Wir Blumenkinder

Blumenkinder Post von Ludwig Spaenle

Jetzt sind wir also wieder Blumenkinder. Verwirrte noch dazu. Während am Sonntag Zigtausende in München an der #Ausgehetzt-Demonstration teilnahmen, sich gegen Hetze und Hass, gegen Verrohung von Politik und Sprache zur Wehr setzten, hatte der ehemalige bayerische Kulutusminister Spaenle nichts Besseres zu tun, als via FB genau das weiter zu betreiben: Häme und Hetze. Was beweist, dass der von Söder aufs Abstellgleis manövrierte Alt-CSUler zwei Dinge absolut nicht verstanden hat:

A. Worum es in dieser Demonstration eigentlich ging. Das scheint ihm aber dann doch aufgegangen zu sein, denn sein Post verschwand sang- und ruhmlos nach wenigen Stunden.
B. Wie Social Media heutzutage funktioniert. Mit dem Löschen eines Posts oder Tweets ist nämlich nichts aus der Welt. Das Internet vergisst nicht, und so wurde und wird sein wenig von politischer Intelligenz zeugendes Statement als Screenshot tausendfach weiterverbreitet. Was einmal geschrieben wurde, bleibt. Dafür sorgt der politische Gegner schon. Und davon hat die CSU plötzlich enorm viele.

Die nämlich hat es sich das Paar Schuhe angezogen, das die Veranstalter der ‚Ausgehetzt-Demo freundlich vor die Tür hingestellt hat. Und siehe: Es passt wie angegossen. Jetzt schlägt Generalsekretär Blume medial wild geifernd um sich und beweist damit nur noch ein weiteres Mal mehr, dass die verirrten Blumenkinder zu Recht auf die Straße gegangen sind. Der Stratege hat sich selbst entlarvt.

Dabei, so muss ich Spaenle fast schon milde lächelnd und mit gleicher Herablassung erwidern, hat er mit seiner Blumenkinder Polemik gar nicht mal so unrecht, zumindest was einen Demonstrationsteilnehmer betrifft. Nämlich mich.

Schon meine Mutter meinte damals in meinen wüsten Sturm-und-Drang-Jahren, ich sei auf dem besten Wege ein Hippie zu werden. Mit einem Bein wähnte sie mich in Indien, im Drogensumpf, in einer obskuren Sekte oder einer radikal-anarchischen Gruppierung… Dabei war schon damals das Hippietum vollkommen aus der Mode geraten. Und nicht jedes männliche Wesen, das als Protest gegen das verbürgerlichte Establishment seine Haare bundeswehrfeindlich über Ohren und Nacken trug, war gleich ein Hippie, ein Blumenkind.
Ich jedenfalls nicht. Und ich wollte nie nach San Francisco oder Auroville. Das will ich übrigens auch heute nicht. Wenn auch heute aus anderen Gründen.

Und so marschieren wir Blumenkinder, die für mich eher aussehen wie die bürgerliche Mitte, bei strömenden Regen durch München. Von einer Auftaktkundgebung zur nächsten zieht sich die Demo. Kundgebungen sind es vier und so wächst der Zug der Menschen in die Tausende Teilnehmer und mündet am Ende auf dem Königsplatz, der bereits gut gefüllt ist. Ob es nun 30.000, 40.000 oder 50.000 sind – was macht das für einen Unterschied? Schilder werden in die Höhe gehalten, Fahnen geschwenkt. Meinungen werden kund getan. Von freier Liebe, von Blumen in den Haaren, freiem Drogenkonsum, allerdings ist wenig zu sehen. Eigentlich gar nichts.
Zwar marschieren auch enorm viele Kinder mit, aber keines streut Blumen auf die Straße für ein nachfolgendes Brautpaar. So nämlich definiert Wikipedia, was Blumenkinder sind.
Wovon also redet Spaenle? Und wer zeigt Spuren der Verirrung?

Auf dem Weg und später auf dem Königsplatz stehen Marxisten neben Schwulen, Nonnen neben Feministinnen. Gewerkschafter, Grüne, Sozialdemokraten, Friedensbewegte, Helferkreismitarbeiter, Geflüchtete, Künstler, Umweltschützer, Christen, Omas gegen rechts, Trachtler, Muslime… sie alle sind gekommen. Uns alle eint, dass sie die Nase voll haben von den ewigen Hasstiraden, von der Hetze, von der sprachlichen Verrohung, wie sie von den rechten Politikern und Parteien betrieben wird.

Und dazwischen: Die bürgerliche Mitte, fern vom Verdacht revolutionärer Umtriebe. Sie lauschen Kabarettisten und Musikern, Politikern und Seenotrettern. Wenn das die verirrten Blumenkinder sind, dann bin ich gern eines davon.

Wie so viele Demonstranten nutze auch ich die Social Media Kanäle, streue Bilder und Eindrücke ins Netz, freue mich, wenn diese gelikt und geteilt werden. Einer meiner Tweets zum Thema überrascht mich mit über 1.500 Likes. Die Botschaft kommt an. Digital gesellen sich gedanklich zu den Tausenden vor Ort weitere Abertausende, die nicht nach München kommen konnten. Von vielen kommen solidarische Grüße und Anerkennung.

Da macht es dann auch nichts, wenn andere Twitterer sich eines meiner Fotos bedienen und es so weiter und weiter gestreut wird.

Nachdenklich werde ich auf dem Heimweg. Es ist Jahrzehnte her, dass ich auf Großdemos war oder an Lichterketten teilgenommen habe. Die CSU hat es geschafft, mich aus meiner behäbig–bürgerlichen Komfortzone heraus auf die Straße zu bringen, runter vom sonntäglich bequemen Sofa, raus aus dem Schildkrötengarten oder dem Schwimmbad. Und das hat sie in kurzer Zeit gleich mehrfach geschafft.
Deutschlands Städte sind bunt – und das nicht nur der Schirme wegen. Da können die Braunen, die Blauen oder die CSU noch so viel Häme und Hetze streuen.

Ach übrigens, lieber Ludwig Spaenle, wir brauchen uns gar nicht moralisch überlegen zu wähnen. Wir sind es.

PS: Dies hier ist kein politisches Blog. Beiträge dieser Art finden Sie daher eher selten, fast nie. Aber es ist mein digitales Tagebuch, in dem ich notiere, was mich beschäftigt. Und #Ausgehetzt beschäftigt mich gerade. Triviales dann wieder am Donnerstag.


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