Vielleicht bin ich nicht mal gut… aber ein Mensch (Blogger für Flüchtlinge #1)
Nein… das hier ist kein politisches Blog. Auch keines, das sich um gesellschaftskritische oder -relevante Themen kümmert.
Hier geht es nur um den Spaß am Sport, am Schwimmen. Um meinen Spaß. Aber das Leben besteht eben nicht nur aus Schwimmen – und auch nicht nur aus Spaß.
Lange habe ich gezögert, bei der Aktion Blogger für Flüchtlinge mitzumachen
Was soll ich hier den Lesern, die sich möglicherweise für Geschichten und Geschichtchen rings um’s Schwimmen in Frei- und Hallenbädern, Seen, Weihern und im Meer interessieren, groß über Flüchtlinge erzählen? Das Thema ist komplex, zu komplex. Selbst Teilaspekte werden dem nicht gerecht.
Was ich angesichts der Bilder in den Medien empfinde, angesichts der Hassposts, die ich auf Facebook lese und regelmäßig melde, empfinde, ist kaum mehr ausdrückbar, ohne selbst zum Hassprediger zu werden.
Hin und wieder habe ich klare, bisweilen zornige Worte in dem Blog Czyslansky gefunden: Sei es in einem offenen Brief an den polnischstämmigen Josef Bryla, der – obwohl selbst Wirtschaftsmigrant – Flüchtlinge als solche diffamiert, sei es, wenn Facebook wieder einmal nicht einsieht, dass bestimmte Beiträge die Gemeinschaftsstandards der wirklichen Welt verletzen, aber die der Plattform nicht… oder eben, wenn mittlerweile eine Welle der Entlassungen nach Hassposts durch die deutsche Wirtschaft rollt.
Das sollte klar machen, was ich zu dem Thema denke und einen hoffentlich kleinen Beitrag zur Stimmungmache für #RefugeesWelcome leisten.
Und jetzt doch noch was im Schwimmblog?
Was schreiben?
Es wäre zu zynisch angesichts Tausender Ertrunkener im Mittelmeer auch nur irgendeine Verbindung zu meinem eigentlichen Thema herbeizwingen zu wollen. Wenn ich über den Spaß schreibe, den ich beim Schwimmen im Meer habe, finde ich keinen Anknüpfungspunkt zu den Flüchtlingskatastrophen, der nicht sarkastisch wäre.
Und es wäre auch zu platt angesichts der tödlichen Badeunfälle einiger Flüchtlinge in den heimischen Gewässern, die in diesem Sommer passiert sind, irgendetwas Pseudogescheites über Schwimmen lernen ist lebensnotwendig zu schreiben. Nein.
Und doch geht mir das Bild des kleinen toten Aylan Kurdi am Strand von Bodrum nicht mehr aus dem Kopf. Ich könnte angesichts der an Geschmacklosigkeit und Widerwärtigkeit nicht mehr zu überbietenden Kommentare in diversen sozialen Medien vor Wut toben. Da hilft die Hausdurchsuchung der Berliner Staatsanwaltschaft bei zumindest Einem dieser empathielosen Subjekte (das Wort Mensch verbietet sich) nicht viel weiter. Auch dazu finden sie in dem oben bereits erwähnten Blog einen Beitrag über den Umgang der „besorgt-braunen Bürger“ mit den Bildern ertrunkener Kinder: (Spaß ohne Grenzen),
Fast noch schlimmer als dieser erwartbare Mist ist die Empörung der ehrlich Betroffenen, die nicht verstehen können, was dort passiert ist. Sie machen dem Vater schwerste Vorwürfe, dass er überlebt hat, aber seine Frau und seine Kinder hat ertrinken lassen. Sie titulieren ihn als Schlappschwanz, Mörder, Egoist, Versager, verantwortungslosen Menschen… und ich bin fassungslos.
Gibt es irgendetwas Schrecklicheres als die eigene Familie sterben zu sehen und ihnen nicht helfen zu können? Ich kenne Eltern, die ihre Kinder verloren haben. Es ist, so erzählen sie, seelisch das tiefste Tal, in das Eltern hinabsteigen, das Schlimmste, was einem überhaupt passieren kann.
Da fehlt mir angesichts solch dämlicher Statements wie dem Folgenden jedes Verständnis. Ich räume ein, dass das nicht das gabrielsche „Pack“ ist, das sich so zu Wort meldet. Aber das kommt auch aus einem besonders dunklen Deutschland, dem minderbemittelten und unterbelichteten Teil unserer Bevölkerung:
Liane S.-E., deren Facebook-Profil mittlerweile nicht mehr auffindbar ist, schien nicht eine Sekunde nachgedacht zu haben, als sie diese Bemerkung veröffentlicht hat. Die wenigsten Syrer können gut schwimmen. Woher sollten sie das auch gelernt haben? Es ist einfach nicht relevant und im Landesinneren gibt es nun mal keine flächendeckende Schwimmbadversorgung. Welch Überraschung. Ach sonst scheint sie herzlich wenig über den Überlebenskampf Schiffbrüchiger im Wasser zu wissen.
