, kaum ein Vogel, der einen Ton von sich gibt, von dem Ruf eines Bussards und ein paar kreischenden Lauten einer Elster abgesehen. Auch das fortwährende Summen und Brummen der Insekten fehlt.
Es riecht nach feuchter Erde und Holz. Nach Wald eben.
Hin und wieder weht es den Duft des drüsigen Springkrauts süß und klebrig von den Wegesrändern in unsere Nasen. Diese Neophyten haben sich auch in diesem Jahr wieder massiv ausgebreitet.
Ich kann das Zeug nicht leiden, aber das kann wohl niemand. Jedenfalls sieht man nur selten Insekten auf den Blüten Nektar sammeln und das heimische Wild macht auch einen Bogen darum. Es denkt gar nicht daran, davon zu naschen.
Und da das Springkraut nicht gefressen wird, wuchert es die kühlen, schattigen und feuchten Wald- und Wegränder und die Ufer von Bächen zu. Jedes Jahr ein bisschen mehr. Wir werden es wohl nie wieder los.
Im Schnauppinger Holz
Brombeeren im Schnauppinger HolzDort, wo das Springkraut noch nicht alles überwuchert hat, wachsen wilde Brombeeren, die nun ihrerseits auch nichts anderes tun als alles andere zu überdecken. 2017 scheint ein gutes Brombeerjahr zu sein. Die meisten Pflanzen tragen Früchte in Hülle und Fülle, viel kleiner als in unserem Garten und weitaus weniger süß. Viele werden im Wald nicht vernascht – von wem auch? So reifen und faulen sie an den Sträuchern.
Man könnte mal wieder über den guten alten Fuchsbandwurm sinnieren, denke ich, als ich eine Beere probiere.
Was macht der eigentlich?
Gibt es den überhaupt noch? Vor Jahren war er noch Auslöser geradezu hysterischer Angst, mittlerweile ist er medial ein wenig ins Abseits geraten, obwohl er sich doch so angestrengt hatte, sich als verhängnisvolle Bedrohung für uns Menschen zu stilisieren. Zumindest für diejenigen, die ein – sagen wir – eher städtisches Verhältnis zur freien Natur haben, entstand durch den heimtückschen Fuchsbandwurm eine immense Bedrohungslage. Aber das sind auch die gleichen, die beim Joggen im Wald hinter jedem Baum einen Räuber und Vergewaltiger vermuten oder beim Knacken eines Astes zumindest eine auf sie zustürmende Rotte Wildschweine erwartet haben.
So ändern sich eben die Zeiten.
Ich finde beim besten Willen nichts Bedrohliches am und im Wald, aber ich traue mir auch zu, echte Gefahren von eingebildeten unterscheiden zu können. Also gibt es tausend Gründe Respekt vor, aber kaum einen, Angst im Wald zu haben.
Im Schnauppinger Holz
Auf unserem Rundweg begegnen wir drei Menschen, einem älteren Ehepaar und einem Spaziergänger mit einem Hund. Das war’s. Dürftig für einen sonnigen Sonntag im Spätsommer.
Im Schnauppinger HolzEs ist wie überall in der Region wunderbar menschenleer in unseren Wäldern.
Ich möchte mir hingegen gar nicht ausmalen, wie es zur gleichen Zeit im Englischen Garten in München oder am Isarhochufer ausschaut. Bestimmt ein Massenansturm.
Skurril geht es bestimmt im Perlacher oder rings um die Sauschütt im Ebersberger Forst zu. Völkerscharen, nahererholungssuchender, expeditionsfreudiger Outdoor-Städter wälzen sich bestimmt in Trekking-Hosen, Karo-Hemden über Hi-Tec-Mikrofaser-Shirts durch die Natur. In jeder Hand halten sie einen Nordic-Walking-Stock, auf dem Rücken tragen sie einen Wanderrucksack voll mit Energyriegeln, Traubenzucker-Stücken für die Not-/Erstversorgung bei drohender Erschöpfung, Sigg-Flaschen voller isotonischer Getränke, Scholl-Blasenpflaster und einem GPS-Tracker im Handy, welches den Weg aufzeichnet und vielleicht sogar die Schritte zählt.
Später werden sie von dem wunderbaren Erlebnis schwärmen, von der guten Luft und der atemberaubenden Erfahrung, in freier Natur (um nicht zu sagen Wildbahn) gewesen zu sein.
Das muss so großartig sein, dass sie diese Erfahrung mit gleich tausenden Anderer teilen, die nämlich machen auch nichts anderes.
Ach so: Die ganz Verwegenen setzen sich natürlich sonntags morgens ins Auto, schleichen Stoßstange an Stoßstange ins Tegernseer Tal oder zur Kampenwand, machen dort bei einer Art Flash-Mob-Mini-Völkerwanderung mit und quälen sich abends im Stau zurück in die Stadt. Optimal.
So zumindest male ich mir das in meinem von Klischees durchsetztem Kopfkino aus – ob das wirklich so ist, weiß ich nicht. Ich meide nämlich solche auf Wald getrimmten Grünanlagen, gezirkelte Staatsforste oder all die in Reise- und Wanderführern als unbedingt lohnenswert angepriesenen Ausflugsziele im Alpenvorland. Überall sind da merkwürdige Menschen. Bach im Schnauppinger Holz
Ich gehe lieber daheim ins Holz. Da hat’s das alles nicht. Und das ist gut so.


Eine Liste aller Beiträge der Serie Spazieren statt schwimmen gehen samt Verlinkung finden Sie auf der Unterseite Die Serien dieser Seite im Überblick.


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