Auflandige Winde helfen nicht weiter

Weit und einladend breitet Christus seine Arme aus. So als wolle er die ganze Welt umarmen und jede Seele zu sich rufen. Mächtig erhebt sich die Skulptur von Georges Serraz aus dem Jahr 1927 über dem atlantischen Ozean. Auf einer kleinen Halbinsel Ponta do Garajau steht sie und heißt die einlaufenden Seefahrer vor Madeiras Hauptstadt Funchal willkommen. Nach Tagen auf See haben sie den Hafen der portugiesischen Blumeninsel, die rund 500 Kilometer vor der Küste Afrikas liegt erreicht.
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Gegangen jedoch ist ein Mensch, dessen Herz stets dem Wasser gehörte. Für immer.
Seine sterblichen Überreste, so hatte er sich gewünscht, sollten dereinst von diesem Ort die Klippen hinab ins Meer verstreut werden.
Das Ansinnen ist verständlich, Menschen neigen zu solchen Verfügungen. So pilgern zum Beispiel seit geraumer Zeit Trauergemeinden an die slowakische Grenze, schiffen sich ein und lassen sich nach Bratislawa fahren. Dort in Slowakien dürfen sie ihre verstorbene und kremierte Verwandtschaft wunsch- und weisungsgemäß in die Donau streuen und darauf hoffen, dass zumindest der eine oder andere Partikel irgendwann im Schwarzen Meer ankommt. In Deutschland scheitert allein der Gedanke an solche Bestattungen am behördlichen Regulierungswahn. Hat man den lieben Verstorbenen einmal aus der Hand gegeben, bekommt man ihn nie wieder zurück.
Nicht so ist das offensichtlich in anderen Ländern. Dort wird der Tote nach seiner Verbrennung auch den Verwandten wieder ausgehändigt, damit diese die Urne – wo und wie auch immer – bestatten können. Und sei es zu Füßen des Cristo Rei in Garajau.

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Dort nämlich hat die Verwandtschaft eines Verstorbenen in bester Big Lebowski Manier auf der Klippe unterhalb der Statue stehend dessen Asche ganz und gar friedhofsfrei unter den wohlwollendem Blick der Skulptur den Elementen und Gottes freier Natur überantwortet.urni3
Ein wenig unprofessionell und/oder mit der Gesamtsituation überfordert scheint das Ganze aber abgelaufen zu sein.
Denn die Urne haben die emotional aufgewühlten Angehörigen nicht wieder mitgenommen sondern gleich direkt unter den Füßen des dichten Opuntienbewuchses liegen gelassen. Was sich den meisten Touristen tags drauf vermutlich gar nicht erst erschließt, bleibt natürlich dem scharfen und geübten Blick des Bloggers nicht verborgen. Und so erkennt er, dass die schwarz lackierte Metalldose im Gestrüpp weder eine überdimensioniertes Teeaufbewahrungsbehältnis noch eine Blumenvase ist. Charakteristisch befinden sich am oberen Rand des Gefäßes die beiden Fäden, die man herauszieht, um das Behältnis taktvoll im Erdboden versenken zu können ohne sich dafür hinknien zu müssen. Das verrät die Urne als solche.

Auflandige Winde
Und noch etwas fällt auf: Neben der Urne liegt der grau silberne Bodybag – jener kunststoffbeschichtete Aluminiumbeutel, in dem die Asche des Toten samt Sarg transportfertig gemacht wurde. Dass verbrannte Tote in Extratüten transportiert werden, ist deshalb sinnvoll, da so ein Urnendeckel ja nicht dicht schließt. Der hat ja nicht mal ein Schraubgewinde. Art und Größe der Tüte erinnern an die Vakuumverpackungen für geröstete Kaffeebohnen. Doch fehlt der kaffeespezifische Aufdruck auf dem Sack. Geröstete Bohnen waren da nicht drin – eher geröstete Gebeine. Warum man so etwas liegen lässt, bleibt eher unklar.
Nun liegt auf der Hand, dass spätestens jetzt ein Sherlock im neugierigen und aufmerksamen Spaziergänger erwacht. Und der geht der Sache auf den Grund. Es bedarf dabei gar keiner Brillanz in Beobachtungs- und Kombinationsgabe. Ein Blick und die Sache ist klar.
Die Asche des Toten ist nämlich mitnichten im hohen Bogen Richtung Meer verweht worden. Wer immer die Asche verstreut hat, hätte sich entweder eingehender mehr mit der Windrichtung beschäftigen oder noch einmal Big Lebowski ansehen sollen. Der Tote ist nämlich dank auflandiger Winder nicht im Meer gelandet. Er hat sich ganz schön verflogen.
Teile von ihm hängen im nächsten Geäst der nächsten Opuntien…
Auflandige WindeDas war wohl so eher nicht geplant.

PS: Den Rest des Urlaubs diskutiere ich mit meiner Frau darüber, noch einmal dorthin zu fahren, die Urne zu holen und mit nach Hause zu nehmen. So ein Teil kann man nämlich immer gut brauchen…

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