Von Wassertemperaturen, Klischees und der wirklich wahren Wahrheit
Lassen Sie uns über Wassertemperaturen reden. Oder zunächst über Klischees.
Klischees wollen bedient werden, wohlan, versuchen wir’s:
Es gibt eine bestimmte Art Menschen, die es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nimmt; oder anders herum ausgerückt, deren Genauigkeit ist kaum wahrzunehmen.
Ein Beispiel: Der testosteron- wie ps-getriebene Münchner.
In der Tat handelt es sich hierbei überwiegend um Männer, doch das nur am Rande.
Unermüdlich erzählt der Münchner, dass er in dreieinhalb Stunden maximum von München aus zum Gardasee fährt. Da lohnt es sich, schon mal für ein Wochenende dorthin zu düsen. Längst ist der See von den Bayern okkupiert und wird quasi von München als Vorort gewertet. Dreieinhalb Stunden braucht der Münchner dafür, oft auch weniger.
Das ist gelinde gesagt geprahlt. Oder gelogen. Es sind nämlich 385 Kilometer Fahrtstrecke vom Münchner Hauptbahnhof nach Riva, dem nördlichsten Ort am Lago. Das ist in der behaupteten Zeit kaum zu schaffen, braucht man doch allein oft fast ’ne Stunde, um überhaupt aus der Stadt herauszukommen. Hernach quält man sich mit hohem Verkehrsaufkommen über die A8 samt Irschenberg und A95 und dann tempolimitiert über Inntalautobahn und Brenner. Dreieinhalb Stunden ist nur unter Umgehung der Geschwindigkeitsbegrenzung zu schaffen, selbst dann eigentlich nicht. Besonders schlaue Füchse nehmen die zugegeben kürzere Strecke und die leerere A95, bis Garmisch. Dann aber geht es kurvig über Land und übers Gebirge. Da kann die Karre noch so schnell sein, der Fahrer noch so hormonprotzend. Diese Zeit ist nicht zu schaffen.
Nicht anders verhält es sich bei den Münchnern, die von ihrer Haustür aus in 30 oder 40 Minuten in den Bergen sind oder bei den schönsten aller Seen im Voralpenland. Quasi auch ihr Vororte.
30 oder 40 Minuten: Das könnte theoretisch sogar halbwegs hinkommen, wenn man nicht aus München erst einmal heraus müsste, und außer Acht lässt, dass am Wochenende bei schönen Wetter die halbe Stadt Chiemsee, Schliersee, Tegernsee, Starnberger- oder Ammersee ansteuert.
Dann nämlich lagert es sich ebenfalls Stoßstange an Stoßstange auf der Autobahn, weil überland keine Option ist, da könnte ja ein Dörfler oder Traktor gemächlich vor dem schweren Vehikel dahinzuckeln. Und ist man erst mal am See oder Berg, dann darf man die gleiche Zeit gern noch einmal veranschlagen, um einen halbwegs legalen Parkplatz zu finden. Denn dort, wo alle hinfahren, werden Parkplätze schnell rar, will man nicht seinen Boliden einfach vor anderleuts Garageneinfahrt, auf Feld- und Rettungswegen oder gleich auf einer Kuhweide abstellen. Was auch regelmäßig passiert.
In den Bergen oder an den den Seen ist es allerdings auch herzallerliebst und wunderschön. Nicht selten erzählen sich die Hiesigen (was in dem Fall die Münchner und Bewohner der Speckgürtel meint), sie hätten bei ihren Ausflügen ins Alpenvorland Gott getroffen – er habe erzählt, er sei dort im Home Office. Was die Anwohner angesichts der Blechlawinen wohl eher anders bewerten.
Sei’s drum.
Reizvoll sind die Seen, das stimmt. Und viele einfach wunderschön. Ich habe so manche mittlerweile zum Schwimmen besucht.
Das Panorama ,was eine Kulisse! Der Biergarten am Strand, das glasklare Wasser, das manch einer schon am Geschmack erkennt, die wunderbare Wärme – da juchzt und frohlockt des Wassersportlers voluminöses Herz. Egal, ob nun schwimmend, standup-paddelnd, schlauchbootfahrend oder mit dem eigenen kleinen Bötchen.
A propos Bötchen. Das ist einer der ganz wenigen Momente, in denen es sogar den meisten Münchnern zu peinlich wird, zu prahlen. Da wird jede Edelyacht beim Erzählen zum Bötchen heruntergestuft und Bescheidenheit geheuchelt. Als Schwimmer sieht man dann die Bötchen im See vor sich hin dümpeln.