Ich weiß nicht, wie sich der gute Herr E. in einer solchen Situation verhalten würde und welche Fähigkeiten er mitbringen würde, seine Frau Liane und ggf. seine kleinen Kinder retten zu können. Hätte er das besser hinbekommen? Aber vielleicht kommt Famile E. gar nicht erst in eine solche Situation, weil sie keine Notwendigkeit hat, in einem unzuverlässigen Schlauchboot über das Meer zu fahren. Es besteht ja keine Not, auf’s Wasser zu gehen, und vom bequemen Sofa daheim aus kann man gut reden…
Selbst 500 Meter zum Ufer können für einen ungeübten, schlechten Schwimmer eine tödliche Distanz sein; vor allem im dunklen. Das gilt nicht nur für Syrer, ich denke so mancher hier, der sich in diesen unendlich dämlichen Facebook-Kommentaren zum Thema weit aus dem Fenster gehängt hat, würde ebenfalls ertrinken.
Panik, Todesangst, das stundenlange Klammern an die Überreste eines Bootes, das plötzliche Schlucken von Salzwasser, Wellen – das macht niemand freiwillig.
Wie kann man einem Menschen unterstellen, seine Familie eiskalt zu opfern?
Wie kann man Flüchtlingen vorwerfen, sich nicht ausreichend mit Schwimmwesten zu versorgen, als ob die Menschen einfach so in einen Laden hineinspazieren könnten und Schwimmwesten kaufen, wie das möglicherweise der Skipper im Nautik- und Seglerfachgeschäft an der Ostsee machen kann?
Wie kann man glauben, dass die Flüchtlinge nicht längst abgewägt haben, ob sie das Risiko eingehen oder nicht?
So dumm sind sie nicht, dass sie nicht wissen, welcher tödlichen Gefahr sie sich aussetzen… und dass sie nicht gehört haben, für wie viele Menschen das Mittelmeer zum nassen Grab wurde. Sie tun es trotzdem. Warum wohl?
Was Aylans Vater in den Interviews erzählt hat, ist nicht stimmig und wirft Fragen auf – zugegeben. Aber wir waren alle nicht dabei. Wir wissen nicht, was nun wirklich geschehen ist. Und das ist auch nicht wichtig. Sich an diesem einen Schicksal Aylan Kurdis und den Schilderungen des Vaters abzuarbeiten, um seine asylfeindliche Position zu untermauern, ist absurd.
Der Dreijährige ist kein Einzelfall. Traurig aber wahr: Er stellt nicht mal eine Promille der toten Fllüchtlinge im Mittelmeer dar, nicht mal eine halbe. Aylans trauriger Tod ist nur deshalb so bedeutsam geworden und hebt sich aus der Masse ab, weil die Bilder von der Bergung des Leichnams so eine ungeheure Symbolkraft haben, durch die Zeitungen der Welt und anschließend durch alle sozialen Netzwerke gereicht wurden. Aber noch einmal: Es ist nur einer von tausenden Toten…
Alles gewissenlose Schlappschwänze, Mörder ihrer Familien, Egoisten?
Vor einigen Tagen las ich auf Twitter einen Satz zu dem Thema, den ich leider nicht wiederfinde und daher nur aus dem Sinn und ohne den Verfasser benennen zu können, zitiere:
Erst als es ihnen auf dem Land zu gefährlich wurde,
sind die Flüchtlinge mit ihren Familien aufs Wasser gegangen.
Das sagt alles. Darum lasse ich das so stehen.
Blogger für Flüchtlinge hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu helfen: Materiell durch Spendenaktionen und ideell durch Texte hunderter, wenn nicht tausender Blogger: Das ist breite Stimmungmache für ein #RefugeesWelcome.
„Wir sind ganz normale Menschen. Menschen denen nicht egal ist, wie mit anderen Menschen umgegangen wird. Menschen, die helfen wollen“, heißt es von den Initiatoren über diese Aktion auf ihrer Seite.
Ich bin jetzt dabei, ein winziger, kleiner Mosaikstein in einem guten Bild von Deutschland – Und ich bin stolz darauf. Ich bin sicher kein Gutmensch, vielleicht nicht mal gut, aber ein Mensch. Das verpflichtet. Zur Menschlichkeit.
1 Antwort
[…] Wenn Sie noch mehr von meiner schwer verdaulichen Gutmenschlichkeit lesen wollen, dann empfehle ich meinen Beitrag in meinem Schwimmblog zur Aktion „Blogger für Flüchtlinge„). Dann muss ich das nicht hier […]