Ohne Renate wäre weniger Stau an der Kasse
Ja, sie geht mir auf den Geist. Das gebe ich zu. Denn das, was Renate mit meiner Geduld macht, ist mehr als strapaziös. Sie steht an der Kasse, zugleich Info-Point, Counter und Shop-Kasse eines kleinen Museums. Ein Ticket für irgendeine eine Führung will sie kaufen, ich den Katalog den gerade erst besuchten Ausstellung. Was für mich heißt: Rein in den Shop, den Katalog vom Stapel nehmen, bezahlen, wieder raus. Ein Akt von weniger als fünf Minuten. Soweit die Theorie.
Die Praxis freilich sieht anders aus, denn eine Renate steht bereits an der Kasse und diskutiert mit der freundlichen Frau hinter der Plexiglasscheibe, denn die will neben dem Impfstatus die Kontaktdaten erheben. Wir haben ja Corona und niemand blickt mehr durch, wann wer wo welche Daten abgeben muss und wann nicht. Also muss Renate ihre Adresse herunterbeten, was sie mehrfach macht, nicht ohne den an sich nicht so komplizierten Namen ihrer Straße zweimal zu buchstabieren und zu erwähnen: „Wie die Schauspielerin… sie wissen schon!“
Die Kassiererin allerdings weiß das nicht oder es interessiert sie nicht. Mich auch nicht, aber unfreiwillig werde ich Zeuge, nun weiß ich, wo (diese) Renate wohnt, so sehr ich auch versucht habe, mich auf die ausgelegten, wunderbaren Bildbände zu konzentrieren.
Aus Diskretionsgründen blättere ich ein paar Ansichtsexemplare der zum Kauf offerierten Bücher an, was sich als Fehler erweist. Renate empfindet mich als beschäftigt und verräumt. Das bedeutet: Freies Feld zum endlosen Socialising. Also wird geplaudert. Auf Teufel komm raus. Schwatzhaftes Weibsbild.
Als es bei ihr endlich ums Bezahlen geht (14 Euro) zückt Renate ihr Portemonnaie und fingert umständlich die EC-Karte hervor. Warum erst jetzt?
Der erste Anlauf scheitert kläglich.
„Karte nicht lesbar“ liest die Kassiererin vom Lesegerät vor. „Versuchen wir es noch mal!“
Es folgen zwei weitere Versuche, die jedes Mal mit Abbruch ende, für mich wäre spätestens jetzt der Moment gekommen, einen Geldschein zu zücken, bar zu bezahlen und Platz zu machen. Renate aber denkt gar nicht daran.
Statt dessen berichtet sie der Kassiererin, dass sie bereits bei der Shell-Tankstelle Stress mit ihrer Karte hatte, dann auch beim Edeka, das Problem also bekannt ist. Was heißt: Es liegt nicht am Lesegerät sondern an ihrer Karte. Das ist natürlich kein Grund für sie, mal in eine Bankfiliale zu stapfen und sich um das Ganze zu kümmern. Das aber kann ich ihr nicht anlasten. Bankfilialen zu finden, gleicht mittlerweile der Suche nach dem Bernsteinzimmer und wenn selbige dann auch geöffnet hat, ist das fast wie ein Sechser im Lotto.
Meine Geduld schmilzt langsam dahin, beim vierten Mal nimmt das Lesegerät doch die Karte an. 14 Euro wechseln den Besitzer. Jetzt könnte es also weitergehen. Ich verlasse die Auslage und nähere mich der Kasse, deutlich sichtbar, dass ich nun zahlen möchte.
Aber weit gefehlt.
Mittlerweile ist es draußen Herbst geworden.
„Haben Sie vielleicht einen Übersichtplan, so einen Flyer?“ fragt Renate, um postwendend nicht nur einen Flyer sondern auch eine umfangreiche Broschüre ausgehändigt zu bekommen.
„Die können Sie auch gerne mitnehmen, die sind gratis“, ermuntert sie die Kassiererin mit der Betonung auf mitnehmen, denn sie hat wahrgenommen, dass ich warte.
„Das ist ja toll“, bedankt sich Renate, blättert die Broschüre an, räumt aber keineswegs den Kassenbereich.
„Haben Sie dann vielleicht noch welche, die ich meinen Enkeln mitbringen kann?“ fragt sie.
Die Frau an der Kasse sortiert ihr Minenspiel, reicht eine zweite Broschüre und einen Flyer herüber, die Renate in ihrer Großraumhandtasche versenkt.
Vor meinem geistigen Auge entsteht das Bild, wie Oma Renate ihren geliebten Enkelchen die Broschüre als Mitbringsel aus dem Museum überreich:. „Schaut mal, was ich Euch Feines mitgebracht habe.“
Begeistert klatschen die Kleinen auf die Schenkel. „Au fein, Oma, das haben wir uns immer gewünscht!“ um sich hernach Seite an Seite auf dem Sofa liegend über alle Maße begeistert über die Broschüre herzumachen und wieder und wieder sie durchzublättern.
„Mein Schatz!“
Hach, welch ein Idyll.
Jetzt aber könnte es hier weitergehen. Tut es aber nicht, so dass ich unruhig auf dem Katalog, den ich in der Hand halte, mit den Fingern zu trommeln beginne, fast so, als würde ich mich um die Nachfolge von Charlie Watts bei den Rolling Stones bemühen.
Hilft aber nichts.
Renate redet und redet, die Kassiererin wirft immer mal ein „Darf ich eben…“, „Der Herr möchte….“ Oder „Könnte ich vielleicht ein…“ alles geflissentlich von Renate ignoriert.
Mein Getrommel nimmt sie gar nicht wahr. Meine Geduld ist mittlerweile dahin geschmolzen, dafür ist die Aggressivität umso größer. Wenn die jetzt nicht die Klappe hält und die Kasse freimacht, dann… dann…
Haben solche mittelalterlichen Anlagen nicht irgendwo Kerker, Streckbank, Schandgeige, Daumenschrauben und allerlei lustige Gerätschaften für eine hochnotpeinliche Ketzerbefragung? Da fallen mir so viele lustige, rustikal-derbe Dinge ein.
Irgendwann gelingt es der Kassendame dann doch, Renate hinauszukomplimentieren. Ich zücke Bargeld, zahle kurz, knapp und wortkarg, die Frau braucht eine Pause, das ist ihr anzusehen.
Als ich den kleinen Shop endlich verlasse, steht die Sonne schon hoch am Horizont.
Meine Frau, die draußen gewartet hat, bestellt den Suchtrupp, den sie über die Rettung organisiert hatte und der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte, wieder ab.
Zeit wird’s für einen Espresso im Museumscafé. Und ein fettes Stück Torte. Das habe ich mir jetzt nämlich verdient.
Aber sowas von…
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Das hat selbst mich als Leser aufgeregt. Gut das es Dir und nicht mir passiert ist. Es ist schwer … dann cool zu bleiben. Lach …