Mediatipps (Teil 31): „Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch“ von Ulrike Sterblich und Heiko Werning

Merkwürdige Viecher sind es ja schon und zum Teil sehr skurrile, und das meine ich weder respektlos noch abwertend – im Gegenteil. Meine volle Sympathie gilt den Tierarten, die Ulrike Sterblich und Heiko Werning in ihrem Buch Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch: Ein prekäres Bestiarium vorstellen.
Und wer nicht gerade vom Fach ist, wird zugeben müssen, von mancher Art noch nie im Leben gehört zu haben. Denn das Bestiarium, wie Werning und Sterblich ihr Werk in Anlehnung an die Gattung mittelalterlicher Tierdichtungen nennen, ist gefüllt mit äußerst seltenen Tieren, viel Wissens- und Lesenswertem und dazu mit einer kleinen Dosis Dichtung.
All den vorgestellten Arten ist eines gemeinsam: Sie stehen kurz vor dem Aussterben oder sind bereits spurlos verschwunden, wobei das Wort „Aussterben“ die Sache in den nicht immer trifft: Das Autorengespann wird nicht müde, für entsprechende Arten nachzuweisen, dass es auch um gezielte Ausrottung ging: Sei es beim Beutelwolf in Tasmanien oder dem Bartgeier in den Alpen, zwei sehr prominente Beispiele. Manchmal ist es der gezielte Kampf gegen die Art zur Abwehr vermeintlicher Schäden, manchmal die Ausrottung zum eigenen Vorteil oder es ist einfach „nur“ die rücksichtlose Veränderung der Lebensräume. So sind die Alfred Gurami Opfer der Palmölplantagen und die Bayerische Kurzohrmaus Opfer eines Klinikneubaus geworden.

Verheerender aber noch wirkt sich das Einbringen von gebietsfremden Tieren, oft durch Siedler und Seefahrer, aus: Katzen, Hunde, Schafe, Rinder, Ziegen – sie alle haben die Lebensräume für hervorragend angepasste Spezies nachhaltig verändert oder zerstört, oder die Arten gleich selbst gefressen.
Dabei schauen Sterblich und Werning keineswegs nur in fremde Länder, auf ferne Inseln und Paradise, die kaum vom westlichen Menschen „entdeckt“, in Beschlag genommen wurden. Immer wieder richtet sich der Blick auch auf Arten, die hierzulande bedroht sind: Blutegel, Feuersalamander, Feldhamster, Europäischer Nerz oder Biber zum Beispiel. Oder der ganz und gar entzückende Waldrapp.

Der menschengemachte Eingriff in die Lebensräume und die Folgen daraus zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, wie eine Spur der Verwüstung.
Aber es zeigt sich auch ein anderer nicht ganz so leuchtender Faden in den einzelnen Kapiteln: Viele Arten überleben heutzutage nur dank der Erhaltungszucht in Zoos, Instituten oder in Privathand. Auch darauf wird immer wieder hingewiesen, wohl auch, um in den scharf geführten Diskussionen über den Sinn und Fortbestand zoologischer Gärten Argumente zu liefern: Zoos spielen im weltweiten Artenschutz eine bedeutende Rolle, etwas, was nicht oft genug wiederholt werden kann.
Nur ist es leider so, dass den Zoos weltweit weder finanzielle Mittel, noch Fläche oder Personal zur Verfügung stehen, um solche Überlebensinseln sicherzustellen. Genau das ist einer der Gründe, warum dem Buch ein großer Erfolg zu wünschen ist, denn die Autor*innen haben auf ihre Honorare verzichtet und der Verlag steuert pro verkauftem Exemplar auch noch einen Obolus an Citizen Conservation bei. So hat die Lektüre neben dem großen Lesevergnügen und der Erweiterung des eigenen Wissens auch einen ganz praktischen Nutzen: Nämlich mit jedem gekauften Buch zu helfen, Geld in die Kasse der Citizen Conservation zu spülen.

Waldrapp – Erhaltungs- und Nachzucht im Münchner Tierpark

Zentrales Anliegen aber ist und bleibt die Wissensvermittlung – denn je mehr wir über die bedrohte Arten wissen, umso höher ist unsere Sensibilität und auch unsere Bereitschaft, diese zu schützen.
Heiko Werning und Ulrike Sterblich liefern jede Menge spannender Informationen, die allerdings nicht in Form eines „trockenen“ Fachbuches. Stattdessen wählten sie eine sehr humorvolle, bisweilen die Arten vermenschlichende und gelegentlich sarkastische Erzählweise.
Aber wie soll man anders mit der Ausrottung von immer mehr Arten umgehen, als mit einer gehörigen Portion Fatalismus und Sarkasmus? Allein die Erklärungen, warum welche Arten bedroht sind und welche Folgen der Schwund der Biodiversität für einzelne Lebensräume hatte, zeigt, wie katastrophal rücksichtlos der Mensch mit seiner Umwelt umgeht.

Das macht das Bestiarium sehr lesenswert. Es lohnt, es immer wieder zur Hand zu nehmen, darin zu schmökern und auf diese Art sich viel wunderbares „unnützes Wissen“ anzueignen; ob nun über Scharnierschildröten, Wirtelschwanzwarane, Totengräber oder Baumhummer. Wohltuend, dass der Fokus nicht nur auf die vielen, prominenten und medial immer wieder genannten Eisbären, Panzernashörner und Okapis gerichtet ist. Denn ja: Ich möchte mehr über den Darwinfrosch, die mallorquinische Geburtshelferkröte oder den Davidshirsch genannten Milu erfahren – und den Schnilch sowieso. Ganz vielleicht möchte ich später dann bei passender Gelegenheit ein ganz klein wenig klugscheißernd damit angeben können, dass ich natürlich weiß, dass ein Aye Aye nicht nur die Antwort eines Seemanns auf eine Anweisung des Kapitäns ist.

„Mehr davon,“ möchte ich dem Autorinnen-Gespann zurufen: Ich will mehr. Aber würde das nicht bedeuten, dass noch mehr Arten als „vom Aussterben bedroht“ auf der roten Liste landen müssten für einen weiteren Band?

Übrigens ist Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch auch ein höchst originelles Geschenk. Es ist ja bald Weihnachten.


Jetzt hier kaufen (Das Buch gibt es aber auch über die ISBN bei Ihrem Buchhändler):

Sterblich, Ulrike & Werning, Heiko: Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch
Erhältlich als gebundene Ausgabe und e-Book

Broschiert / 240 Seiten / Verlag: Galliani / Erschienen 10.02.2022 / Sprache: Deutsch
Buch ISBN 978-3869712550
eBook ISBN 3869712554

Preis: 22,00 € / eBook: 18,99 €


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Allerdings ist die Rote Liste ohnehin schon viel zu lang; was schlimm genug ist.

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