Tempolimit 130 – ein Selbstversuch
Aktualisiert im Oktober 2021 mit neuen Werten:
Mal mehr mal weniger hitzig wird die Diskussion um ein Tempolimit in Deutschland geführt.
Die einen führen gute Argumente dafür an wie zum Beispiel die drastische Reduzierung der Unfalltoten, Klima- und Lärmschutz, die anderen halten mit wenig validen Gründen dagegen und nennen es gegen jeden Menschenverstand, so zum Beispiel Andreas Scheuer, die Lichtgestalt unter den deutschen Verkehrsministern. „Freie Fahrt für freie Bürger“, raunt es auch aus der kackbraunen, rechten Ecke, wie es nicht anders zu erwarten war.
Als ob man stets so freie Fahrt hätte, wie gerade auf dem soeben eröffneten Teilstück der A94 vor Dorfen an einem trägen Sonntag…
Es ist müßig, die Debatte zu wiederholen, alles, was es zu sagen gab, wurde bereits gesagt, wenn auch nicht von jedem (frei nach Karl Valentin). Und das nicht erst seit der neuesten Runde. Dass ich trotzdem darüber blogge, hat einen ganz einfachen Grund.
Seit Januar 2019 führe ich einen Selbstversuch durch. Der besteht aus zwei Teilen und ich muss zugeben, das Eine fällt mir so schwer, wie das andere. Ich halte mich freiwillig an (fast) alle Geschwindigkeitsbegrenzungen. Und auf Autobahnen fahre ich (fast) nie schneller als 130 km/h. Ausnahmen bilden nur ganz kurze Sprints beim Überholen, sofern diese notwendig werden, will ich nicht von einem herandonnernden, den Schwanz des Fahrers verlängerndem Wagen auf der linken Spur geplättet werden. Dann werden es für ein paar Sekunden auch mal 140 km/h. Mehr war es noch nicht, obwohl ein durchgetretenes Gaspedal mein Kätzchen mal mächtig ans Laufen bringen könnte. Wer ko, der ko. Aber er muss nicht. Das ist der Punkt.
Ich wollte wissen, wie die(freiwillige) Einschränkung meiner Freiheiten auf mein Gemüt wirkt, wie mein Fahrverhalten sich verändert, ob sich der Spritverbrauch reduziert, also all den ganzen Argumenten einen persönlichen Erfahrungshintergrund geben. Nach einem Dreivierteljahr habe ich eine sehr persönlich geprägte Zwischenbilanz mit sehr individuellen Beobachtungen gezogen, mittlerweile (Stand Oktober 2021) betrachte ich das fast schon als Langzeitstudie.
Fass ich also zusammen:
- Es fiel mir anfangs schwer. Es war zumindest in den ersten Wochen enorme Disziplin nötig. Wie schnell ist man im Trott. Wenn ich auf der Autobahn fuhr, aufs Gas drückte und dort, wo es ging, das Pedal durchtrat, schaukelte ich auf 150 oder 160 km/h, hoch gelegentlich auch mehr. Ich fahre nun mal gerne schnell, nicht rasend schnell, aber eben schneller als 130 km/h. Zwar zeigt der Tacho meines Autos sogar 280 km/h an, die 200 km/h habe ich früher öfter kurz überschritten, Das ist zwar keine komfortable Reisegeschwindigkeit mehr, 130 km/h allerdings auf langer Strecke auch nicht. So ehrlich will ich sein.
- Es fiel mir ebenso schwer, mir die Unart abzugewöhnen, vor dem Start im Navi zu schauen, wie lange ich ungefähr für die Strecke brauchen werde, um dann die geschätzte Fahrdauer und Ankunftszeit möglichst weit zu unterbieten. Diesen „Sport“, gegen das eigene Navi Rennen zu fahren und Zeit rauszuholen und sich damit toll zu fühlen, betreiben wohl so manche Autofahrer: „Schau her – ich kann’s besser!“ Was schneller heißt! So richtig bewusst, was das eigentlich für Folgen hat, war mir das aber nicht. Jetzt schon. Heute interessiert mich das nur noch wenig, was der Navi meint, wann ich mein Ziel erreiche, zumal er sowieso wegen Stau, Unfällen, Baustellen etc. vollkommen daneben liegt.
- Ich komme übrigens trotzdem meistens noch etwas eher an, als es mein Navi schätzt. Bei einigermaßen normalem Verkehr verliere ich mit reduzierter Geschwindigkeit auf der Strecke zum Büro (42 km einfach) im Durchschnitt nicht mal fünf Minuten, wenn ich auf der Autobahn immer da Gas gebe, wo es möglich ist. also fast nirgends.. Fünf Minuten – ist es das wert? Nein. Auf der Langstrecke ist es natürlich sehr viel mehr. Zugegeben. Anderseits fahre ich nicht so oft so weit kreuz und quer durch die Republik. Bleibt die Fahrt in den Urlaub, aber da ist spätestens hinter der österreichischen Grenze sowieso Tempolimit.
- Es nervt wenn man nach Hause will, aber nicht das Gefühl hat, voran zu kommen. Das gebe ich zu: Aber es nervt noch mehr, im Stau bei Regen zu stehen. Gute Hörbücher wirken da übrigens Wunder. Und das recht hohe Verkehrsaufkommen gibt sowieso nicht viel Raum, schneller voranzukommen. Also „Hilft nichts – entspann Dich. gut ist’s.
