Als Tourist daheim (19): Nachts mit dem Erklärmichel beim Kini

Manchmal muss ich eben Dinge tun, wie so’n Tourist. Weil ich letztlich auch einer bin, auch in Oberbayern, wo ich lebe – wovon in den vergangenen Wochen hier viel zu lesen war, vor allem, bei den Fototouren an die Seen.
Also mache ich manchmal das, was vornehmlich Touristen tun, weil mir gar nichts anderes übrig bleibt. Was heißt: Will ich bestimmte Dinge machen oder sehen, muss ich mich geführten Touren oder Besichtigungen anschließen. Anders ist kein Hin- oder Reinkommen.
Die Herreninsel im Chiemsee zum Beispiel ist so ein Fall. Damit meine ich aber nicht das, was die Allermeisten tun, nämlich mit dem Schiff übersetzen, spazieren, Kutschfahren… und so weiter. Ok: Das ist auch so’n Touri-Ding, so als habe seinerzeit der überaus menschenscheue Kini sein Schloss dort nur erbauen lassen, damit 180 Jahre später Heerscharen des tumben Volks dorthin kommen, durch den Garten spazieren oder den Spiegelsaal.
Wer rein möchte, kann das nur mit einer Führung tun.
Und wer nachts auf die Insel will, der muss sich ebenfalls den Touri-Hut aufsetzen und beim Tourismus Büro der Gemeinde Prien eine Nachwanderung bei Vollmond auf der Insel buchen. Dann ist man samt Hin- und Rückfahrt mit dem Schiff etwas mehr als zwei Stunden unterwegs und wird sach- und fachkundig auf der Insel gemäß dem Motto „Märchenkönig – Mondkönig“ ein wenig in die Welt des Kini eingeführt.
Das klingt nicht nur spannend, das ist es auch. Also buchen wir die Tour, fahren abends in den Chiemgau und stehen bei wolkenverhangenem Himmel um hab zehn Uhr abends im Prien am Anleger. Mit uns stehen dort knapp 30 Leute, die sich das auch gegönnt haben.

Ausflugsschiffe in Prien - auf dem Weg zum Kini

Und das ist dann die Kehrseite der Medaille. Nicht, dass der Mond nicht scheint und ich demzufolge auch nicht das Schloss in dessen fahlen Licht fotografieren kann. Nicht, dass es gegen Ende der Wanderung recht ordentlich regnet, was wir aber als Möglichkeit bei der Wahl der Kleidung einkalkuliert haben und besser ausgerüstet sind als manch andere Teilnehmenden.
Die Kehrseite ist: So etwas geht nur in einer Gruppe und dafür bin ich nur sehr bedingt kompatibel. Aber anders ist es nicht möglich – also aushalten, durchhalten, Abstand halten, dann funktioniert das schon.
Bei einem Rudel von 30 Leuten ist das nicht ganz so leicht. Schon an Deck, als ich die Dämmerung über dem See ungefähr ein paar tausend Mal fotografiere, meint eine kommunikationsbedürftige wie mitteilungsfreudige Teilnehmerin, die sich zu mir gestellt hat: „Ja, manchmal ist es doch gut, eine richtige Kamera dabei zu haben!“

Nacht wird's überm See - auf dem Weg zum Kini

„Manchmal?“ denke ich. „Nein, immer!“ Das sage ich aber nicht, murmle nur ein „Ja, das stimmt!“ während sie mit ihrem Apfelschmartfon in Glitzerhülle genau das gleiche fotografiert, natürlich mit Blitz. Soll sie. So funktioniert es nur halt nicht.
„Manchmal wäre es aber noch besser, auch ein Stativ dabei zu haben!“ Das ist von mir eher laut gedacht als zielgerichtet zu ihr gesagt. Dass es auf einem fahrenden Schiff auch eher sinnlos ist, mit langer Belichtungszeit und Stativ zu fotografieren, steht auf einem anderen Blatt. Aber besser als aus der Hand dürfte das Ergebnis allemal sein. Denn die meisten Bilder werden nichts, und alle rauschen ohne Ende. Wenigstens zwei oder drei aber erhoffe ich mir.
„Oh Gott, und dann alle paar Minuten stehen bleiben für ein Foto mit Stativ! Wie aufwendig!“ erwidert sie und ich sehe aus dem Augenwinkel eine Mischung aus Dankbarkeit, dass ich kein Stativ mit dabei habe und Sorge, ob ich vielleicht doch… und ich am Ende die Dynamik der Wandergruppe aufs Vortrefflichste sprengen werde.
„Ja, das ist immer aufwendig. Aber es lohnt sich. Vor allem, wenn man mit einer Gruppe unterwegs ist, denn sowas mögen immer alle!“ Das ist das letzte, was ich sagen kann, dann zieht sich die Frau zurück. Ihre Plauderlaune ist, zumindest was mich betrifft, schlagartig und nachhaltig erloschen. Gut so.
Auf der Insel gibt es ohne Stativ und ohne Vollmond eigentlich fast nichts, was fotografierenswert bzw. fotografierbar wäre. Das wird mir schnell klar.

Anleger auf der Herreninsel

Das Schloss ist nicht angestrahlt, wozu auch? Vom Ufer ist es fast von nirgendwo aus zu sehen und auf der Insel ist bis auf ein paar Gärtner und Kutscher nachts kein Mensch. Doch: Die Wandergruppe, die ist natürlich auch gerade da.

