Wenn nicht auf diesem, dann auf einem anderen Weg
Ich hatte ja bereits nachhaltig gejammert, dass man mich im Comer See nicht schwimmen lässt, aber dass ich es auch gar nicht wollte: Divieto di Balneazone.
Man kann ja auch andere schöne Dinge machen, zum Beispiel eine Bootsfahrt, bei der man sich unter die Touristen mischt (ich bin ja selbst einer) und hernach darüber bloggen. Und da niemand sagt, dass man in einem Wassermann-Schwimmblog immer nur und ausschließlich übers Schwimmen bloggen muss, mache ich das heute auch nicht.
Wir haben es uns nämlich in Oberitalien gut gehen lassen. Gutes Essen und guter Wein, von Cafe zu Cafe: aperitivo, gelati, caffe espresso, cappucchino… Sie kennen das vermutlich, wenn Sie selbst gerne nach Bella Italia reisen – dolce far niente inklusive. Irgendwann aber haben wir doch Hummeln im Hintern: So schön Milano, Bergamo oder Como auch sind. Also rein in die Wanderstiefel und -garderobe und ab durch die Haustür – hinein in die wolkenverhangenen Berge, die direkt hinter dem Haus beginnen.
Von Torno aus führt ein gut ausgeschildeter Wanderrundweg hinauf zum Montepiatto. Der Anstieg ist zwar steil, besteht aber überwiegend aus Treppenstufen – es müssen Hunderte sein, gefühlt natürlich Tausende. Ausgewaschen und ausgetreten und manchmal in einem extrem unangenehmen Trittabstand. Aber da müssen wir durch… bzw. rauf. Es geht durch lichte Laubwälder, viele Esskastanien liegen auf dem Weg, man könnte sie absammeln, aber die Früchte sind im Vergleich zu den castagne oder unseren Maroni sehr klein, und wir haben auch keine Handschuhe dabei, um die Früchte aus ihren stacheligen Hüllen zu holen. Castagne gibt’s dann lieber hinterher in der L’Ortofrutta in der Via Francesco Muralto in Como.
Eingefallene Bruchsteinhäuser stehen im Wald, so etwas mag ich. Das ist wildromantisch, mir kommt Bella Ciao in den Kopf und ich phantasiere alte Partisanenverstecke in die Ruinen hinein. Welcher Held möchte nicht dereinst unter einer Blume in den Bergen begraben liegen?
E seppellire lassù in montagna o bella, ciao! bella, ciao! bella, ciao, ciao, ciao! E seppellire lassù in montagna, sotto l’ombra di un bel fior.
Nie habe ich eine bessere und leidenschaftlichere Interpretation dieses alten Partisanen- und Kämpferlieds gehört als gesungen und gespielt von einer Frau mit einem Akkordeon an einem Parkplatz in L’Île-Rousse auf Korsika. Ich hätte ihr stundenlang zuhören können. Sie hat die Euro, die ich ihr damals in den Hut gelegt habe, mehr als verdient – das nur am Rande.
Immer wieder sehen wir den Comer See unter uns liegen:
Montepiatto ist so etwas wie ein gottverlassenes Nest im Vorgebirge. Was heiß: Es gibt eine Kirche, ein paar Häuser und ein Gasthaus. Die meisten Häuser scheinen Ferienhäuser zu sein, nirgendwo ist ein Mensch zu sehen, die Häuser wirken verschlossen und unbewohnt, zumindest im Moment. Im Sommer mag das anders sein – jetzt aber ist alles verrammelt. Wären nicht zwei Bauarbeiter, die eine Fassade auf Vordermann bringen, es wäre einfach niemand da.
Nur eine Katze. Die aber umschleicht und umschmeichelt uns nach allen Regeln der Kunst. Vermutlich hat ihr tagelang kein Mensch etwas Leckeres zugesteckt. Von uns bekommt sie auch nichts, der Wanderrucksack gibt nichts her, was wir einer Katze geben könnten. Also wird sie wohl weiter aktiv ihren Beitrag zur Dezimierung von Vögeln und Reptilien leisten und Spatzen und Eidechsen jagen müssen.
In Montepiatto spielen wir einen Moment mit dem Gedanken, von der Hochebene noch weiter hinauf zu steigen, aber irgendwie fehlt mir die Lust. Also willigt meine Frau ein, im weiten Bogen über Piazzaga zurück nach Torno zu laufen. Das erspart uns weitere rund 400 Höhenmeter hinauf zum Castel d’Ardona. Man muss nicht alles im Leben gesehen haben. Also geht es gemütlich durch feuchte Laubwälder und bemooste Steine weiter. Die Wege sind nicht schwer zu finden, alles ist ausgeschildert, als sei der Sauerländische Gebirgsverein weiland angerückt und habe sich eigenhändig darum gekümmert.
Piazzaga ist schnell erreicht, weil der Fuß -und Wanderweg irgendwann von dem Wirtschaftsweg abzweigt und man so die eine oder andere Serpentine abkürzt.
Das Dorf wirkt ebenso verlassen wie Montepiatto, aber es scheinen ein paar Leute dort zu leben. Man sieht ein paar parkende Fahrzeuge, ein alter Mann hackt Holz hinter seinem Haus. Er schaut uns fragend an, als wir ihn grüßen. Also fragen wir, obwohl wir es eigentlich wissen, höflich nach dem Weg nach Torno und er erklärt uns umschwänglich, wie wir zu gehen haben. Kommt wohl nicht so oft vor in dieser Jahreszeit, dass Fremde vorbei kommen. Und außerdem ist es eine willkommene Unterbrechung im Spalten der Holzscheite, das gilt es auszunutzen.
Hinweisschilder verraten uns, dass es in Piazagga eine Pizzeria gibt, für wen, ist allerdings schleierhaft. Vermutlich hat die auch nur im Sommer geöffnet und das wohl nur am Wochenende. Nicht, dass ich gerade Bedarf hätte… aber wundern darf man sich schon noch.
Es geht weiter an einem merkwürdigen Haus vorbei. Auch hier ist alles verschlossen und verrammelt.
Auf dem Rückweg nach Torno kommt der See wieder in Sicht, auch eine alte Befestigungsanlage in den Bergen. Ein kleiner Fluss stürzt sich todesmutig in die Tiefe dem See entgegen. Es wird wieder wildromantisch.
Und irgendwann sind wir dann auch wieder zurück im Dorf. Eine Wanderung war das nicht gerade, aber ein schöner ausführlicher Spaziergang. Festes Schuhwerk hat es trotzdem gebraucht, mehr als einmal rutschen unsere Füße auf den nassen, glatten Steinen des bisweilen steilen Weges fast weg.
Schön war’s. Geschwommen wird dann wieder daheim.
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