Wie gesagt: Mit der Wahrheit nimmt man es nicht ganz so genau.
Zumindest, was die Wassertemperaturen angeht, darf man den Wochenendausflüglern wie auch den Urlaubern keinen Strick daraus drehen. Wie soll er es auch wissen?
Die wahren Wassertemperaturen, wenn man den vor Ort messen wollte, liegen oft weit unter dem, was man so im Netz findet. Viele Seiten, die die Temperaturen der Seen angeben sind schlecht gewartet und furchtbar unaktuell. Oft geben sie Werte von vor Monaten an. Andere Seitenbetreiber schönen ein paar Grad dazu, um Ausflügler und Urlauber herzulocken. Je wärmer das Wasser, um so attraktiver sind Strandbäder , Campingplätze und ufernahen gastronomischen Betriebe. Cui bono?
Eben!
Irene Gronegger vom Maxvorstadt-Blog hat das unter die Lupe genommen und zeigt, wo man verlässliche Angaben holen kann. Nämlich zum Beispiel von den Seiten vom Niedrigwasser-Informationsdienst des Bayerischen Landesamts für Umwelt. „Dort sammelt man nämlich die Messdaten der Wasserwirtschaftsämter, die an über 100 Stellen erhoben werden – teilweise stündlich!“ so Irene Gronegger in ihrem Blog. Spannend.
Ich persönlich orientiere mich in Sachen Wassertemperatur vor Ort öfters an eigenen Messungen; und da bin ich nicht der Einzige. So mancher Freiwasserschwimmer hat sein Badethermometer mit, um die Wassertemperaturen zu messen. Es ist nun mal am zuverlässigsten, wenn ich selber mein Badewannenthermometer in den See hänge. Für diejenigen aber, die vor der Anfahrt wissen wollen, wie warm der Teich ist, hilft das wenig. Dem, der daheim die Entscheidung treffen will ob er überhaupt die behaupteten 30 Minuten Anfahrt zum Baden in Kauf nehmen will, hilft das wenig. Schon klar.
So manches Messergebnis offenbart Überraschendes. Statt der angekündigten 24 °C sind es nur 20,6 °C., statt der angekündigten 18 °C sind es manchmal auch nur zärtliche 14 °C. Nichts ist eben, wie es scheint.
Da ist dann wenig mit Planschen und Baden. Und schwimmen eben nur im Neo, der allerdings immer im Kofferraum liegt, wenn ich etwas weiter entfernte Seen anfahre. Na ja: Zumindest fast immer.
Sind die gemeldeten Temperaturen plötzlich nur noch Makulatur? Vier fehlende Grad in diesem Fall können aber auch daran liegen, dass wo und wie man im See misst. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass nicht einheitlich gemessen wird. Das allgemein gültige System bei Triathlon- Wettkämpfen, ob man mit Neo schwimmen darf oder nicht, wird beherzt ignoriert. Da nämlich wird nämlich nicht im knöcheltiefen, sonnenbeschienen Wasser direkt am Ufer gemessen sondern in 60 cm Tiefe. Und schwupp: Schon zeigt das Thermometer ganz andere Zahlen. Womit wir wieder am Punkt sind: Wie man es mit Wahrheit bzw. Genauigkeit hält.
Noch spannender aber finde ich die Angaben auf den Kreidetafeln der Strandbäder vor Ort. Meist hängen diese Tafeln am Kiosk, der heute allerdings selten noch so heißt. Statt dessen finden sich vor Ort Strandbars, Beach Clubs oder wenn Kiosk dann zumindest Maikiki-Kiosk. Das alles möglichst wohlklingend für die vornehme Gesellschaft aus der Stadt und die Sommerfrischler, die eben nicht nur einen Bretterverhau und Steckerleis erwarten.
Dort steht in antiquierter Form meistens irgendetwas von 22 °C mit Kreide auf die Tafel gekrakelt. Diese Schilder sind Relikte aus lang vergangenen Tagen, kein Monitor, kein Display, keine Digitalanzeige konnte ihnen den Garaus machen. Noch immer gibt es das Brett mit Tafellack bemalt, oft mit Werbung für Sonnenkosmetik darauf, deren Geruch man auch sofort wieder in der Nase hat.
Und dann stehen dort mehr oder weniger lesbar die Zahlen hingemalt: 22° in diesem Fall.
Und das Schild hängt da so seit Jahren, ob März oder August, selbst im tiefsten Winter. Immer konstant 22 °c. Es ist sozusagen ein permanenter Warmbadetag.
Da weiß man, was man hat.
Vielen Dank fürs Lesen.
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