Flieg, Omilein, flieg
Die Oma ist aufgeregt. Unentwegt nestelt sie an ihrem Seidenhalstuch. Dann klippt sie die Handtasche auf und zu, wieder und Wieder, als wolle sie sich versichern, dass das Ticket noch da ist, und ob das Datum auch stimmt…
Das Datum stimmt. Ihr Name steht drauf. Es ist noch früh am Morgen, nicht mal sieben Uhr. Ich sitze am Münchner Flughafen und beobachte die Leute. Was will man sonst tun? zum x-ten Mal kontrollieren, ob man sein Ticket dabei hat?
Neben der Dame, die ich auf etwa Mitte 70 schätze, sitzt eine junge Frau. Sie blättert durch einen Hamburg-Reiseführer und hält der anderen – ihrer Oma – das aufgeschlagene Buch unter die Nase. „Gell Oma, des schaung mer uns o!“ Die Oma nickt nur. Sie nimmt nicht wirklich wahr, was ihr die Enkelin erzählt.
Sie ist eben doch zu aufgeregt. Oder auch noch etwas müde. Unser gemeinsamer Flieger geht um 7.15 Uhr, das ist verdammt früh. Und sicher waren Oma und Enkelin mehr als früh genug am Flieger. Die Frau sieht aus wie jemand, der lieber ne Stunde zu früh als 5 Minuten zu spät ist.
Beide reden tiefstes Oberbayerisch, der Stimme und Art nach erinnert mich die Oma an Marianne Sägebrecht in ihren schönsten Rollen: Unbeholfen, überfordert und doch patent. Freilich: Der Optik nach ist sie eine ganz andere Erscheinung.
Der Zufall will es, dass die beiden Frauen in der gleichen Sitzreihe im Flugzeug Platz nehmen wie ich. die Enkelin überlässt ihrer Oma den Fensterplatz. Viel sehen wird sie allerdings nicht, denn Reihe 16 befindet sich genau auf Höhe der Tragflächen. Die Oma, die noch immer nicht glauben kann, in einem Flugzeug zu sitzen, bedankt sich immer wieder bei ihrer Enkelin. Denn diese hat wohl die Großmutter zu einem Wochenendtrip nach Hamburg eingeladen.
Aufmerksam und hochkonzentriert lauschen Sie den Sicherheitsbelehrungen des Kabinenpersonals. Auch daran erkennt man den Erstflieger. Ja, sie missbilligen auch das große Desinteresse der anderen Fluggäste, die in ihren Smartphones herumtippen, eine der Zeitungen vom Gate lesen oder einfach mit verschlossenen Augen den Klängen aus ihrem iPod lauschen. „Geh… so an Desinteresse. Und wenn amoi was passiert, dann stehen’s da, und wissen nix.“
Nun ja, es gibt Leute, die haben das schon hundertfach gehört und könnten auswendig mitsprechen, denke ich, sag aber nichts.
Als sich der Flieger endlich aufs Rollfeld bewegt, greift die Enkelin plötzlich in ihren Rucksack.
„Mei, die Kaugummis“ ruft sie und holt eine Packung hervor. Als sie ihrer Großmutter eines anbietet, meint diese:
„Moanst wirklich?“
Die Enkelin nickt. „Ja, nimm halt. Des soagn alle, des huift.“
Widerwillig stopft die alte Dame ein Kaugummi in den Mund, bzw. einen, denn in Bayern heißt es der und nicht das Kaugummi.
Die Großmutter stammt aus der Generation und sicher aus einer Erziehung, in der man Kaugummi nicht auf offener Straße kaut – und Mädchen schon gar nicht: „So a saubres Deandl is schließlich koa Ami-Flitscherl ned, hat mei Mamma immer g’sagt“, erklärt sie der Enkelin.
Der Flieger hebt ab, der Tochter entfährt ein zu lautes, leicht hysterisches Lachen. Mein Gott, ist das Mädchen aufgeregt. Ich gönn es ihr und widme mich meiner Zeitung.
Der Flug verläuft ruhig. Die Tochter lehnt sich an die Schulter der Oma und hat bald die Augen geschlossen. Die beiden müssen ein bewundernswertes Verhältnis miteinander haben.
Der Puser kommt vorbei und spricht sie freundlich an. Beide Frauen bestellen sich Kaffee und dazu. Letzteren vermutlich, weil das auch alle sagen? Ich sage das nicht. Ich bestellt das auch nicht. Wenn ich das zeug trinken wollte, dann kauf ich das. Tetrapacks gibt’s in jedem Supermarkt. Dazu muss ich nicht 3.000 Meter hoch in die Luft.
Die beiden sind so intensiv damit beschäftigt, den Pfeffer in die breiige Konsistenz zu rühren, dass sie kaum bemerken, dass der Purser schon wieder da ist. Diesmal will er die leeren Becher einsammeln. Jetzt heißt es Beeilung.
Schon setzt die Maschine zur Landung an. Sie durchstößt die Wolkendecke, es ruckelt. Die Oma wird blass und krampft sich an der Lehne fest. Auch der Tochter ist das nicht geheuer.
Ein Luftloch. Die Maschine sackt etwas durch. Die junge Frau quittiert das mit einem Quitscher, den sie besser für die Wilde Maus auf dem Rosenheimer Herbstfest genutzt hätte. Einige distinguiertere Fluggäste drehen sich um und schauen, wer da so gekreischt hat.
Na ja, möchte ich denen zu rufen. Tut mal nicht so versnobt arrogant. Die beiden fliegen heute das erste Mal. Und ja: So was gibt es, stellen Sie sich das mal vor.
Aber insgeheim hoffe ich, die beiden werden nicht klatschen, wenn der Flieger landet. Die Gefahr besteht, denn das sagen ja auch alle, dass man das tut.
Niemand tut das.
Auch die Oma und ihre Enkelin nicht.
Schöne und aufregende Zeit in Hamburg Euch beiden.
PS: Die Leser mögen mir die dilettantische bayerische Schreibweise in der wörtlichen Rede verzeihen. Aber ohne das „Boarische“ wäre es nur halb so schön gewesen.
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Sehr interessant und was kommt als nächstes……….. voll aufregend wie bei einem Krimi: aba des boarisch miassad no a bissal bessa wern, kimmt aba a no….wia sogt Frau Kern werd scho wern……