Eine Wanderung ist das Ganze nicht gerade, eher ein Spaziergang von knapp 3 Kilometern, der immer wieder von Pausen unterbrochen wird, bei denen wir viel Bekanntes, aber auch reichlich Neues über den Kini und seine Bautätigkeit auf der Insel erfahren.
Ein netter Geselle in orange-rotem Windbreaker entpuppt sich dabei schnell als Erklärmichel, der gelegentlich die Ausführungen der Führerin ergänzt oder auf Fragen, die sie nicht aus dem Stehgreif beantworten kann, schnell mit seinem Wissen zur Stelle ist. In jeder Gruppe gibt es so einen, der bestens vorbereitet mit eigenem Wissen glänzt, als ginge es darum, wie weiland zu Schulzeiten der Klassenprimus zu sein. Schnipp, schnipp – ich weiß es. Nervig, solche Leute.
Schon beim Landgang am Anleger der Herreninsel weist mich der Erklärmichel über Bande gespielt darauf hin, wie schön das mit bunten Birnchen beleuchtete Schiff doch ist, was für ein nettes Bild das ist. Das sagt er nicht direkt zu mir, als er selbiges Foto macht, aber doch so lsut in meine Richtung, dass ich es gar nicht anders verstehen kann als als unmittelbare Aufforderung, es ihm nach zu tun.
Was ich natürlich nicht mache. Warum ich aber die Fenster des alten Schlosses, hinter denen Licht brennt, ins Visier nehme, erschließt sich ihm nicht. Wie auch? Er schaut fragend. Vom #Fensterfreitag, für den ich mein Archiv gut gefüllt halte, hat er sicher noch nie etwas gehört. Davon erzähle ich aber nichts, ich hoffe, die Kommunikation erfriert noch bevor sie beginnt.

Fenster vom alten Schloss - Kini

Als bei einer weiteren Pause zu Füßen des alten Schlosses die Wissensvermittlung in Geselligkeit und Plauderei wechselt, hat der Erklärmichel nichts Adäquates mehr beizutragen und sondert sich ab. Dummerweise macht er das in die gleiche Richtung, in die ich das auch zuvor gemacht habe.
Während das Rudel in fröhlicher Runde einen auf der Herreninsel gebrannten Schnaps verkostet, den die Führerin dabei hatte und die – auch die gibt es in jeder Truppe – zwei Muttis der Kompanie eiligst beigesprungen kommen, um beim Ausschank zu helfen, habe ich mich auf leisen Sohlen über die Wiese etwas davon gestohlen. Da kommt, kiesknirschend unter seinen Schuhen, der Erklärmichel heran, stapft an mir vorbei, steigt ein paar Stufen hoch und ist im Dunkel verschwunden.

Stories vom Kini

Ich schaue dem fröhlichen Nippen am Zwetschgenbrand durch die Kamera zu, als der Erklärmichel die Stufen wieder herunterkommt. Wildbiesln war er nicht, nur schauen. „Von da oben, vom Geländer aus hat man auch einen schönen Blick auf die Gruppe. Das sollten sie auch mal fotografieren!“ Schwups, wurde aus dem Erklärmichel ein Belehrmichel. Alles lässt sich eben toppen.
Damit hat er mein Herz im Sturm erobert. Ich liebe einfach alles an dieser Art von Ratschlägen, zeigen diese Tipps mir doch so viel Kluges und Gutes, den Perspektivwechsel inbegriffen – und sie holen mich aus meiner eher stümperhaften und eindimensionalen Sicht beim Fotografieren Knipsen.
Da ich nicht unmittelbar reagiere oder mich überschwänglich bedanke und hinauf zum Geländer renne, ist der Erklärmichel etwas irritiert. Holt er jetzt sein Handy hervor, um mir zu zeigen, welch World Press Foto Award verdächtiges Bild er gerade gemacht hat?
Das tut er nicht. Nur etwas beleidigt wackelt er davon.

Besser so – sonst endet der Abend noch in einem Drama. Ich kann schon verstehen, warum der Ludwig den Plebs gemieden hat. I feel you Kini, I feel you!

Nachts am See

PS: Noch einmal klarzustellen wäre, die Tour ist wirklich schön und interessant. Wer in der Region wohnt oder dort urlaubt und Spaß an solchen Ausflügen hat, sollte das unbedingt mal machen. Leider sind die Touren immer schnell ausgebucht.
Niemand kann etwas dafür, wenn der Mond hinter den Wolken verborgen bleibt, niemand, wenn es zu regnen beginnt. Und was die anderen Leute betrifft: Es ist mein ganz eigenes Problem, mit solchen Menschen nur schwer klarzukommen. Vielleicht sollte ich mir bei solchen Unternehmungen ein großes Schild umhängen: „Sprechen Sie mich nicht an, ich spreche Sie nicht an. Dann sind wir beide glücklich! Ich zumindest!“


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3 Antworten

  1. Nati sagt:

    Zum Glück schaue ich wohl oft abweisend, so habe ich meine Ruhe. Dafür wird mein Mann öfter mal angequatscht. Er schaut halt zu freundlich. Lach…

  2. Carola sagt:

    Grantig by nature 😂