Mediatipps (Teil 37): „Warum wir schwimmen“ von Bonnie Tsui

Ein wenig ratlos bin ich schon – ist es richtig gut? Nein. Aber richtig schlecht ist das Buch Warum wir schwimmen von Bonnie Tsui nun auch nicht. Es hat glanzvolle Passagen und dann wieder reihen sich Plattheiten aneinander, trieft es vor Pathos und dieser leider doch sehr amerikanischen Sicht auf die Dinge, wie großartig das ist, was wir tun, und weil wir (und andere) das tun, sind auch wir (und andere) großartig. So reihen sich „Helden“geschichten aneinander, Menschen, die beim Schwimmen Großartiges vollbracht haben – ja, auch in Wettkämpfen, aber eben auch im Alltag im San Francisco Bay, als Überlebenskampf, als sie von Bord gegangen sind, als Muschelsammler, als Schwimmen als heilbringendes Therapeuticum Ringen mit bzw. gegen körperliche und seelische Erkrankungen.

Was allerdings gänzlich fehlt: Die Geschichten vom Zögern und vom Scheitern. Vom Aufgeben beim Kanalschwimmen, vom Wadenkrampf, von simpler Unlust, vom Frieren, vom motzigen Herumnörgeln. Das scheint es in der übereuphorisierten Welt von Bonnie Tsui wohl nicht zu geben. Und fehlt es auch an Humor, an (Selbst)-Ironie und einer gewissen Leichtigkeit, auch auf sich selbst zu schauen. Wie wohltuend besser war da Wigald Bonings Der Fußgänger, wie sehnsüchtig erwarte ich sein nächstes Buch, in dem es bei ihm ums Schwimmen gehen wird.

In Bonnie Tsuis Buch weht der American Dream, alles schaffen zu können, wenn man es nur will – alles mit großem Ernst, großem Ehrgeiz und vollem Einsatz zu machen, immer im Bestreben, es besonders gut zu machen, sich selbst zu fordern und dabei dem Ganzen einen großen Sinn zu geben: So fehlt auch nicht die Story vom wackeren Elitesoldaten Jay in Bagdad, der nach Ende des Krieges dort den stationierten Soldaten aus aller Herren Länder das Schwimmen im Pool des Palastes von Saddam Hussein beigebracht hat. Natürlich überwiegend Soldaten aus Ländern, die aus amerikanischer Sicht ein wenig rückständig sind. Aber Jay, der gute Amerikaner, erklärt den Kameraden natürlich, wie’s läuft, bzw. wie’s sich schwimmt: Ehrenamtlich in seiner Freizeit.
True Story – kein Zweifel. Aber symptomatisch und fast schon gleichnishaft ist sie schon. Mir wird dieses flag waving dieser ihrem Selbstverständnis nach Leading Nation People dann doch etwas zu viel. Es ist fad, nein: Es nervt; es ist entschieden zu dick aufgetragen.
Fast schon keine Überraschung mehr ist, dass das Schwimmunterrichtsprogramm in sich zusammenfällt, kaum, dass Jay abkommandiert wird. Ohne die Amerikaner läuft’s halt nicht. Message verstanden!

Dabei ist die Idee, die Sucht, die Lust, die Leidenschaft fürs und an dem Schwimmen in Worte zu fassen durchaus nachvollziehbar. Auch, dem Sport, dem Vergnügen einen erklärenden, quasi gedanklichen Überbau zu geben. Aber müssen wir uns selbst erklären, warum wir schwimmen?

Wer oft und viel im Wasser unterwegs ist, weiß das sowieso.
Und wer nicht – nun, dem ist mit einem solchen Buch wenig geholfen, denn er wird es nicht lesen. Und wir, die wir kaum eine Gelegenheit auslassen, ein paar Runden im Wasser zu drehen, müssen uns das nicht erklären und schon gar nicht rechtfertigen.

Dann wieder gibt es Passagen, da holt sie diejenigen, die gerne schwimmen genau an dem Punkt ab, der zu erklären schwierig ist: Was ist, wie ist es, in den Flow zu kommen?
Was macht das mit einem, was mit dem Kopf, was mit dem Gemüt?
Wohin wandern die Gedanken und warum muss es nicht immer das Klügste sein, was dabei herauskommt?
Wie ist es, diese Zeit nur für sich selbst zu haben – frei von Terminen, Anrufen, Mails, Kurznachrichten, Messengern? Und warum ist das so ungeheuer wichtig?
Warum ist Schwimmen etwas, was einen ganz allein sein lässt und kann genauso gut etwas sein, was wunderbare Gemeinschaft schafft?

Viele Antworten, die sie auf diese Fragen findet, sind relativ trivial, was sie nicht weniger falsch sein lässt.
Es tut gut, zu sehen und davon zu lesen, dass sich Menschen viele Gedanken machen, über das was sie tun, was sie antreibt; davon zu erzählen, wofür sie „brennen“.
Das ist das große Plus des Buches.
Und das ist der Grund, warum ich es doch zu Ende gelesen habe, obwohl ich gelegentlich ein paar Seiten sehr „diagonal überflogen“ habe.

Die Quintessenz ist allerdings ernüchternd, die Mischung aus Sachbuch, biographischen Komponenten, Geschichten über andere Schwimmer, die sie interviewt hat, Philosophisches und Selbstfindungsliteratur geht meiner Meinung nach nicht wirklich auf.

Es gibt so viele bessere Bücher übers Schwimmen, einige habe ich hier in den Mediatipps vorgestellt. Dem Schriftsteller John von Düffel zum Beispiel kann Bonnie Tsui das Wasser nicht reichen. In seine Bücher tauche ich viel lieber ab.


Jetzt hier kaufen (Das Buch gibt es aber auch über die ISBN bei Ihrem Buchhändler):

Tsui, Bonnie: Warum wir schwimmen

Gebunden / übersetzt von Susanne Dahmann / 320 Seiten / Verlag: HarperCollins; 2. Edition / 2. Edition erschienen am 26. April 2022 / Sprache: Deutsch
ISBN-13
978-3365000267

Preis: 22,00 €

Auch als Kindle-eBook erhältlich


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