- Entspannter fahren? Entspannter ankommen? Ich weiß nicht. Nein. Viel entspannter ist das fahren nicht. Was ich mir an Anspannung durchs zu schnelle Fahren spare, bekomme ich als Anspannung durch andre Verkehrsteilnehmer gleich wieder zurück. Warum?
- Ich entwickle mich zum Ärgernis vieler, die hinter mir fahren – vor allem bei vorgeschriebenen Geschwindigkeiten wie 70 oder 80 auf Überlandstrecken. Hält man das ein, hat man den Hintermann oft im Kofferraum hängen. Gelegentliche Zeichen, man solle mal voran machen (Lichthupe, wildes Gestikulieren, hupen) versuche ich, so gut es geht zu ignorieren. Das muss man aushalten können. Gelegentlich werde ich auf der Landstraße geradezu halsbrecherisch überholt. Das Gefühl, durch solche Manöver gefährdet und unverschuldet in einen Unfall verwickelt werden zu können, steigt. In den meisten Fällen sind es mittelalte Männer in Mittelklasse-BMW (gerne silbergrau), die wie Irre fahren, vor allem morgens und vor allem je näher ich dem Münchner Flughafen bin. Weder die freiwilligen 130 km/h auf der Autobahn noch das Einhalten der Geschwindigkeitsbegrenzung führt zu entspanntem Fahren.
- Mein Benzinverbrauch hat sich deutlich gesenkt, damit auch die Fahrten zur Tankstelle. Reichte im vergangenen Jahr ein voller Tank für rund 850 Kilometer, komme ich jetzt locker 150 Kilometer weiter. Mein bisheriges Top-Ergebnis auf dem Display im Armaturenbrett beim Verlassen der Zapfsäule: Aktuelle Reichweite (bemessen am Durchschnittsverbrauch basierend auf der aktuellen Fahrweise) 1.008 Kilometer. Ich spare mehrere Tankfüllungen, mindestens eine pro Monat, allein durch diese Fahrweise. Angesichts der exorbitant gestiegener Spritpreise ist zumindest diese Teuerung teilkompensiert.
Noch mehr wäre drin, wenn ich noch auf wenig notwendige Fahrten verzichten würde. Aber das ist ein anderes Thema. - Wo es möglich ist, fahre ich mit Tempomat. Nicht nur auf der Autobahn sondern auch auf Landstraßen, das vermeidet bisweilen Gasgeben und Bremsen und spart einiges an Sprit. Entspannt ist das aber nicht. Denn oft habe ich das Gefühl, dass das eingestellte und erlaubte Tempo ein wenig zu schnell ist, beispielsweise auf leicht steigender Strecke, wenn der LKW vor einem plötzlich langsamer wird oder auf kurvigen Strecken.
Manchmal nervt das Tritscheln bei Einhaltung der vorgeschriebenen 80 km/h auch mich selbst. Hilft aber nichts. - Gas wegnehmen per Tempomat: Das macht Spaß. Schneller werden, in dem man einfach die Geschwindigkeit im Tempomat erhöht statt aufs Gaspedal zu treten allerdings nicht. Haben wir nicht einst gelernt, dass Gas drosseln effektiver ist, als fortwährend zu beschleunigen und abrupt zu bremsen? Ja. War wohl so. Es fahren aber nicht alle so, was erhöhte Aufmerksamkeit fordert, wenn wieder mal der Trottel vor mir bis zwei Meter vor der Ortstafel 110 km/h fährt, dann voll in die Eisen steigt und auf 50 km/h runterbremst, weil er eine Blitzerwarnung gehört hat und nach Passieren der Radarfalle innerorts auf 74 km/h beschleunigt um dann wieder zu bremsen, weil er sonst einem Linksabbieger hintendrauf knallt, den er anhupt, weil der nicht schnell genug um die Kurve kommt.
- Der Opa mit Hut im Auto vor mir, der nicht in die Gänge kommt und über den man sich eigentlich immer aufgeregt hat – das bin ich jetzt selbst. Zwar bin ich weder Opa noch fahre ich mit Hut, aber trotzdem: Für das Gemüt ist es nicht gerade förderlich, wenn man sich zu dem eigenen Feindbild früherer Jahre verwandelt, denn dann ist man dort, wo man nie hinwollte. Und das nur, weil man sich plötzlich an all die Regeln hält, die einem irgendwann vollkommen egal waren. Da hilft nur ein dickes Fell.
- Auch mit dem notorisch besserwisserischen und ordnungsfanatischen Verkehrserzieher, der alle anderen zwingt, die Geschwindigkeitsbegrenzungen einzuhalten, weil er selbst nicht schneller fährt und nicht überholt werden kann, möchte ich mich nicht identifizieren. Trotzdem könnte ich als solcher angesehen werden. Auch wenn meine Motivation eine ganz andere ist, als andere Autofahrer zu erziehen: Ich fahre auch nur 50 km/h durchs Dorf. Selbst wenn es mir unendlich langsam vorkommt.
- Und noch ein finanzielle Entlastung gibt es zu vermelden. Das letzte Knöllchen für zu schnelles Fahren ist schon ’ne ganze Weile her. Und meine Katze bedankt sich für den Schongang – alles andere geht ja auch auf die Verschleißteile…
Also mache ich weiter… Freiwillig. Zumindest versuche ich es. Mich überzeugt das.
Wie wäre es? Wollen Sie das nicht auch einmal ausprobieren. Mich würde interessieren, welche Erfahrungen Sie machen.
Vielen Dank fürs Lesen.
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