Romantik am Kanal

Romantik ist relativ. Ich zum Beispiel halte mich für einen eher unromantischen Typ. Hin und wieder aber überkommt mich ein Anflug von Romantik, der irgendwie auch etwas mit Nostalgie zu tun haben kann.
Und das ist seltsam. Ich kann mich an Orten berauschen, die so schön sind, dass ich stundenlang dort verweilen könnte, hätte ich die Gelegenheit dazu. Einfach da sein und da sitzen und der Welt dabei zusehen, wie sie sich um sich selbst dreht und dabei die Zeit vergeht.
Das müssen gar nicht mal besonders romantische Orte sein. Manchmal genügt ein Kanal. Schiffe fahren vorbei, transportieren ihre Fracht von Weißgottwoher nach Weißgottwohin. Ich möchte beileibe nicht mitfahren oder gar Binnenschiffer sein. Es interessiert mich nicht, wo sie herkommen, nicht wo sie hinfahren, nicht, was sie geladen haben. Nur, wie schnell sie in mein Blickfeld geraten und wie schnell sie selbiges wieder verlassen, wie sie heißen und unter welcher Nationalitätenflagge sie fahren.Romantik am Wesel-Datteln-Kanal
Vor einem Monat hatte ich die Gelegenheit, eine zeitlang in Schermbeck am Wesel-Datteln-Kanal zu sitzen. Ein höchst interessanter Moment. Kanäle gehören zum Herzstück des Ruhrgebiets, es sind die ehemaligen Lebensadern einer Region, mit der ich mich irgendwie verbunden fühle – auch wenn ich gar nicht wirklich aus dem Revier stamme sondern aus der südöstlichen Randregion, dort, wo sich die Schnittstelle zwischen Ruhrpott und Sauerland befindet. (Ein tolles Buch über Kanäle ist übrigens dieses).
Kanäle gab es da nicht, aber die Ruhr, die uns von Dortmund trennte. Hochöfen sahen wir nicht, nur das Glühen des Himmels, wenn bei Hösch in der Nachbarstadt Stahl abgestochen wurde. Keine Kokereien, keine Fördertürme, keine Zechen – immerhin ein Hüttenwerk, dass aber schon in meiner Kindheit den Betrieb einstellte und langsam verfiel.
Trotz alledem spüre ich die Wurzeln in mir noch immer, und je deutlicher, je älter ich werde. Ein Verklärungsprozess hat begonnen, der eine Kindheit im Revier stilisiert, die ich so nicht hatte. Klar: Es gab Gesangs-, Schützen- und auch Taubenzüchtervereine, es gab Fußball in jedem Stadtteil, Arbeiterkolonien, wo zwischen den Häuschen Teppichstangen und Wäscheleinen hingen.
Nicht meine Welt. Da muss ich ehrlich sein.
Ich stamme weder aus einer Berg- noch Stahlarbeiterfamilie, aber ich weiß, was Maloche heißt und was ein Mottek ist. Und dass man, wenn man ein Herrengedeck bestellt, einen Langen und einen Kurzen bekommt, was regional verschieden interpretiert wird – für mich bitte ein lecker Pilsken bekommt und dazu nen Kurzen. Romantik am Wesel-Datteln-Kanal

Am Kanal sitzend denke ich darüber nach, lasse Schiffe vorbei fahren. Ist das Heimweh?
Zwangsläufig kommt irgendwann die Frage auf, ob ich mir vorstellten könnte, jemals wieder in die Heimat zurückzukehren – vorausgesetzt, es ergäbe sich die Möglichkeit und eine berufliche Perspektive.
Die Antwort ist so ernüchternd wie unromantisch:
Höchst unwahrscheinlich.
Ein schöner Abend am Kanal – das reicht.Romantik am Wesel-Datteln-Kanal

Das war’s.
Ab ins Hotel – ein Herrengedeck und dann zum knacken in die Pofe.


Vielen Dank fürs Lesen.
Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, dann freue ich mich, wenn Sie ihn Ihren Freunden weiterempfehlen – z.B. über Facebook, Twitter, in Internetforen, Facebookgruppen o.ä.
Gern dürfen Sie den Artikel auch verlinken.
Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag? Dann nutzen Sie bitte das Kommentarfeld.

Diesen Beitrag weiterempfehlen:

Entdecke mehr von Mal Zwetschgenmann - Mal Wassermann

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen