Mediatipps (Teil 43): „Moralspektakel: Wie die richtige Haltung zum Statussymbol wurde und warum das die Welt nicht besser macht“ von Philipp Hübl
Nein, dieses Buch kann nicht allen gefallen. Im Gegenteil. Aber dazu wurde es auch nicht geschrieben. Warum das so ist, steht bereits auf dem Cover: „Wie die richtige Haltung zum Statussymbol wurde und warum das die Welt nicht besser macht.“ Das provoziert – und zwar vor allem diejenigen, die sich regelmäßig moralisch höchst empört geben und der Meinung sind. damit zu den Guten zu gehören.
Autor Philipp Hübl, Philosophieprofessor und Sprachwissenschaftler, hat sich vorgenommen, die ganze Empörungs“kultur“ als das zu entlarven, was sie seiner Meinung nach ist: Eine fortgesetzte Selbstinszenierung derer, die sich regelmäßig lautstark entrüsten. Den denen, so seine These, geht es viel weniger um das Thema, über das sie sich aufregen, sondern viel mehr darum, sich selbst den anderen als der moralisch bessere Mensch zu präsentieren. Moral ist dann nur Selbstetikettierun und Abgrenzung, die ist Selbstbestätigung und Zugehörigkeitsmaterial zur Kaste der Guten. In Kurzform: Anerkennung oder sogar Bewunderung ist ein Statusgewinn; mit moralischer Empörung hoffen die Akteur:innen, mittels Selbstdarstellung auf Anerkennung und damit Anhebung ihres sozialen Status. „Weil sich unser Moralinstinkt nicht entwickelt hat, um schwierige Gerechtigkeitsprobleme zu lösen, sondern um von unseren Partnern (Anm.: Hübl gendert nicht), Verwandten, Freunden, Bekannten und Kollegen anerkannt zu werden, geht es im Alltag bis heute nicht zuallererst darum, moralisch zu sein, sondern darum, moralisch zu erscheinen.“
Und damit ist auch klar, wem das nicht gefallen wird – wer sich an Hübl reibt, wer sich falsch verstanden und diffamiert fühlt.
Das macht es bisweilen etwas schwer zu lesen. Nicht dass es zu komplex wäre. Für ein philosophische Werk ist es erstaunlich gut verständlich geschrieben. Aber Hübls Aussagen reizen zum Widerspruch . Nicht selten fühlt man sich selbst ertappt bei seinen eigenen vornehmlich digitalen Empörungen, nicht selten möchte man ihm zustimmen, weil endlich einer all das aufgeregte Toben und Tosen in den sozialen Medien als das entlarvt, was es allzu oft ist: Stürme im Wasserglas, die letztlich zu gar nichts führen. Und dann weiß man, dass man irgendwo falsch abgebogen ist.
Denn Massenentrüstungen, -empörungen und -bewegungen wie #MeToo, #PrideMonth, #NieWiederIstJetzt oder #BlackLifeMatters sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass viele dieser Bewegungen nicht nur berechtigt sind sondern auch konkrete Folgen haben: Sie tragen den Diskurs aus der digitalen „Blase“ in die Medien und in die Gesellschaft. Und irgendwann steht dann eben mal ein Harvey Weinstein vor Gericht, irgendwann ändern sich die Machtgefälle und deren schamlose Ausnutzung am Filmset, hinter der Bühne der Rockkonzerte, in der Küche der Sternerestaurants oder im Probenraum des Theaters.
Und das macht die Welt ein Stückchen besser. Zumindest darin irrt Hübl. Was gut ist.
Hübl zögert auch nicht, mit dem Whatsboutism-Taschenspielertrick zu versuchen, die Leser:innen auf seine Seite zu ziehen. So, wenn er Menschen, die sich hierzulande für die konsequenterweise Einhaltung der Menschenrechte für alle Bevölkerungsgruppen einsetzen, zu entgegnen, nirgendwo in der Welt würden die Menschenrechte so sehr beachtet, wie in westlichen Ländern unter anderem in Deutschland. Man solle nur mal auf diverse Länder in Afrika schauen. Das ist so billig wie nervig, ein Totschlagargument. Und noch etwas ist auffällig: Während er nicht müde wird, den Empörungs-Aktivist:innen immer wieder unter die Nase zu reiben, dass es in vielen Fällen nicht den geringsten Beweis gibt, dass ihre Empörung tatsächlich irgendetwas zum Besseren verändert, ihnen auch immer wieder unterstellt, sich zu Fürsprecher:innen irgendeiner diskriminierten Bevölkerungsgruppe aufzuschwingen ohne das geringste Mandat dafür zu haben, stellt er selbst Behauptungen auf, die er Fakten gleichsetzt. Das Gegenteil sei der Fall und dann ist das auch so.
Gleichwohl kann man ihm nicht absprechen, dass er in vielem recht hat. Die reflexartige Empörung auf alles und jeden, allzu oft nicht der Sache allein geschuldet ist sondern der eigenen Selbstdarstellung: „Im Westen benötigen Individualisten eigentlich keine strafenden Götter mehr, um moralisch zu sein, denn sie haben den Universalismus weitgehend verinnerlicht. Doch im Alltag müssen wir weiterhin Konflikte lösen, während gleichzeitig die Digitalisierung eine neue Umwelt erschaffen hat, die uns wieder zum Kollektivismus verleitet, indem sie uns zwingt, besonders stark auf unsere Reputation zu achten. Die digitale Öffentlichkeit ist der neue moralische Gott, der alles sieht, unsere Handlungen übereifrig beurteilt und die vermeintlich Bösen mit dem ewigen Fegefeuer des sozialen Stigmas straft.“ Das ist nicht falsch. Allerdings möchte ich anzweifeln, ob das „Fegefeuer“ wirklich ewig dauert. Das Netz vergisst nichts, heißt es immer – die Beteiligten aber doch. Heute wird die eine, morgen die andere Sau durchs digitale Dorf getrieben. Nicht selten verebben viele der Empörungen und Shitstorms so schnell, wie sie gekommen sind und möglicherweise durch die Medien weiter aufgebauscht wurden. Der Fall wurde „abgefrühstückt“, worüber könnte man sich als Nächstes aufregen?
Moral ist soziales Kapital, ist Prestige, ist Image. Empörung ist die einfachste Art, sich in der digitalen Welt als moralischer Mensch zu präsentieren. Moral wird zur „Waffe im Statuskampf“. Da hat er recht.
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Hübl, Philipp: Moralspektakel: Wie die richtige Haltung zum Statussymbol wurde und warum das die Welt nicht besser macht
Hardcover / 336 Seiten / Siedler Verlag / 24. April 2024 / Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3827501561
Preis: 16,99 €
Auch als Kindle-eBook erhältlich
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